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Heidelberger Beobachter: Kampfblatt der Nationalsozialisten für Odenwald und Bauland (1 (September-Dezember)) — 1931

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1, Iahrg. / Ar. 120

Seit« D

Donnerstag, den 17, September 1831

Ist Pfarrer Senn geistig normal?
Eine Studie, verfaßt von — ihm selbst.

Dem „Führer" entnehmen Mir:
Als Pfarrer Senn vor wenigen Wochen seine
Broschüre „Katholizismus und Nationalsozialis-
mus" herausgab, da verschlug es den durch sie
blotzgestellten Zentrumspolitikern in den Parla-
menten und in der Presse zunächst einmal für
einige Tage die Sprache. Als sie wiederkehrte,
waren es zunächst Argumente gegen den Verlag,
gegen die Lettern und gegen sonstige äußere und
formelle Dinge der Sennbroschüre, die man in
den Spalten der Zentrumspresse lesen konnte.
An den Inhalt wagte man sich nicht heran; be-
greiflich, denn dieser Inhalt war so stark, so über-
zeugend und so unwiderlegbar, daß jeder ver-
such, ihm geistige Argumente entgegenzujetzen,
auch im keime zum Scheitern verurteilt war. So
ist bis heute noch kein versuch gemacht worden,
kritisch Stellung zu nehmen zu der berechtigten
Kritik des murigen Pfarrers Senn an Haltung
und Taktik der Zentrumspresse.
Aber nach altbewährter Zentrumsmethode
verlegte man sich nun auf persönliche Gehässig-
keiten, und wie wir berichtet haben, ging man
darin so weit, Pfarrer Senn kurzerhand für
geistig nicht normal zu erklären, wir haben ver-
öffentlicht, daß der Thefredakteur der „Badischen
Beobachter", der politische Geistliche Rat Meyer,
den zweifelhaften Ruhm hat, mit dieser Kampf-
taktik schon am Tage nach der Veröffentlichung
der Broschüre in trautem kreis begonnen zu
haben.
In unserem Badischen Zentralorgan, dem
„Führer" nimmt Pfarrer Senn selbst zu dieser
unerhörten Verleumdung, die übrigens nach
seinen Mitteilungen auch auf verschiedenen, Ent-
schließungen fassenden" Dekanats-Kleruskonfe-
renzen eine Rolle gespielt hat, ausführlich
Stellung. Und da auch durch die Spalten des
„christlichen" Pfälzer Boten hier die Andeutungen
über die geistige Unzurechnungsfähigkeit des
Pfarrer Senn gingen, dürfen wir wohl das Ein-
verständnis des Verfassers voraussetzen, wenn
wir seine ausgezeichnete Stellungnahme zu dieser
frechen Verleumdung der Öffentlichkeit unter-
breiten. Die Schriftleitung.
Ls ist doch gut, wenn dafür gesorgt wird, daß
auch in trüben Tagen ein gesunder Humor noch auf
seine Rechnung kommt.
während ich voll Spannung der Broschüre oder
dem Such entgegensetze, worin haarscharf Punkt für
Punkt nachgewiesen wird, daß Pfarrer Senn in seiner
„unglaublichen" (Bad. Beobachter!) Rede an den
deutschen Katholizismus nur baren Unsinn verzapft
hat, muß ich in den letzten Tagen die Erfahrung
machen, daß man einen anderen Weg anscheinend für
ratsamer, praktischer und bequemer hält: Man erklärt
einfach den Pfarrer Senn für — verrückt. Dann
liegt die Sache ja außerordentlich einfach. Ist Pfarrer
Senn verrückt — dann ist natürlich auch alles was er
schreibt verrückt - und dann kann man im Zentrum
ruhig weiter schlummern. Die Angelegenheit ist
„erledigt".
Und wenn von dieser „unglaublichen" Rede in
der fast unglaublich kurzen Zeit von kaum 14 Tagen
eine Auflage in einer unglaublichen höhe — ver-
griffen war — nun — dann ist das eben noch — ver-
rückter !
Und wenn ein Mann wie der Universitäts-
professor vr. Johannes Stark, Träger des Nobel-
preises, von meiner Broschüre schrieb: „Sie ist nach
Form und Inhalt eine ganz hervorragende Leistung"
und „Ich brauche Ihnen wohl nicht im einzelnen dar-
zulegen, daß ich in allen grundsätzlichen Auffassungen
mit Ihnen übereinstimme" — so ist dieser Mann eben
— Protestant! (Bad. Beobachter!).
Ich habe in den ersten Sätzen meiner Rede er-
klärt, daß ich mir der Bedeutung und Tragweite
meines vorgehens vollkommen bewußt bin, daß ich
die Verantwortung in vollem Umfang übernehme
und niemals auf „mildernde Umstände" Anspruch
machen würde, von diesem Satze gilt das Pilatus-
wort: „was ich geschrieben habe, habe ich ge-
schrieben ! (Damit ist nicht gesagt, daß — wenn Miß-
verständnisse entstehen, wenn Dinge au; meiner
Schrift herausgelesen werden, die ich nicht hineinlegen
wollte — ich nicht bereit wäre, das richtigzustellen.
Ich war fest entschlossen, die Folgen meines
Schrittes möglichst ruhig und — möglichst still zu
tragen.
Ich kann aber, nachdem ich selbst auf „mildernde
Umstände" verzichtet habe, nie und nimmermehr zu-
geben, daß — selbstverständlich aus brüderlicher
Liebe — der „mildernde Umstand" für mich geltend
gemacht wird — ich sei geistig nicht normal, d. h. auf
gut deutsch, ich sei — verrückt.
Für diesen „mildernden Umstand" soll z. V. der
Chefredakteur eines führenden badischen Zentrums-
blattes auf der Fahrt zum Nürnberger Katholikentag
im V-Zugwagen — dessen Wände leider anscheinend
Ohren hatten — sehr eifrig plädiert haben. Auch
in der presse und auf Kleruskonferenzen wurde schon
mehr oder weniger deutlich —, um den Pfarrer Senn
zu entlasten — auf diesen „mildernden Umstand"
hingewiesen.
So glaubte ein Kursgenosse von mir auf einer
großen Konferenz der Breisgau-Dekanate Mitteilen
Zu müssen, ich sei schon als Student im theologischen
konvitt in Freiburg aufgefallen und zum Extrem
' geneigt gewesen. Je nun! ein Musterknabe war ich
nie und wollte es nie sein. Im Gegenteil, ich hatte"
immer eine -geheime Antipathie gegen solche, Ich
weiß, daß man heute vielfach auf dem Standpunkt,
steht: nur nicht auffallen d Ich kann diefen Stand-
punkt nicht teilen. Ich kann iogar uerraien, dah rch
- rhn fachem wenig hassen-möchte. Ich-habe-die-Ücher-
zeugung.-daß bei möglichst freier Entfaltung der Per-'
sönlichkeit. immer- noch das Größte, WleistA werden
' Vaterland,'und. Kirche: Ist ein Franziskus
Echt-„autzefackl«ü" als,er Hie,seidenen,k1eid«ck quszog
-MS sich: in°^echer.eHpBM^»pzEkKsMeNkI^pPitz

einer dunkeln Kutte gürtete? Ist nicht Franziska
(von Chantal!) „aufgefallen", als sie über ihrem
weinenden Sohn, der sich vor die Türschwelle ge-
worfen hatte, hinwegschritt — dem von Gott ge-
steckten Ziele entgegen? Es fällt mir natürlich nicht
im Traume ein, mich irgendwie mit solchen Personen
vergleichen zu wollen. Aber man wird schon die Frage
stellen dürfen: sind nicht gerade heilige der Kirche
häufig sehr stark „ausgefallen" ? haben nicht heilige
und Männer, die Großes für das Keich Gottes ge-
leistet haben, manchmal eine sehr auffallende „Extra-
tour" getanzt, die ihnen sehr verübelt und später
sehr — verdankt wurde? So war es und so wird es
auch wohl bleiben. Solange Mozarts unsterbliche
Figaro-Melodien erklingen, wird es auch Verhältnisse
geben, die es notwendig machen — „ein Tänzchen
zu wagen".
Ich will absolut nicht bestreiten, daß Pfarrer
Senn als Student im theologischen Konvikt ein wenig
„aufgefallen" ist — so redlich er sich auch bemühte,
es zu vermeiden. Das mochte in seiner Naturanlage
schon beruhen, besonders aber in dem Umstand, daß
er auf eine andere Vergangenheit zurücksah wie seine
Mitstudenten. Lange Jahre fuhr er von Hemsbach
an der schönen Bergstraße mit dem Rad nach Bens-
heim ins Gymnasium. Da er — aus leicht begreif-
lichen Gründen — keinen Freund und Kameraden
hatte, wurden Dichter und Natur seine großen
Freunde. Darauf funktionierte er 4 Jahre als badischer
Finanzbeamter. (Es war vielleicht ein Fehler von ihm
dieses Metier — das ihn allerdings, wie er befürchtete,
wirklich verrückt hätte machen können — aufzugeben.
Bei seinem — wie man sagt — ganz anständigen
Redetalent hätte er es (in Vaden!) mit ziemlicher
Gewißheit zum — Zinanzminister bringen können,
mit der ebenfalls ziemlich begründeten Aussicht —
nach Berlin exportiert zu werden!).
Auch als Beamter fand er keinen Freund. An
drei ältere Männer mit edelm goldenen Herzen schloß
er sich näher an. Die jungen Beamten, mit denen er
zusammentraf, waren teils geistig so hohl und ober-
flächlich, teils sittlich so angekränkelt, daß er keinen
Freund unter ihnen fand. Nur einmal hätte er bei-
nahe einen gefunden. In einer stillen Abendstunde
kam ein junger Beamter aus Karlsruhe, den ich kaum
kannte, zu mir, um sich zu verabschieden. Ich weiß
nicht, wie es gekommen ist, daß er mir sein Herz aus-
schüttete. Sein Vater hatte Bankrott ansagen müssen.
Der Sohn hatte eine Stellung in Afrika angenommen.
Der besser bezahlte Posten in den Kolonien sollte ihm
die Mittel verschaffen, die Gläubiger seines Vaters
voll zu befriedigen und jeden Makel vom Namen
seines Vaters voll zu tilgen. Damals ging mir ein
Stich durchs Herz. Das wäre ein Freund für Dich
gewesen und — der zieht morgen in so weite Fernen!
Wenn nun zu einem — vielleicht angeborenen —
hange zur Besinnlichkeit und Einsamkeit solche Lebens-
umstände hinzÄtreten, — ist es dann ein Wunder,
wenn dies — meinem Alter, wo der Mensch immerhin
sich schon als mehr oder weniger abgeschlossene Per-
sönlichkeit zu präsentieren pflegt — trotz redlichen
Bemühens nicht ganz verborgen werden konnte?
Übrigens kann ich mich nicht erinnern, daß ich je-
mals einen „diesbezüglichen" Tadel von meinen
Vorgesetzten erhalten hätte. Ich kann mich auch
keiner bewußten Verstöße in dieser Beziehung er-
innern, außer daß ich — einigemale der Versuchung
nicht widerstehen konnte, allein einen Spaziergang
in die Wälder Freiburgs zu unternehmen, obwohl
mir dies sehr verübelt werden konnte.... kann man
sich unter allen Bedingungen nur zu zweien erholen?
Muß denn wirklich immer geredet sein? Eine gleich-
gültige geistlose Unterhaltung war mir immer zuwider
und ist mir immer mehr zur Oual geworden. In
meiner Jugend hörte ich einmal einen Scherz des
bekannten humorvollen p. Koh 5. Ii In der Eisen-
bahn stellte ein Herr an P. Roh die Krage: „Herr
Pater! Man sagt, Sie seien so gescheit, können Sie
mir vielleicht sagen, weshalb mein Bart ganz weiß
und mein Haupthaar noch ganz schwarz ist?" Schlag-
fertig gab p. Roh zur Antwort: „Lieber Herr — das
kommt daher, weil Sie in Ihrem Leben sehr viel
geredet und sehr wenig — gedacht haben!"
Muß denn wirklich alles über einen Kamm ge-
schoren sein? Müssen auch wir vor einem sich immer
breiter machenden widerlichen „Herdenmenschentum"
Position um Position räumen?
Sagt nicht das Sprichwort: „Reden ist Silber,
Schweigen ist Gold?"
Und — hat nicht die Kirche in dem Verzeichnis
ihrer heiligen eine recht ansehnliche Schar von Ein-
siedlern? hat man nicht dem Pfarrer Senn — als er
noch Student der Gottesgelehrtheit war — ein Lehr-
buch der Kirchengeschichte empfohlen, in welchem mit
Stolz heroorgehoben war, daß in einer Blütezeit des
Lhristentums „die Einöden Ägyptens mit Ein-
siedlern bevölkert gewesen seien?" Und wenn heute
der Pfarrer Senn einiges Talent für Einsiedlerleben
nicht ganz verbergen kann, dann „fällt das unliebsam
auf", dann beansprucht man das Recht, ihn als
„Sonderling" in der Öffentlichkeit zu diskreditieren
oder gar als „geistig nicht normal" der gütigen Nach-
sicht des Publikums zu empfehlen. „Erkläre mir, Graf
Orindur — diesen Zwiespalt der Natur!"
Man hat auf jener Breisgaukonferenz gemeint,
bemängeln zu müssen, daß Pfarrer Senn schon als
Theologiestüdent zu extrem gewesen sei in seinen
idealistischen Forderungen.
Ich Mß befürchten, "daß dadurch der Eindruck
in der Öffentlichkeit erweckt werden soll, als sei
Pfarrer Senn schon damals das gewesen, was "man
etwa unter einem „verschrobenen" Menschen versteht!
Dann will ich — man verzeihe diesen Akt der Not-
wehr —nur darauf Hinweisen, daß ». Schofer
diesem „verschrobenen Menschen" persönlich mit-
teilte, er habe — das beste Examen gemacht!
Ich habe hier aber, noch etwas/mähr zu sagen:
Ichchabe-bis ztz dieser Breisgaukonfetenz nicht gewußt,
: Haß überschäumender Idealismus in einer Züwg-
. üngsbrust, als: «in bedauerlfihes Manko gewertet
wird. . 'ürx i

Ich bin stolz auf jenen Idealismus und bin noch
stolzer — daß er auch heute noch nicht gebrochen ist.
Mit jeder Faser meines Herzens kämpfe ich
dagegen, daß ein weithin gültiges Dichterwort sich
nicht auch an mir erfülle: „In den Ozean steuert mit
tausend Masten der Jüngling — Still, auf gerettetem
Kahn — kehrt in den Hafen der Greis." Die tausend
Masten ragen noch und die Segel sind vom Sturm-
wind praller geschwellt denn je!
Ich glaube an die Macht der vaterländischen
Idee, ich glaube an die Allmacht der christlichen
Idee, hinter der der Herrgott selber steht. Ich
glaube an mein deutsches Volk. Ich glaube an den
deutschen Katholizismus — wenn er erlöst ist aus
bleierner Lähmung, in die verhängnisvolle Zen-
trumspolitik ihn geschlagen.
Tausend Masten ragen noch und tausend Segel
sind vom Sturmwind praller geschwellt denn je.
Und Millionen sind bereit in stürmischer Be-
geisterung die Sturmesfahrt zu wagen.
Und wenn der Herrgott will — dann werden
wir die Segel nicht einziehen müssen.
Und wenn der Herrgott barmherzig ist, dann
wird die Fahrt gelingen.
Und wenn der Herrgott gütig ist — dann wird,
bevor die Todeswelle uns vom Deck spült, an unser
Ohr dringen der kolumbusruf: Land! Neues Land!
Da man den Pfarrer Senn um jeden Preis „ver-
rückt" haben möchte — womit dann der General-
beweis für die Verrücktheit seiner „unglaublichen"
Rede an den deutschen Katholizismus nach der
Meinung mancher Leute erbracht wäre — greift man
nach jedem Mittelchen, das man diesem Zwecke dien-
lich machen zu können glaubt.
So haben mir z. 8. die Wände eines Eisenbahn-
wagens wiedererzählt, daß der schon erwähnte V-Zug-
Lhefredakteur-Karlsruhe—Nürnberg seinem Gegen-
über den magischen Schlüssel zum Verständnis meiner
Rede an den deutschen Katholizismus überreichte mit
dem Hinweis — daß Pfarrer Senn schon 14 Tage in
der Illenau geweilt habe. (Bekannte Anstalt für
Geisteskranke!).
Jetzt werden vielleicht sogar manche Leser etwas
kopfscheu und nachdenklich. Nun — ich will sie gleich
beruhigen und mitteilen, daß das nicht stimmt. Es ist
nicht richtig, daß ich 14 Tage in der Illenau war —
ich war sogar 6 volle Wochen dort.
Und das kam so:
Während des Krieges hatte ich allein die Pfarrei
heidelberg-handschuhsheim zu verwalten. Außerder
für eine einzige Kraft wirklich genügenden pasto-
rationsarbeit hatte ich drei Lazarette zu versehen.
Eines davon war das Hotel „Siebenmühlental", das
ich zusammen mit dem mir unvergeßlichen, edlen
evang. Stadtpfarrer Gilg zu einem „Genesungsheim"
für unsere Soldaten eingerichtet hatte. Außerdem
wirkte ich eifrig mit in dem Ausschuß zur Veranstaltung
vaterländischer Volksabende. Die Anstrengung war
zu groß. Ich fühlte meine Kräfte zusammenbrechen
und mußte um einen längeren Erholungsurlaub ein-
kommen, der mir bereitwillig gewährt wurde. Ich
hatte vor, nach Wörrishofen oder der Kneippanstalt
Iordansbad zu gehen. An eine Anfrage bei letzterer
Anstalt erinnere ich mich noch: Pensionspreis 12 Mk.
und — wegen Überfüllung noch einige Wochen
warten! Warten wollte ich nicht — es war schon
Ende August — und bei kaum 2000 Mk. Einkommen
und einigen tausend Mark Schulden 12 Mk. zahlen —
das konnte ich nicht!


Heraus
aus dem Zentrum!
Hinein
in die NSDAP.!


va gab mir Erzbischof Thomas selbst den
guten Rat: „Genieren Sie sich doch nicht und gehen
Sie nach der Illenau. Dort werden gegenwärtig auch
erholungsbedürftige Staatsbeamte, Offiziere usw. als
Kurgäste angenommen und — brauchen nur die
Hälfte des normalen Preises — 5 Mark zu bezahlen.
Domkapitular N. N. war schon wiederholt dort und
war sehr zufrieden."
Ich bin dem väterlichen Rate meines Bischofs
gefolgt und habe es wirklich nicht bereut, an diesem
wunderherrlichen Fleckchen Erde sechs Wochen geweilt
zu haben. An der Tafelrunde fanden sich Offiziere,
hohe Beamte, ein früherer „Weltenbummler", der die
empfehlenwertesten Hotels auf dem ganzen Erdball
nennen konnte, und — ein junger Künstler, ein Maler,
dem eine großzügige Regierung einen langen Auf-
enthalt in diesem Paradies ermöglicht hatte, wo er
fleißig seiner Kunst oblag.
Da habe ich mich an gehobener und geistvoller
Unterhaltung recht lebhaft beteiligt und auch hie und
da einen kleinen Redesträuß ausgefochten. Spazieren
gegangen bin ich aber — fast immer allein!
Und nun - Herr Chefredakteur! Hand aufs
Herz! wenn ich-dieses, so günstige, so prächtige Sn-s
gebot ausgeschlage« hätte und nicht nach Illenau
gegangen wäre — hätten Sie dann nicht einen wirklich:
triftigen Grund, zu behaupten — ich sei „verrückt"'
, gewesen? '
: Der große Dichter Goethe ging oft zur Erholung
nach dein reizendenKie ckchen I lmenaü. - K'
M/:-tzMt.'„vMhindMegrotzoDichtrr" („PMZtztLote!")!
MrAO-rW ÄU - PMM-

Pfarrer Senn ging einmal zur Erholung nach dem
reizenden Fleckchen Illenau!
Herr t)-Zugs-Chefredakteur! Nur ein Buch-
stabe! Sie kennen gewiß gut bie hl. Schrift !
haben Sie wirklich geglaubt, baß — dieser
Buchstabe tötet?!!
Ein katholischer Priester geht so durchschnittlich
alle 14 Tage beichten. Als.Pfarrer Senn in Illenau
weilte, erkundigte er sich nach einem älteren frommen
Priester in der Umgebung. Zu diesem begab er sich
dann, zum Zwecke seine Sünden zu beichten.
Nun erfahre ich, daß eben dieser Priester — der
inzwischen eine andere Pfarrei erhalten hat — auf
dieser Vreisgaukonferenz sich erhoben und erklärt
habe: er habe Pfarrer Senn als Pfarrer in....
kennen gelernt, als er seiner Nerven wegen die
Illenauer Fachärzte aufsuchte. Da sei Pfarrer Senn
bald himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrübt
gewesen, hätte geäußert, er wüßte eigentlich nicht,
wozu er noch auf der Welt wäre. Man müsse also
sein Auftreten mit der Schrift als „pathologisch"
erklären.
wie ein Priester, den ich nur aufsuchte, um bei
ihm zu beichten, so etwas sagen kann, ist mir un-
begreiflich. hierüber will ich schweigen.
Folgendes aber soll gesagt sein:
Pfarrer Senn hat keine Illenauer Fachärzte
ausgesucht. Die „Fachärzte", die er suchte waren
einzig: Ruhe und Natur. Und die haben ihn in
wenig Wochen gründlich kuriert, von „ärztlicher Be-
handlung" in Illenau ist ihm nichts bekannt — wenn
man nicht jenes Gläschen, das den Kurgästen am
Abend gereicht wurde und das wir scherzend unsern
„Baldrianschnaps" (für einen gesunden Schlaf!)
nannten als „ärztliche Behandlung" angesprochen
werden soll.
Wenn in jener herrlichen Gotteswelt, jener Ruhe
und jenem Frieden mir eine stille Heiterkeit geschenkt
wurde, so bin ich dem Herrgott noch heute dafür dank-
bar. Das gibt aber noch kein Recht, so zu sprechen,
als hätte ich im Pfarrhause dieses Herrn vor aus-
gelassener Freude die reinstenpurzelbäume geschlagen.
Eher will ich zugeben, daß ich manchmal nieder-
geschlagen und betrübt war — wenn auch nicht zu
Tode. Es war damals September 1918! Unsere
Heere waren geschlagen und zogen unaufhaltsam
zurück. Die ungeheuerste Katastrophe ballte sich
über unserem Vaterland zusammen....
hat man da nicht das Recht — ein wenig be-
trübt zu sein? Und wäre ich zu „Tode betrübt" ge-
wesen — ich würde mich dessen nicht schämen,
höchstens hätte ich mich bemüht, es etwas besser zu
verbergen, damit nicht 13 Jahre später eine Kon-
ferenz kommt und — daraus schließt, daß der
Pfarrer Senn — geistig nicht normal sei! Die
Äußerung „er wisse nicht, wozu er auf der Welt sei",
bestreitet Pfarrer Senn mit tausend Eiden. Er hat
sein ganzes Leben lang gewußt, wozu er aus der
Welt ist.
Er hat vielleicht auch schon gewünscht und ge-
äußert: ich möchte nicht mehr auf dieser Welt sein.
Das bestreiret er nicht. Das hat — natürlich in un-
endlich vollkommener Form — auch St. Paulus getan,
als er rief, er wolle aufgelöst und bei Lhristus sein.
Pfarrer Senn bezweifelt aber sehr, ob er das jeman-
den, den er kaum kennt, auf die Nase bindet.
Übrigens sei diesem Herrn zu seiner Beruhigung
mitgeteilt, daß Pfarrer Senn noch nie in seinem
Leben so gut gewußt hat, wozu er auf der Welt ist
als — gerade heute!
Damit die Idylle von Illenau aber keinen tra-
gischen Ausgang mmmt — noch eine kleme Episode:
Der junge Maier, von dem ich vorhin sprach, ließ
mir keine Ruhe. Ich mußte ihm „sitzen". Ich hätte
einen so schönen — „Lutherkopf!" (Nachbarin, euer
Fläschchen! — für den Herrn Chefredakteur!).
Als mich der junge Maler später in Klehingen
besuchte, erzählte er mir, er habe die kleine Radierung
in Karlsruhe seinem Professor gezeigt. Der Herr
Professor habe sich hingesetzt, das Bild lange betrachtet
und dann gesagt: — Der Herr O-Zugs-Lhefredakteur
hoffet vielleicht schon, der Herr Professor habe gesagt
dieser Mann ist verrückt! — Leider nicht! Der Herr
Professor hat gesagt (Nachbarin, bitte, nochmals
euer Fläschchen!): „Das ist ein Mann der Zeder!
Was der Mann im Kopf hat — muß man lesen!!"
Pfarrer Senn läßt sich nicht für verrückt er-
klären. „Zentrums-Fachärzte" haben ihm die Diag-
nose gestellt und ihn für einen „anormalen" Zen-
trumsmann befunden.
Dagegen wird er keinen Rekurs ergreifen. Er
wird sich damit abzufinden wissen.
wenn aber „Zentrums-Fachärzte" ihn auf
seinen Geisteszustand untersuchen, von „psychischer
Anormalität" (Bad. Beobachter!) reden, ihn als
geistig nicht normal oder gar als „verrückt" erklären
wollen — dann wird er sich wehren.
verstanden!

Häuptschriftleiter: B. Seeger-Kelbe. — Verant-
wortlich für Reichspolitik, Wirtschaft, Beilagen,
Feuilleton und Romanteil: B. Seeger-Kelbe. —
Für badische Politik, Kommunalpolitik und Be-
wegüngsteil: Fritz Kaiser. — Für Lokales, Nah
und Fern, Sport: Ueberle. — Für Anzeigen:
Hammer. — Sämtliche in Heidelberg. --
Druckerei: Winter, Heidelberg.

Beachtet
„Sei-!8eo"-Kleiii-Alizeigeü
 
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