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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

DOI Heft:
Heft 6/7
DOI Artikel:
Hobohm, Martin: Historische Waffenkunde und Geschichte der Kriegskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0235

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HEFT 6/7 M. HOBOHM: HISTORISCHE WAFFENKUNDE UND GESCHICHTE DER KRIEGSKUNST

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alte wertvolle Gut, zum Beispiel an bronzenen Ges
schützrohren, ist jetzt erst untergegangen, und wo
etwa darüber Verlässiges, Greifbares aufgezeichnet
ist, verdient es zugänglich gemacht zu werden.
Für das Reichsarchiv sind freilich naturgemäß nicht
diejenigen Materialien die wichtigsten, welche der
Weltkriegsforschung mehr oder weniger nur Kurio«
sitäten bedeuten, sondern die ihre Durchschnitts«
Probleme angehen. Es scheint aber wohl möglich,
daß das Studium der Waffengeschichte manchen
Kriegsteilnehmerbefähigthat, den sich überstürzenden
Fortschritten der Kampftechnik im Weltkriege mit
besonderer wissenschaftlicher Beobachtungsfähigkeit
zu folgen. Dafür gab es der sinnfälligen Anregungen
mancherlei, etwa in dem ungeahnten Auferstehen
der Streitwagen, in dem Wiederauftauchen der Wurf«
granaten, der Wurfminen und Flammenwerfer. Über
merkwürdige Einzelerscheinungen erhob sich der
Blick zum Gesamtbilde des Kampfes. Die Beziehungen
zwischen historischer Waffenkunde und Entwicklung
der Taktik reichen so weit, wie überhaupt im Kriege
Waffen verwendet worden sind. Die Geschichte der
Waffe läßt sich von der Geschichte ihrer Verwen«
düng nicht wohl abgeschieden erhalten, sie hat sich
mit ihr gegenseitig zu befruchten und zu dienen;
sie hat einen wichtigen Beruf— nicht ihren einzigen —
als Hilfswissenschaft der Geschichte der
Kriegskunst zu erfüllen.
Bezüglich weiter zurückliegender Zeitalter hat der
Verfasser von jeher zu denen gehört, die den Stand«
punkt vertraten, diese hier hervorgehobene Beziehung
verdiene mehr als bisher ausgebaut zu werden. Die
Durchschnittswaffe ist kriegsgeschichtlich wichtiger
als die Ausnahmewaffe. Keineswegs sollen deshalb
die in der Waffenkunde so eifrig gepflegten Inter«
essen für die Geschichte der Kunst und der Technik
herabgesetzt werden. Niemand darf den schelten,
dem etwa ein einziger schöner Einsteckdolch mit
interessanten Inschriften oder Intarsien wichtiger ist
als die Untersuchung, wie diese Waffe, zum Bajonett
geworden, sich als Armeewaffe durchgesetzt hat. Für
die Geschichte der Kriegskunst aber ist in diesem
Zusammenhang allein die letztere Frage bedeutend.
Manchem mag eine Gewehrgabel mit Schießvorrich«
tung, technisch merkwürdig, aber militärisch eine
Nichtigkeit, interessanter sein als die gewöhnliche
Gewehrgabel und ihre Rolle im Kriege. Auch den«
jenigen muß man durchaus gelten lassen, denen ein
künstlerisch verzierterTrabharnisch, die Prunkrüstung
eines vornehmen reichen Kriegers, viel wichtiger ist
als die Durchschnittsform, in welcher der Trab«
harnisch zum Kommißharnisch geworden ist.

Die Geschichte der Kriegskunst urteilt umgekehrt;
die Kriege werden mit Kommißwaffen entschieden.
Der Trabharnisch der deutschen Reisigen in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, durch ökonomische
Rücksichten bescheiden gestaltet, wurde im Verein
mitdem„DeutschenTrab“, das bedeutet: demPferde«
material, und gewissen wirtschaftlich«sozialen Eigen«
tümlichkeiten dieser Mannschaftsart zur Voraus«
Setzung für den Übergang vom Rittertum zur
Kavallerie, für die Entstehung der „Deutschen Reiter“
(Reitres) mit ihren tiefen, langsamen, stabilen Es«
kadrons. Man nannte sie auch „Schwarze Reiter“,
weil ihre Harnische schwarz waren; und die Historiker
dachten sich bei diesem Faktum, die schwarze Farbe
sei offenbar um gewisser Gefühlsmomente willen ge«
wählt worden, ähnlich etwa dem Emblem unserer
„Totenkopfhusaren“. Vielleicht haben die „Schwarzen
Reiter“ solche Wirkungen, wo sie eintraten, recht
gern gesehen; aber der Hauptzusammenhang dürfte
viel realerer Natur sein: der schwarze Harnisch ist
billiger als der blanke. Hammerfertig geworden,
erhält er durch den Farbenüberzug ohne viel wei«
tere Umstände des Glättens und Schleifens das
verwendungsfähige Aussehen; im Gebrauch bedarf
er weniger des Putzens, seine Schmucklosigkeit ver«
einfacht die Pflege. Man muß waffenkundig sein,
um sich das klar zu machen; der Verfasser hat es
seinerzeit, wie so manches, von dem vielerfahrenen
Waffenmeister Rohde im Zeughaus gelernt. Man darf
die Schwärze des Harnisches also als einen weiteren
Zug in dem Bilde werdenden Kommisses, eines ent«
stehenden Armeestils der Bewaffnung ansehen.
Die Anfänge dieser ersten neuzeitlichen Kavallerie
sind bisher nur erst in unbestimmten Umrissen er«
kennbar. Hier bedarf es dringend weiterer Forschung,
und es dürfte lohnend sein, den Zusammenhängen
von der Waffenkunde her näherzurücken. Viel«
leicht noch besser als von der Geschichte des Har«
nisches und seiner Fabrikationsbedingungen aus kann
das von der Geschichte der Pistole her geschehen.
Diese wurde ja in jener ersten Kavallerie, mindestens
in einem bedeutenden Teil von ihr, zur Haupttrutz«
waffe; wo und wann und wie, liegt wiederum im
Dunkeln. Die Geschichte von Harnisch und Pistole
hängt hier zusammen. Die leichtere Rüstung und
das schwächere Pferd brachten die deutschen Durch«
schnittsreisigen in Nachteil gegenüber namentlich
den französischen, wenn es galt, sich nach alter
Ritterweise aus dem Sattel zu rennen. Gegen das
Fußvolk war für Reiter im Gefecht überhaupt nicht«
mehr auszurichten, seitdem es die festen Schlacht«
häufen hatte. In dieser Lage gewöhnten sich die
 
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