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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 9
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0432

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solchem Grade überhaupt verwirklicht werden konnte
und dass das Ethos dieses schönen Stückes Geschmacks-
arbeit im alten Kunstzentrum Deutschlands gewürdigt
und indirekt auch offiziell anerkannt wird: das sind
immerhin Thatsachen, die unsern Glauben stärken
dürfen. Wir werden unsere Nationalgalerie, von der
Keiner weiss, was nun aus ihr werden soll, immer so
sehen, wie sie unter Tschudis Leitung gewesen ist. Und
werden uns sagen: das Gute, das einmal schon war,
kann wiederkommen. Mehr noch: es muss eines Tages
wiederkommen. Das ist, scheint uns, das Beste, was wir
Hugo von Tschudi bei seinem Scheiden sagen können.

•55-

Aus der Rede Max Liebermanns, womit in diesem
Jahre die Sezession eröffnet wurde, verdient ein Satz
besonders hervorgehoben zu werden: „Impressio-
nismus ist nicht, wie mans täglich hören und lesen muss,
eine Richtung, sondern eine Weltanschauung." Das ist
an dieser Stelle oft schon direkt und indirekt gesagt
worden. Sehr erfreulich ist es aber, dass es auch von
einem bekannten Künstler so unumwunden ausge-
sprochen werden konnte. Nun erst werden Viele auf-
merken, wie es wohl gemeint sei. Wer das Wort
recht begreift, der wird unendlichen Gewinn davontragen.

Whistlers Whims.

Emerson schrieb über die Tür seiner Bibliothek das
Wort ,,whim"; es steht über James McNeill Whistlers
Buche „The Gentle Art of making Enemies", das Frau
Margarete Mauthner unter dem Titel „Die artige Kunst
sich Feinde zu machen" mit Mannesmut und artigem
Gelingen verdeutscht und Bruno Cassirer in der aparten
Ausstattung des Originals verlegt hat. Katapult und
Konfektschale in süsser Eintracht könnten den Deckel
des kapriziösen Werkes zieren, der Rostandsche Vers: „II
ouvre son esprit comme une bonbonniere" ihm als Motto
vorangehn. Es ist eine Kritik der Kritik in einer merk-
würdigen Mischung galliger und gallischer Elemente.

Wie kam der pfauenhaft eitle, frauenhaft empfind-
liche Amerikaner dazu, statt gute Bilder zu malen, seinen
Kritikern die Leviten zu lesen? fohn Ruskin (Slade-
Professor!) hatte ihn heftig angerempelt: hatte ihn Hans-
wurst genannt und von Gassenjungen-Frechheit ge-
sprochen. Er fühlte sich mit Recht beleidigt, klagte und
erlebte die klägliche Genugtuung, dass sein Gegner zu
der niedrigsten Geldstrafe, einem Farthing oder
27i2 Pfennig Schadenersatz verurteilt wurde. Mehr
Farce als Farthing.

Ein trister Triumph! Dafür soll die ganze Bande
büssen. Habt ihr mich mit Peitschen gezüchtigt, so will
ich euch mit — Nadeln ritzen. Facit indignatio . . .
Randglossen. Tom Taylor — auch einer der Rotte —

hat nicht unrecht: dies Pamphlet ist eine sehr natürliche,
wenn auch nicht sehr gescheite Folge der peinlichen
Erfahrungen, die Whistler vor Gericht gemacht hat.
Wie Sudermann über die Roheit, klagt er über die Tor-
heit seiner Kritiker. Sie seien kein notwendiges, sondern
ein ganz überflüssiges Übel, in jedem Falle aber ein
Übel. Nur ein Künstler könne ein kompetenter Kunst-
kritiker sein.

Eine hypersensible Künstlerseele windet sich unter
jeder ungünstigen Besprechung wie unter der Bastonade.
Sie schreit nicht nach Leinwand, um die Verkleinerer
durch grosse Leistungen mundtot zu machen, sondern
nach Papier, um sie in all ihrer Kleinheit dem verdienten
Gespött preiszugeben. Sie schreit vor Schmerzen, aber
sie macht sich Luft in Scherzen. Das ist das Besondere
an dem Buche Whistlers: kein heiliger Zorn flammt
auf, sondern es wird ein Brillantfeuerwerk von Witzen
abgebrannt. Statt eines grämlichen Grimms zeigt er
nur lächelnde Grazie. Er haut nicht mit Dreschflegeln
um sich, sondern spritzt Gifttröpfchen aus. Schere und
Kleistertopf her! Butterfly-Whistler flicht (um den eng-
lischen Ausdruck zu übernehmen) einen Schmetterling
aufs Rad. Er legt sich fein säuberlich ein Herbarium
der Dummheit seiner Kritiker an. Sie werden gepresst,
etikettiert, glossiert. Kommen sie in den Glaskasten,
so sitzt er allerdings im Glashaus.

Dieser Teil des Buches mit seiner rein persönlichen
Polemik ist doch schon ein wenig verblasst. Er verlangt
genauste Personalkenntnis, und die können wir in parti-
bus unmöglich besitzen. Manches fällt unter den Tisch.
Anmerkungen durften jedoch nur sparsam beigegeben
werden, weil sie den Charakter der Schrift zerstört
hätten. Eine Bosheit mit Kommentar ist ein Tanzbär
an der Kette.

Das Prunkstück des Bandes bleibt der berühmte
„Ten o'clock"-Vortrag. „A miniature Mephistopheles
mocking the majority" ergreift das Wort; ein „Meister
der Badinage und Apostel der Persiflage" macht sich
einen Jux mit dem Publikum. Neue Aufschlüsse dürfen
wir heute natürlich nicht mehr von ihm erwarten. Was
er mit ernster Miene verkündet, ist uns in Fleisch und
Blut übergegangen; zudem steht es in den Aufzeich-
nungen der französischen Impressionisten, in George
Moores theoretischen Schriften teilweise noch schärfer
formuliert. Aber das schmälert nicht Whistlers Ver-
dienst, dass er Dinge gesagt hat, die für den modernen
Maler geradezu eine Lebensbedingung sind. Gesagt
hat in einem Lande, das — wie Robert Burns einmal
mit gerechtem Ärger schrieb — von einem Dichter
ebensoviel weiss wie von einem Rhinozeros und von
einem Dichter unendlich viel mehr weiss als von einem
Maler. Alle seine Ausführungen kreisen um den Fun-
damentalsatz: „Wenn das Publikum überhaupt Sinn für
die Malerei hätte, so müsste es wissen, dass ein Bild
sein eignes Verdienst hat und nicht auf dramatisches,
anekdotisches oder lokales Interesse angewiesen ist".

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