Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 2): Eingeweide (Einschliesslich periphere Leitungsbahnen, I. Teil) — Berlin, Heidelberg, 1924

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.15150#0030

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vestibulum oris.

21

nachzutragen, zunächst wie die einheitliche Weichteilwand aus verschiedenen
getrennten Bausteinen aufgebaut wird, weil dies noch im äußeren Relief der
Lippen, z. B. im Philtrum, andeutungsweise zutage tritt, ferner weil innere
Kanäle des Kopfes, z. B. der Tränennasengang, dadurch erklärt werden und
weil gewisse Mißbildungen des Menschen, die nicht seltenen Gesichts- und Lippen-
spalten, auf der komplexen Zusammensetzung des ganzen Gesichtes beruhen
können. Gerade diese Mißbildungen sind wertvolle Zeugen für die Art der Ent-
stehung der Lippen, der ganzen Weichteilmaske des Gesichtes und der Be-
ziehungen der Weich- zu den Hartteilen des Kopfes (zum Zwischenkiefer und
knöchernen Gaumen); sie sind eine Ergänzung für die Beweismittel der indivi-
duellen Entwicklungsgeschichte und als eine Art von Naturexperimenten
besonders bedeutsam.

Beim Embryo entstehen zu beiden Seiten des Vorderkopfes zwei ektodermale
flache Dellen (Bd. I, Abb. 8), die später zu tiefen Gruben und Röhren in das
Innere einwachsen, die beiden Riechgruben resp. Nasenschläuche. Wir
werden bei der Bildung der Nasenhöhle und des Gaumens von ihnen Näheres
erfahren. Hier genügt, daß die Riechgruben, indem sich jede auf die Muncl-
bucht hin als Nasenrinne ausdehnt, äußerlich den ganzen Vorderkopf in drei
Felder zerlegen: den unpaaren mittleren Nasenfortsatz zwischen den beiden
Riechgruben und Nasenrinnen (Abb. 12b, violett) und die paarigen seitlichen
Nasenfortsätze außen von ihm (blau). Die letzteren werden von außen
durch je einen Fortsatz des ersten Viszeralbogens (rot) erreicht. Anfänglich
liegen beim Embryo alle Viszeralbogen als parallele Spangen in Reih und Glied
nebeneinander (Abb. 12a). Der erste in der Reihe, der Kieferbogen, ent-
sendet früh einen gegen das Auge gerichteten Fortsatz, den Oberkiefer-
fortsatz (rot, siehe auch Bd. I, Abb. 151), welcher immer stärker gegen den
in loco verbliebenen Rest des Mandibularbogens, den Unterkiefer, abknickt
und schließlich fast parallel zu ihm liegt, zwischen Unterkiefer und Auge
(Bd. I, Abb. 8). Man muß sich hüten, zu dieser Zeit die beiden neben-
einander liegenden Hälften des 1. Bogens als zwei selbständige Bogen zu zählen.
Sieht man sich den Embryo so an, daß man den Eingang zur Mundbueht
überblickt (Abb. 12b), so ist deutlich, daß die beiden Mandibularbögen
wie zwei eng zusammengekniffene, liegende V von beiden Seiten die Mund-
bucht umrahmen (oberer Schenkel des V rot, unterer grün). Der Oberkiefer-
fortsatz schiebt sich so weit gegen den mittleren Nasenfortsatz vor, daß der
seitliche Nasenfortsatz die Oberlippe und den Mundrand nicht erreichen kann.

Vergleichen wir die mit entsprechenden Farben bezeichneten Flächen des
Gesichts beim Erwachsenen (Abb. 12c, d) mit denjenigen des Embryo, so ergibt
sich, daß die Oberlippe aus drei Anlagen entsteht (dem mittleren Nasen-
fortsatz entspricht das Philtrum), daß ebenso die weiche Nase aus drei
Anlagen hervorgeht (dem mittleren Nasenfortsatz entspricht die Nasenspitze,
den seitlichen entsprechen die Nasenflügel), und daß die Unterlippe nur aus
zwei Anlagen zusammengesetzt wird.

Die Mundöffnung ist anfänglich viel breiter als später: sie verwächst von
den Winkeln her, indem die häutigen Ober- und Unterkiefer miteinander ver-
löten. Die Mundspalte reicht schließlich beiderseits bis zum Eckzahn; bleibt
die Verwachsung aus, so ist der Mund ungewöhnlich breit, geht sie weiter
als normal, so wird er abnorm schmal (Makro- und Mikrostomie). Bleiben
die Verwachsungen der genannten Komponenten der Gesichts- und Lippen-
anlagen aus, so entstehen angeborene Gesichts- und Lippenspalten.

Die Grenzen zwischen den einzelnen Weichteillappen, welche das G-esicht zu-
sammensetzen, sind beim menschlichen Embryo durch tiefe Furchen gekennzeichnet,
von welchen die einen sich als solide Epithellamellen bis in die epitheliale Auskleidung
 
Annotationen