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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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Heft 6/7
DOI Artikel:
Reimer, Paul: Nochmals die älteren Hinterladungsgeschütze
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0229

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HEFT 6/7

PAUL REIMER: NOCHMALS: DIE ÄLTEREN HINTERLADUNGSGESCHÜTZE

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Kammermündung sehr viel einfacher. Noch immer
aber mußte das Rohr zum Laden aufgerichtet werden.
Unbequemer aber war noch das Auswaschen und
Austrocknen der Kammer nach jedem Schuß, um
den krustigen Rückstand daraus zu entfernen. Auch
mag man allmählich gemerkt haben, daß die Schuß*
Wirkung bei längeren Rohren größer wurde. Um
aber bei diesen die Lademöglichkeit zu behalten,
kam man auf die Trennung von Kammer und Flug
und schuf so den Hinterlader, dessen sonstige, sehr
willkommene Vorteile sich bald ergeben mußten:
einfachere Bedienung, größere Feuergeschwindigkeit,
leichtere Transportmöglichkeit und größere Wirkung
infolge der Möglichkeit sorgfältigeren Ladens. Immer
aber muß man sich vor Augen halten, daß bei
schwereren Kalibern und längeren Rohren erst die
Hinterladung die Möglichkeit oder doch wenigstens
eine ganz bedeutende Erleichterung des Ladens bot.
Dies gibt eine Parallele mit der modernen Hinter*
ladung: sie war notwendig, um den ballistisch so
grundlegenden Fortschritt der Pressionsführung des
Langgeschosses überhaupt erst zu ermöglichen. Wie
ja wohl jeder wirklich wichtige Fortschritt noch
allerlei unvorhergesehene, aber sehr erwünschte Vor*
teile mit sich zu bringen pflegt. So brachte das bal*
listisch dem Schwarzpulver weit überlegene Nitro*
cellulosepulver die Rauchfreiheit und damit die
Möglichkeit sehr großer Feuergeschwindigkeit. Ferner
mußte man demGewehrgeschoß 88 einen festen Mantel
geben, um bei der großen Anfangsgeschwindigkeit
die Führung in den Zügen des Laufes zu gewähr*
leisten. Dadurch gewann man erst die gewaltige
Durchschlagskraft des Geschosses und im weiteren
Verlauf die Möglichkeit, ihm die ballistisch so wert*
volle schlanke Spitze zu geben. Bei allen solchen
Betrachtungen muß man sich nur stets klar werden,
was das aus Notwendigkeiten entsprungene Primäre
gewesen ist, und was sich daraus erst an Folgerungen
ergeben hat. Beim alten Hinterlader war das Primäre,
wie gezeigt, die Ermöglichung der damals noch not*
wendigen umständlichen Ladeweise.
Daß bei diesen alten Hinterladern die Kugel von
hinten in den Flug geschoben wurde, glaube ich
auch dann nicht als Regel annehmen zu sollen, wenn
dafür die Möglichkeit an sich gegeben war. Es kam
ja darauf an, daß die Kugel fest auf dem Holzpflock
der Kammer auflag, auch wurde sie in den meisten
Fällen noch besonders verdämmt. Das alles ließ sich
nur von der Mündung aus erreichen. Zudem hatte
ja die Kugel im Rohr kein Widerlager, wie beim
gezogenen Hinterlader, es wäre also schwer gewesen,
ihr bei der Einführung von hinten die richtige Lage

zu geben. Man wird das so gemacht haben, wie es
im gegebenen Falle am einfachsten und sichersten war.
Hinterlader mit kalibergleicher Kammerweite, bei
denen die Einführung der Kugel in die Kammer
das Gegebene gewesen wäre, sind mir aus der Zeit
des ungekörnten Pulvers nicht bekannt. Sie treten
erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf, als das
gekörnte Pulver sich auch bei der Artillerie allgemein
Eingang zu verschaffen begann. Beim Kornpulver
lag eine Notwendigkeit der Hinterladung nicht mehr
vor, ihre Beibehaltung in zahlreichen Fällen ist daher
auf die sonstigen damit verbundenen Vorteile zurück*
zuführen. Die größere Feuergeschwindigkeit bei Ver*
Wendung mehrer Kammern, die zugleich das Geschoß
aufnahmen (Patronenkammern), war sehr zu schätzen.
Andererseits kamen aber, besonders zur Verteidigung
der Burgen, die Langrohre kleineren Kalibers auf,
deren Bedienung in den engen Geschützständen der
Türme ohne Hinterladung kaum möglich war. Auch
bei den auf der Verschanzung der Schiffe in Pivot*
gabeln gelagerten Drehbassen lagen die Verhältnisse
ähnlich. Wohl der größte Teil des 16. Jahrhunderts
wird von den Hinterladern mit „Patronenkammer“
beherrscht, erst später werden die verschiedenen
anderen Verschlüsse, als Schrauben*, Keil*, Fallblock*,
Kolben*Verschlüsse usw. zur Regel. Das hindert
nicht, daß solche auch schon früher gelegentlich
aufgetaucht sind. Wenigstens gibt Leonardo da Vinci
bereits solche Konstruktionen an, bei denen eine
Kammer nicht vorgesehen ist. (Vgl. Z. H.W. K. 2, 54
und Z.H.W.K. 6, 131.)
Eine feste Verbindung zwischen Kammer und Flug
war erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts üblich
geworden. Vordem mußte die Unterlage des Rohres,
also entweder die Erde oder aber die „Wiege“ oder
„Lade“, auf der das Rohr befestigt war, die Zug*
Spannung aufnehmen. Im ersteren Falle lag der Flug
auf Balken, und die eingesetzte Kammer wurde
hinten gegen ein in die Erde gerammtes Widerlager
verkeilt. Essenwein bildet ganze Systeme solcher
Widerlager ab; der Rückstoß muß also ziemlich
heftig gewesen sein. Umsomehr darf man bezweifeln,
daß die hölzerne Wiege, abgesehen von leichten
Kalibern, dem Rückstoß auf die Dauer gewachsen
war. Es gab ja auch schon damals verfehlte Kon*
struktionen, und man tut gut, den Maßstab der
praktischen Erfahrung auch bei solchen altehrwür*
digen Stücken anzuwenden. Das Gegebene war die
Verbindung der Kammer unmittelbar mit dem Rohr.
Leonardo bildet (vgl. wie oben) zwei Schrauben*
Verbindungen ab, von denen die eine sogar kegel*
förmig ist, eine zu jener Zeit wohl kaum herstellbare
 
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