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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 4
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Liebermann, Max: Franz Krügers Porträt Ottos von Bismarck
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0174

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dort zu sehn, nur leider — keine Kunst. Natürlich
gaben die Dargestellten den Malern, und die Maler
den Auftraggebern die Schuld (selbstverständlich
bin ich der Meinung meiner Kollegen).

Jede Epoche hat die Kunst, die sie verdient,
und besonders die Bildnismalerei hängt ebensosehr
vom Geschmack des Publikums, wie von dem Talent
der Künstler ab. Wenn ein Rembrandt oder ein
Franz Hals aufständen, wer weiss ob unsern durch
die Photographie aufs Kleine und Kleinliche ein-
gestellten und der Grösse entwöhnten Augen ihre
Porträts gefallen würden.

Die Sammlung der Krügerschen Porträtzeich-
nungen zeugt ebenso für den Geschmack, der in
der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Berlin ge-
herrscht hat, wie für Krügers Talent. Oder sollte es
ein Zufall sein, dass von Friedrich Wilhelm III. bis
zum einfachen Bürger, jeder der in der glücklichen
Lage war, sich porträtieren lassen zu können, es sich
zur höchsten Ehre anrechnete, sein Bild von Krügers
Hand zu besitzen. Der König, die Prinzen und
Prinzessinnen, alle Koryphäen der Kunst und Wissen-
schaft, hohe Beamte, die reiche Bourgeoisie, die
Sterne der Bühne und des Sports — damals gab es
nur den Rennsport —, sind durch seinen Stift ver-
ewigt: das Berlin der dreissiger bis Ende der fünf-
ziger Jahre zieht in Krügers Zeichnungen an uns
vorüber.

Unsern Meister zeichnet ein eminenter „Wirk-
lichkeitssinn" aus, derselbe Wirklichkeitssinn, den
Goethe ■ für spezifisch Berlinisch erklärt hatte,

der ihn an zwei andern Berlinern, Schadow und
Rauch, so geärgert hatte, und der doch die Grund-
lage jeder wahren Kunst ist, wie Goethe selbst am
besten beweist. Krügers Porträts müssen sprechend
ähnlich gewesen sein, sonst würden sie nicht so
überzeugend auf den Beschauer wirken. So, wie
Krüger ihn dargestellt, hat der junge Otto von
Bismarck ausgesehn: ein pommersches Junkerlein
mit offenen Augen und offenem Sinn, wie es deren
viele gibt, keck und dreist in die Welt schauend,
wie etwa der Florentiner Junker, den Donatello
unter dem Namen des heiligen Georg verewigt hat.
Nichts von der Aufmachung oder Pose, mit denen
die englischen Modemaler des achtzehnten Jahr-
hunderts die jungen Adligen abkonterfeiten, und
die mit ihren übermässig grossen Augen und dem
Abendhimmel im Hintergrund den künftigen
grossen Staatsmann, oder den tiefen Dichter oder
Gelehrten in spe schon in den Kinderschuhen sehen
lassen.

Krüger zeichnet den jungen Bismarck mit der
ihm eigenen Treue und Gewissenhaftigkeit, die
vielleicht trocken und nüchtern ist, aber mit jener
Naivität, für die ich alle Virtuosität und den Van-
Dyck-Geschmack des Blue Boy — den ich wahr-
haftig nicht gering schätze —, geben würde. Aus
Krügers Zeichnungen atmet Natur: siesind,besonders
zu einer Zeit, in der es noch keine Photographie
gab, untrügliche Dokumente von der Hand eines
Künstlers, der in der Beschränkung grade sich als
Meister erweist.



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