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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 2
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Fachnotizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0093

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FACHNOTIZEN

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sowohl von den deutschen, geschifteten, als auch den italie»
nischen geschnallten Brustharnischen abweicht. Die ersteren
zeigen, wenigstens in den besser gearbeiteten Exemplaren,
zwar ein ähnliches Herauswachsen aus der Taille, doch läuft
die ein» bis dreifache Schiftung immer spitz zu, in ein Orna»
ment endigend (Abb. 3. 4.), und die italienischen „Faßbrüste“

Abb. 3 Abb. 4


und zwar als Beutestück stammen; bei dem Stück der Pariser
Sammlung wird französischer Ursprung angenommen, ich glaube
daher, diese Form als westeuropäisch, französischsburgundisch,
ansprechen zu sollen. Auch das besprochene Stück kann sehr
wohl ein burgundisches Beutestück sein, da der größte Teil
der eidgenössischen Reiterei in den Burgunderkriegen vom
süddeutschen Adel gestellt war, der durch seine Lehensver»
hältnisse hierzu verpflichtet war und zu dem auch die Herren
von Stotzingen gehörten (vgl. v. Rodt, die Feldzüge Karl des
Kühnen, an vielen Stellen.) G Adolf cloß
Gerkammer. Im Oberbergischen Lande (zwischen Sieg und
Agger) ist bei alten Leuten für die Sakristei der Dorfkirche
noch der Ausdruck „Gerkammer“ gebräuchlich. Falls dieses Wort
tatsächlich von „Ger“ = Spieß herkommen sollte, so würde dies ein
interessanter Hinsweis darauf sein, daß die mit wehrhaftem,
steinerem Turm versehenen Dorfkirchen nicht nur in Zeiten
der Gefahr der Stützpunkt für die Verteidigung des Dorfes
gewesen sind, sondern auch für gewöhnlich zur Aufbewahrung
der Waffen gedient haben. Die Sakristei wäre also die
Dorfrüstkammer gewesen. Vielleicht weiß jemand Näheres
darüber. Paul Reimer

sind in der Taillenlinie scharf abgesetzt, ohne die schlanke
Schweifung, z. B. bei den Rüstungen des Friedrich v. d. Pfalz,
Friedrich Gonzaga, Ferdinand v. Arragonien, Roberto Sanse»
verino in Wien und der interessanten Missagliarüstung in
Bern (Abb. 5, Bern u. 6, Wien).
Unser Stück gehört demnach zu keiner dieser beiden Formen
und stellt einen dritten Typ dar, der sich, wie ich mich zu er»



Abb. 6


innern glaube, nur noch im Schweizerischen Landesmuseum
in Zürich findet, sowie bei der bekannten, auch bei Viollet»
lesduc, Diet. rais. V, p. 139 ff., PL 2 behandelten Rüstung im
Musee de l’armee in Paris.2) Hier ist allerdings der untere
Teil nicht an den oberen angeschnallt, sondern durch einen
Führungsstift verbunden, aber die sonstige Form, namentlich
auch die Seitenausschnitte tragen durchaus den gleichen Cha»
rakter. Das Züricher Exemplar dürfte aus den Burgunderkriegen,
2) Es ist wohl für jeden Sachkundigen sofort klar, daß diese Rüstung aus nicht
zusammengehörigen Teilen besteht. Brust und ßeinzeug sind auf 1460—90 zu
datieren, der Helm (Arme) aber, und Halskragen sind 40—50 Jahre später an zu«
setzen, ebenso das Armzeug, gegen dessen Echtheit ich große Bedenken, habe,
namentlich, der Achseln wegen, die trotz des Rüsthakens rechts und links gleich,
d. h. rechts nicht ausgeschnitten sind. Viollet4e«duc datiert dieses Rüstzeug auf 1440
(sic!) und dies hat durch eine Reihe von Kostümwerken, z. B. Hottenroth, seither

Das Vierländer Mundtuch. Die Vierländerin legt um
Michaelis ihren Strohhut ab und trägt statt dessen während
des Winterhalbjahres über ihrer Mütze, d. h. sowohl über der
Hüll der Frauen wie über der Deernsmütz der Mädchen ein
zusammengelegtes seidenes Tuch, das in den Vierlanden als
Munddook bezeichnet wird. Das Tuch wird um das Kinn ge»
legt, den Mund mehr oder weniger zu schützen, und oben
auf dem Kopf oberhalb der „Nessel“ zweimal geknotet. Da
Hüll und Deernsmütz durch Bindebänder gehalten werden,
hat das Mundtuch nicht etwa eben diese Funktion zu erfüllen,
sondern ist ein selbständiges Kleidungsstück zum Schutz gegen
Wind und Kälte. Und zwar würde eine farbige Wiedergabe
unseres Bildes (siehe Abb. 1) ohne weiteres zeigen, daß es sich
um keine gelegentliche Zutat, sondern um einen festeinge»
fügten Bestandteil der Tracht handelt, denn die Farbe des
Mundtuches ist in nächster Anlehnung an das Halstuch gänz»
ich abhängig von dem jeweils nüancierten Wechsel der übrigen
Tracht. Das quadratische Tuch, dessen Kanten 68—70 cm lang
sind, ist im „Spiegel“ d. h, innerhalb einer von den Kanten»
streifen gebildeten Ecke in Kreuzstich» oder Plattstichmanier
mit verhältnismäßig kleinen Namensbuchstaben bestickt.
Da mir nun ein ähnliches im Winter getragenes Mundtuch
aus andern deutschen Volkstrachten nicht bekannt ist, — von der
Spreewälder Tracht wird in den Mitteilungen aus dem Museum
für deutsche Volkstrachten zu Berlin II. S. 199 allerdings Ahn»
liches berichtet — und unter den zahlreichen Trachtenbildern,
die der Nürnberger Losungsschreiber SigismundHeldt, aus leben»
diger Anschauung oder auf verloren gegangene lokale Trachten»
folgen fußend, vermutlich in den Jahren 1565—1570 zeichnete,1)
die mit einem Mundtuch ausgestattete Hamburgerin völlig iso»
liert dasteht, liegt es nahe, dies Bild (siehe Abb. 2) zu unserer
Vierländerin in Beziehung zu bringen, und also das Vierländer
Mundtuch aus der Hamburgischen Modetracht abzuleiten. Das
die Runde gemacht. Ich bin der Ansicht, daß ein staatliches Museum, das doch
in erster Linie der Belehrung dient, in solchen Zusammenstellungen und Datier
rungen gar nicht gewissenhaft genug sein kann, weil es sonst nicht belehrend,
sondern irreführend wirkt.
*) Vergl. Katalog der Lipperheideschen Kostümbibliothek I., 1896 ff., S. 5 ff. und
M. Herrmann, Forschung zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und
der Renaissance, 1914, S. 111 f.
 
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