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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 4
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Fachnotizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0170

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144

FACHNOTIZEN

BAND 9

wo es bei der Säkularisation in die Münchener Residenz, von
da endlich ins Bayerische National*Museum gelangte. Eine
Restaurierung des Gewandes von 1722 steht fest, eine solche
von 1479/80 ist wahrscheinlich. Der Oberstoff des Kleides ge-
hört dem 18. Jahrhundert an, vermutlich eben jener Restau*
ration, alt sind nur die Besatzstreifen am Halsausschnitt, den
Ärmeln und Rocksaum. Außerdem hat Bock 1864 unter dem
neuen Oberstoff noch drei verschiedene alte Stoffreste vor»

Abb. 2.
Kragen der Dalmatika Kaiser Heinrichs II.
gefunden, von denen er wohl mit Recht annahm, daß sie von
früheren Oberstoffen herrühren.2) Diese alten Oberstoffreste
sind heute nicht mehr am Gewände, es ist Berliner aber gelungen,
sie zum Teil mit Gewißheit mit drei Stoffresten des National*
Museums zu identifizieren, die nach dem Inventar zu Hein*
richs Dalmatica gehört haben. Auf diese und die Besatzstreifen
gründet sich die Untersuchung Berliners mit dem Ziel, das
ursprüngliche Gewand in die Kostümgeschichte einzureihen.
Sie führt ihn zu positiven, in wichtigen Punkten von der bis*

herigen Auffassung abweichenden Ergebnissen, und gipfelt, um
es gleich vorweg zu nehmen in einer Bestätigung der Tradition,
die das Kleid Heinrich II. zuweist.
Von den Stoffresten zunächst ist der jüngste ein spät*
gotischer Seidenbrokat; die beiden anderen sind erheblich älter,
sie gehören der Gattung der von Falke klassifizierten byzan*
tinischen Atlasgewebe an, sind aber beide nicht vor der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden.
Die Besatzstreifen bestehen aus einem roten
halbseidenen Grundstoff, verdeckt von einem Muster
aus eingewebten Goldfäden. Hierauf ist das eigent*
liehe Ornament, gegenständig Greifen in Doppel*
kreisen, in Leinenschnur aufgelegt. Entgegen der her*
kömmlichen Auffassung weist Berliner überzeugend
nach, daß der Kragenbesatz in seiner bizarren Gestalt
mit asymmetrisch innen herausragenden Zwickeln der
ursprünglichen Gestalt entspricht (Abb. 2), und dem
ist auch bei der jetzigen Neuaufstellung Rechnung
getragen. Alle übrigen Besatzstreifen hingegen zeigen
nicht die ursprüngliche Gestalt und Anordnung. Die
beiden Ärmelbesätze sind verschieden, nur der linke
saß vermutlich ursprünglich an dieser Stelle, ist aber
auch verkehrt herum angenäht. Der untere Besatz*
streifen ist aus einer ganzen Reihe verschiedener Teile
nachträglich zusammengesetzt. Einige verstümmelte
Originalteile lassen vermuten, daß der Besatz des
Kleidersaums ursprünglich eine dem Kragen entspre*
chende Randbelebung mit herausfahrenden Zacken
aufwies. Für Zweck und Gestalt des Urgewandes ge*
währt nur der allein in seiner Originalgestalt erhaltene
Kragenbesatz Anhalt. Danach haben wir es vermut*
lieh mit einem Obergewand und zwar einer Dal*
matica oder tunica talaris zu tun. Als Dalmatica
wird auch in Heiltumsbüchern des 15. und 16. Jahr*
hunderts ein Gewand Heinrichs II. im Bamberger
Domschatz bezeichnet, dessen beigefügte Holzschnitt*
darstellungen augenscheinliche Ähnlichkeit mit dem
Gewände des NationaLMuseums zeigen.
Die wichtigste Schriftquelle für die Datierung und
Zweckbestimmung ist das offizielle Schatzverzeichnis
von 1127, das bereits von der „tunica imperatoris cum
aurifrigio et margaritis“ spricht. Bambergs „Kaiser“
war Heinrich II. und Berliner bezieht daher diese Ein*
tragung wohl mit Recht auf ihn, dessen Tod damals
erst 100 Jahre zurücklag; also eine noch junge und
glaubwürdige Tradition 1 Auch die Kernfrage, ob das
Alter der Besatzstreifen die Zuweisung des Gewands
an Heinrich II. zuläßt, glaubt Berliner auf Grund einer
sehr eingehenden Prüfung von Gewebe, Technik und
Ornament bejahen zu können. Er spricht den Stoff als
byzantinisch*persischen Stils aus mazedonischer Zeit an
(10.—11. Jahrhundert), beeinflußt durch sassanidische
Textilien. Es handelt sich also, wie Berliner am Schluß seiner
Untersuchung zusammenfassend feststellt, mit großer Wahr*
scheinlichkeitum ein Obergewand Heinrichs II., das nach dessen
Tode beim Gottesdienst diente und darum wiederholten Re*
staurationen unterworfen werden mußte. Nach der Heilig*
sprechung des Kaisers (f 1146) wurde das Gewand einer ersten
Restauration unterzogen, wobei der älteste der noch erhaltenen
Oberstoffe Verwendung fand. Im 13. und 15. Jahrhundert
wurden weitere erhebliche Erneuerungen notwendig. Die letzte
Restauration, die dem Gewände seine jetzige Gestalt gab, ist
die des 18. Jahrhunderts. P. Post


s) Bock. Die Kleinodien des römischen Reiches. Wien 1864. S. 188 f.
 
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