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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 2
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Fachnotizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0092

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74

FACH NOTIZEN

BAND 9

Ein gotisches Bruststück. Ich gebe nachstehend die Ab*
bildung und Beschreibung eines in meinem Besitz befindlichen
gotischen Bruststücks, das wegen seiner eigenartigen Form und
seiner Herkunft Interesse beanspruchen dürfte.
Ich erhielt es vor längerer Zeit (1899) von einem Althändler
in Stuttgart, der es zusammen mit anderen Überbleibseln
(darunter mehrere Harnischteile) aus dem abgetragenen Schloß
Oberdischingen (O.A. Ehingen, Württemberg) erworben hatte.


Abb. 1

einem weit späteren Trabharnisch entstammende, viel zu breite
Bauchreifen angenietet, welche durch neue, dazu passende,
ersetzt sind.
Das Stück trägt keine Marke, sein Gewicht beträgt nur
3 kg. (Abb. 1, 2.)
Der Brustharnisch stammt, wie bemerkt, aus dem Schloß
Oberdischingen, dessen Besitzer in der in Betracht kommen*
den Zeit (zirka 1460—90) die Herren v. Stotzingen waren.

Abb. 2


Das Stück besteht aus den in der spätgotischen Periode üb*
liehen zwei Teilen, deren kleiner oberer mit dem großen
unteren in der Mitte durch einen breiten geschnallten Riemen
verbunden ist. Der obere Rand ist, einen breiten Wulst bildend,
spitz konkav ausgeschnitten, der untere Teil („Bruech“, franz,
von Viollet*le*duc „pansiere“ genannt) ist wundervoll aus der
Taille herauswachsend ausgetrieben, an den Seiten ist er in
den Weichen halbkreisförmig nach vorn ausgeschnitten. An
der rechten Seite des oberen Teils befindet sich ein leicht ge*
krümmter, vierkantiger Rüsthaken älterer Form. Er ist am
Anfang und Ende mit je vier, paarweis eingehauenen Linien
verziert und nach schräg*links oben umzuklappen. Beide
Teile waren, als ich sie erwarb, voneinander getrennt und
der obere sehr stark beschädigt, so daß er ergänzt werden
mußte, doch ist der wuchtige Oberrand, sowie der Rüsthaken,
wohlerhalten, ebenso ist der große, dem Stücke den Charakter
verleihende Unterteil in sehr gutem Zustand und seine meister*
hafte Treibarbeit verrät die Hand eines geübten Waffenschmieds.
Am unteren Rand waren zwei nicht dazugehörige, offenbar

Freiherr Othmar von Stotzingen auf Meischenstorf in Holstein
hatte die Güte, mir das am 27. Juni 1605 nach dem Tode
des Wilhelm von Stotzingen aufgenommene Inventar der
Rüstkammer des Schlosses mitzuteilen. Darin ist aufgeführt:
„Ein beschlossen Brustharnisch, der nebenzu Flügel hat“
Ich glaube, daß sich diese Bezeichnung auf unser Stück be*
zieht, da ich mir unter „beschlossen“ nichts anderes als die
Zusammenschnallung der beiden Teile denken kann, während
mit den seitlichen Flügeln offenbar die im Hinblick auf die
Weichenausschnitte weit zurückreichenden Seitenwände ge*
meint sein dürften.
Das Bruststück dürfte dem Hans von Stotzingen gehört
haben, der 1496 gestorben ist, und auch von diesem getragen
worden sein.1) Sehr interessant ist nun die Form des Stücks,
die, obwohl sie ausgesprochen spätgotischen Charakter trägt,
!) Die anderen, in dem Schlosse von Oberdischungen gefundenen Rüstungs®
stücke waren: Ein schöner Halskragen, sowie ein rechter Arm, beide wohlerhalten
und zusammengehörig, sowie ein paar stark beschädigte Diechlinge, alles aus dem
Anfang des 16. Jahrhunderts, ferner ein linker Handschuh aus etwas späterer Zeit.
 
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