Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 2): Eingeweide (Einschliesslich periphere Leitungsbahnen, I. Teil) — Berlin, Heidelberg, 1924

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15150#0648

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gestalt und allgemeiner Bau.

639

des fötalen Kreislaufes befördern das Wachstum des Gehirns und der wichtigsten
Sinnesorgane vor demjenigen Teil des Bewegungsapparates, welcher später zur
Lokomotion dient. Sie sind Mittel zur rechtzeitigen Fertigstellung der für
das postfötale Leben wichtigsten Organe, um das Kind durch die Sinnes-
pforten in Beziehung zur Außenwelt zu setzen und um das Zusammenspiel
der Organe zum Gesamtorganismus durch das Gehirn sicherzustellen. Die Beine
hinken als die entbehrlicheren Teile nach, das Kind lernt erst verhältnismäßig
spät laufen. Die Besonderheiten des fötalen Herzens der Warmblüter sind also
Anpassungen an die Art ihres Wachstums und dadurch unterschieden von
den Besonderheiten des Herzens der Kaltblüter.

Der zentrale Verteiler für die beiden Blutsorten (arterielles und venöses Blut)
ist nach der G-eburt lediglich das Herz. Vor der Geburt ist dagegen die ganze Aorta
mit beteiligt. Die Mischung des aus dem linken Herzen kommenden arteriellen
Blutes mit dem aus dem rechten Herzen kommenden venösen Blute wird beim
Embryo außerhalb des Herzens vollzogen, da wo der Ductus arteriosus Botalli
und die Aorta sich vereinigen (Abb. 304). Die Trennung des an dieser Stelle
gemischten Blutes in denjenigen Strang, welcher zur Plazenta zurückführt und
denjenigen, welcher in die untere Körperhälfte leitet, findet sogar sehr weit vom
Herzen entfernt statt (innerhalb des kleinen Beckens, beim Abgang der Arteria
umbilicalis von der Arteria hypogastrica, Bd. III). In Abb. 306a sind die sämtlichen
Verteilungsstellen schematisch in das Zentrum der Figur verlegt, wie wenn ein
zentraler Verteiler gleich dem Herzen des Erwachsenen auch beim Fötus existierte.
Man sieht daraus, wieviel komplizierter das fötale Herz gebaut wäre, als es ist,
wenn es tatsächlich ein zentraler Verteiler wäre. Indem wichtige Verteilungs-
stellen außerhalb liegen, ist sein Bau relativ einfach. Der Kreislauf verhält sich
beim Fötus ähnlich wie ein System von Kleinbahnen mit zahlreichen Abzweigungen
und Stationen; an seine Stelle tritt nach der Geburt eine Großbahn in Form einer
Schleife mit einer einzigen Gleisüberkreuzung an einem einzigen Knotenpunkt.
Störungen im Betrieb sind beim Erwachsenen viel eingreifender, weil sein hoch
organisierter Kreislauf zwar sehr viel einfacher arbeitet, wenn alles in Ordnung
ist, aber nicht die Ausgleichsmögiichkeiten hat wie der fötale Kreislauf mit seinen
vielen Kreuzungen und Verteilungen. Viele Früchte mit angeborenen Herzfehlern
leben daher bis zur Geburt, sterben aber in den ersten Lebenstagen und -Wochen,
wenn der endgültige Betrieb in Gang kommen soll.

II. Das fertige Herz.

1. Äußere Gestalt und Bau im allgemeinen.

Aus den vorausgegangenen Schilderungen ist als Hauptergebnis für das Beziehung

-i zwischen

fertige Herz seine innere Einteilung in vier Räume festzuhalten, zwei Vor- innen-;
kammern, Atrien, und zwei Kammern, Ventrikel. Die beiden Atrien Außenfora
sind die Empfänger, in welche das Blut von außerhalb des Herzens einströmt;
die beiden Ventrikel sind die Hauptpumpstationen, welche das Blut aus dem
Herzen heraustreiben. Sowohl die Atrien wie auch die Ventrikel sind gegen-
einander durch Zwischenwände abgegrenzt, dagegen führt von jedem Vorhof
in den Ventrikel derselben Herzseite eine Öffnung, Ostium atrioventri-
culare. Beim lebenden Herzen sieht man eine Zusammenziehung der Ventrikel,
Systole, gleichzeitig mit einer Erweiterung der Vorhöfe, Diastole. Die Vor-
höfe füllen sich in diesem Zustand mit Blut, während sich die Ventrikel ent-
leeren. Darauf treten die Ventrikel in Diastole und die Vorhöfe in Systole,
d. h. das Blut strömt aus den sich kontrahierenden Atrien durch die Öffnungen
zwischen Vorhof und Ventrikel in die letzteren, weil sie inzwischen erschlafft
sind.

Man nennt die Öffnungen, welche von den Vorhöfen in die Ventrikel hinein-
führen, venöse Pforten, Ostia venosa, die aus den Ventrikeln in die Arterien
führenden Öffnungen heißen arterielle Pforten, Ostia arteriosa (Abb. 314).
Diese Bezeichnungsweise entspricht der Benennung der Gefäße, welche das Blut
 
Annotationen