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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

DOI Heft:
Heft 6/7
DOI Artikel:
Hobohm, Martin: Historische Waffenkunde und Geschichte der Kriegskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0236

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M. HOBOHM: HISTORISCHE WAFFENKUNDE UND GESCHICHTE DER KRIEGSKUNST BAND 9

deutschen Reisigen, es den Fußknechten nachzutun
und ebenfalls in tiefen Gevierthaufen zu verharren.
Damit konnten sie die übrigen Waffen nicht wohl
niederkämpfen, aber sie blieben als ein schwer zerstör«
barer Machtfaktor auf dem Schlachtfelde und konnten
dadurch schließlich doch den Ausschlag geben.
So wurde für die Reiterei der taktische Körper
erfunden, die Fähigkeit zur in festen Verbänden
geordneten Kavallerie angebahnt. Und wie die Fuß«
knechte, so haben auch die Reiter das Prinzip der
geschlossenen Ordnung zuerst unbehilflich über«
spannt. So kam es, daß die „Deutschen Reiter“,
allem altritterlichen und kavalleristischen Wesen zu«
wider, die Pistole zur Hauptwaffe machten. Die
Überlieferung sagt, im Kampfe habe das vorderste
Glied seine Pistole auf nahe Entfernung gegen den
Feind gelöst und sei dann um die Eskadron herum«
geritten, um hinten wieder aufzuschließen, und so
Glied für Glied: Auf diese Weise konnte die Haupt«
mässe der Eskadron immer geschlossen bleiben.
Parademäßig exakt wird dies Manöver der „Karakole“
im Kampfe wohl nicht oft vor sich gegangen sein.
Es wäre eine waffenkundliche Aufgabe, dieser fremd*
artigen Erscheinung einmal fest auf den Leib zu
rücken und dabei zugleich den Gebrauch der Pistole
näher zu untersuchen.
Natürlich war es die Radschloßpistole, um die
es sich hier handelt, und sicherlich in einfacher
Ausführung, ohne Bemeinlagen und Kunstschmiede«
werk. Ihr großer Vorzug für den Reiter war, daß sie
mit nur einer Hand gebraucht werden konnte. Dies
ließ über alle ihre Schattenseiten hinwegsehen. Dieser
Zusammenhang ist es, welcher der Radschloßwaffe
eine militärische Rolle von Gewicht zu spielen er«
laubt hat. Als Massenwaffe der Infanterie hat sie,
als zu teuer und zu schwer zu pflegen, keine Ver«
wendung finden können, obwohl sie dem Lunten«
schloßgewehr durch die Selbsterzeugung des Feuers
ideell so weit voran war. Auch als Karabiner hat
sie immerhin etwas bedeutet, weil dem Reiter die
Führung der Lunte so unbequem war. Es regt sich
freilich gegen den Karabinerkampf zu Pferde als
eine vielgeübte Fechtweise leicht ein gewisser Zweifel,
denn jedes Gewehr macht doch auf dem Pferde
recht große Schwierigkeiten. Nach den Zeugnissen
darüber aus späterer Zeit ist es schwer zu begreifen,
daß im 16. und 17. Jahrhundert der „Arkebusier
zu Pferde“ dem Anschein nach eine so breite Rolle
gespielt hat. Diesen Widerspruch zu lösen, wäre
recht nützlich.
Bedeutsamer noch wäre eine eindringendere prak«
tische Würdigung des Infanteriegewehres im 15. bis

17. Jahrhundert. Im späten 15. und vollends im frühen
16. Jahrhundert leistet in dem damals taktisch so
wichtigen „Scharmützel“ der Schütze mit diesem
Luntenschloßgewehr bereits so Gutes, daß er sich
mit dem antiken „Peltasten“ mindestens messen kann.
Es ist erstaunlich genug, daß das umständliche, un«
zuverlässige Luntenschloßgewehr jemals, auch in
seiner reifsten Form, eine solche Virtuosität hat zu«
standekommen lassen; nun aber gar die technischen
Vorstufen, die man um die Wende des 15. und
16. Jahrhunderts noch im Gebrauche voraussetzt!
Das starke Bedürfnis der europäischen Kriege hat
damals naturgemäß dem Gewehr an Lauf, Schloß
und Schäftung eine rapide Fortentwicklung gebracht.
Wir wissen von der Erfindung dieser Verbesserungen
wenig, von ihrer — weltgeschichtlich wichtigeren —
Verbreitung noch viel weniger.
Als Schloß und Schäftung ihre endgültige Form
erreicht hatten, scheint sie in den Grundzügen vom
Durchschnitt der europäischen Infanterie rasch all«
gemein angenommen worden zu sein. Anders steht
es mit dem Lauf; er bietet der Geschichte des Vorder«
laders wohl das wichtigste noch übrige Problem.
Es handelt sich um die Frage, wie die Kunst der Aus«
bohrung des Laufes für die Zwecke der Massenfabri«
kation brauchbar gemacht und verbreitet worden ist.
Hiervon hing die militärische Leistung des Ge«
wehrs in entscheidendem Grade ab. Bei dem Vorder«
lader muß ja immer die Kugel etwas geringeren
Durchmesser haben als die Laufseele, zumal wenn
auf schnelles Laden Wert gelegt wird. Ist vollends
der Laufmantel innen uneben, „grubicht“, so kann
die Kugel erst recht nicht genau in den Lauf passen;
und das beeinträchtigt entscheidend Präzision und
Durchschlagskraft des Schusses. Ein Hauptfaktor für
die Erhöhung der Leistungen des Vorderladers war
also die bessere Ausbohrung des Laufes. Die Ge«
schichte der Kriegskunst begegnet nun der über«
raschenden Erscheinung, daß vom Luntenschloß«
gewehr zwei Arten nebeneinander in Gebrauch
geblieben sind, die sich im System glichen und nur
in der Qualität der Ausführung verschieden waren.
Die unterscheidenden Merkmale der besseren, als
„Muskete“ bekannten Art sieht die Tradition in
größerem Kaliber und größerem Gewicht, welch
letzteres denn den Gebrauch der Gewehrgabel nötig
gemacht habe. Gegen diese Rolle des Gewichts habe
ich schon im Zeughausführer von 1914 Skepsis an«
gemeldet (S. 83), als eine Nachwiegung der Zeughaus«
exemplare ergab, daß sie durchschnittlich bei dem
starken Kaliber von 18—19 mm nicht mehr wiegen
als ein heutiges deutsches Infanteriegewehr. Für die
 
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