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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 2): Eingeweide (Einschliesslich periphere Leitungsbahnen, I. Teil) — Berlin, Heidelberg, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.15150#0624

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Gefäß Verästelungen und -Vereinigungen.

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dynamische Einwirkung. Bei den Arterien ist die Dicke und der Bau der
Wandung und die Weite und Gestalt der Lichtung (ob der Querschnitt kreis-
förmig oder elliptisch ist) hämodynamisch bestimmt. Wir haben im vorigen
Kapitel dafür Beispiele kennen gelernt. Hier haben wir noch die Art des
Astursprungs und die ganze Art der Astabgabe, welche deutlich funktionell
beeinflußt sind, zu betrachten. Das Prinzip, welches darin waltet, fassen wir
dahin zusammen, daß das Blut mit geringstem Kraftverbrauch durch die
Arterien verteilt wird. Verluste an lebendiger Kraft durch Reibungen an vor-
springenden Kanten oder durch Wirbel werden vermieden, indem die
Arterienwand immer genau einem möglichst ungehemmten Verlauf des Blut-
stromes angepaßt ist. Auch in den ,,Internodien" zwischen den Stellen der
Ast abgäbe fehlen scharfe Knicke; sanfte Biegungen sind die Regel.

Die Pathologie der Blut bahn hat vortreffliche Belege dafür geliefert, daß
der Blutstrom selbst die ihm günstigste Gefäßform erzwingt, daß sie mechanisch
im individuellen Leben bedingt ist. Allerdings sind uns die wirkenden Faktoren
im einzelnen nicht bekannt. Ich hebe im folgenden die besonders klaren Fälle
hervor.

Berechnet man den Mittelwert von mehreren Millionen Ästen, in welche sich
ein Arterienstamm aufteilt, was unter gewissen Voraussetzungen gelungen ist,
so erhält man eine Zahl, welche den errechneten optimalen Bedingungen für die
Fortbewegung der Blutsäule sehr nahe kommt oder vielleicht identisch mit ihr ist.
Der Gesamtquerschnitt der Äste nimmt gegenüber dem Querschnitt des Haupt -
Stammes zu. Das Verhältnis des ersteren zum letzteren sollte zwischen 1,2 und
1,4 liegen, um optimale Bedingungen zu sichern; gefunden wurde 1,23—1,28
(,, Querschnittsquotient").

Die Äste, welche von einem Hauptstamm seitlich abzweigen, haben ganz Ursprungs-
unabhängig von ihrer weiteren Verlaufsrichtung eine ganz bestimmt gerichtete
und geformte Anfangsstrecke. Sie steht in bestimmtem Winkel zur Achse
des Hauptstammes und ist nicht zylindrisch geformt, wie es der Menge des
der Peripherie zufließenden Blutes adäquat zu sein scheint, sondern ist konisch
verjüngt, daher Ursprungskegel genannt. Läßt man Wasser durch ein
zylindrisches starres Rohr fließen und läßt man den Strahl aus einem ovalen
Loch in der Seite des Rohres frei herausspringen, so zeigt er die gleiche Richtung
und Verjüngung wie der Ursprungskegel der Arterien. Die Arterienwand ist,
wenn sie nicht durch die umliegenden Organe gestört ist, vollkommen den
hydraulischen Kräften angepaßt, welche die Form des frei aus dem Loch des
Modelles herausspringenden Strahles bedingt. Sie ist nicht im Wege, die
Blutbewegung vollzieht sich reibungslos.

Sowohl der hydrodynamisch bedingte Winkel an jeder Stelle der Blutbahn
wie auch die Gestalt der Abgangsstelle hängen ab von der vitalen Empfindlich-
keit des Endothels, welches sich so richtet, daß es vom Blutstrom möglichst
wenig gestoßen wird. Die Akzessoria paßt sich den Formänderungen des Endo-
thels an. So können bestehende Astwinkel und Koni nachträglich umgeändert
werden, wenn sich die Blutgeschwindigkeit oder die Gestalt der vorausgehenden
Strecke der Blutbahn ändern, wie es in pathologischen Zuständen häufig der
Fall ist.

Das Endothel hält dem nicht geringen Seitendruck der strömenden Flüssigkeit
stand, weicht aber vor dem schwächsten Flüssigkeitsstoß aus und wird dadurch der
Ausgangspunkt für Neugestaltungen, wenn sich die Strömung ändert. Diese Gegen-
sätzlichkeit im Verhalten ist eine wunderbare vitale Eigenschaft, die auch sonst
bei der Reaktion der Zellen auf Reize bekannt ist, z. B. bei den Knochenbildungs-
zellen (Bd. I, S. 57).

Gewöhnlich nimmt man bei der Verästelung einer Arterie nur den Winkel .. Xer-
wahr, welchen die Mutter- und Tochterarterie bis zu ihrer folgenden Gabelung und
miteinander bilden: Verlaufswinkel. Er ist meistens von Anfang an fest- ^inkef'
 
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