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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 6
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Mackowsky, Hans: Schadows Büsten: aus Anlass der Berliner Schadowausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0288

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GOTTFRIED SCHADOW, HENRIETTE HERZ

Wieland. Als er ihn seiner Büste wegen 1802 auf
seinem Gute Ossmannstädt aufsuchte, empfing er
einen nachhaltigen Eindruck: „der erste deutsche
Gelehrte, der für mich etwas Dichterisches auch
in seinem Äussern hatte". Er porträtierte ihn vom
Alter leicht vorgebeugt mit seiner schwarzen Prä-
latenkappe, unter deren glatter Rundung die kurzen,
grauen Locken als die einzig reich bewegte Masse
die gross geschnittenen Flächen unterbrachen. Und
er lieh ihm jenen Ausdruck von nachdenklicher
Güte und feinem Spott um den Mund, in denen
sich die Seele seiner Rokokopoesie offenbart.

Aus den Kreisen der Romantik, deren nördlich
vorgeschobenster Posten Berlin um 1 800 war, fehlen

die schöngeistigen Repräsentanten:
mit ihnen zu schwärmen lag Scha-
dows bodenständiger Natur nicht. Er
hat sich an Henriette Herz versucht,
deren Salon derVorläufer der roman-
tischen Konventikel war, aber er
ist im Typischen stecken geblieben.
Wer die ganz einseitig geistige Frau
kennt, wundert sich nicht, dass Scha-
dow hier die frauliche Anmut schul-
dig blieb: dem schönen Gebilde der
Natur war das Bewusstsein des Ge-
schlechtes versagt geblieben. Wie
prachtvoll gelang ihm dagegen der
energische Kopf des romantisch
exterritorialen Salomon Veit, der
nur durch seine Schwägerin Doro-
thea, der schwärmerischen Tochter
Moses Mendelssohns, mit den Ro-
mantikern in Verbindung stand.
Auch hier ist das Rassige unver-
kennbar, aber nur als Unterton wir-
kend der hohen Willenskraft, die
als Dominante den Mann der orga-
nisatorischen Thätigkeit ankündet.
Aus der Gelehrtenwelt Berlins
zwei Charakterköpfe von ähnlicher
Gegensätzlichkeit wie Nicolai und
Goethe: Meierotto, der Schulmann,
und Bode, der Astronom. Meier-
ottos Kopf mit den breiten Ge-
sichtsflächen und kleinem, oben zu-
sammengezogenen Schädel bot dem
Plastiker fast so undankbare For-
men wie Nicolai. Die Totenmaske
liess bei der Entstellung der schwam-
migen Gesichtszüge im Stich. Aber
Schadow kannte vom Joachimsthal her den er-
fahrenen Pädagogen hinreichend, und so schuf er
sein Bildnis mit diesem breiten, gütigen Mund und
dem fast pfiffigen Seitenblick der Augen, dessen
vielsagende Schelmerei noch durch die Neigung
des Kopfes den Reiz des Momentanen erhält. Sein
Wiederspiel ist der in ruhiger Würde unbewegliche
Bode mit dem sorgfältig gescheitelten Haar, dem
Späherblick des linken Auges, während das rechte
von dem gelähmten Lide halb verdeckt ist. Das alles
sehr geistig im Vergleich zu der dicken Nase und der
hängenden Unterlippe. Aber die breiten Ordens-
bänder um den Hals retten den soignierten, ja aristo-
kratischen Eindruck des vornehmen Gelehrten.

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