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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 10
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Scheffler, Karl: Marées als Zeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0445

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MAREES ALS ZEICHNER

VON

KARL SCHEFFLER

|s ist in diesen Wochen geklagt
worden, Marees werde über-
schätzt. Besonders in Berlin, wo
man sich immer etwas zu ver-
geben meint, wenn man Liebe
zeigt, wo man sich vor dem Pa-
thos der Empfindung wie vor
etwas Blamablen fürchtet. Der Beweis gegen Marees
war leicht zu führen. Ein Kunstdenker, ein müh-
sam theoretisierender Konstrukteur, ein Professor
der Abstraktion! Und das im Jahrzehnt sinnlicher
Unmittelbarkeit und temperamentvoller Gefühls-
kraft! Zum Greifen nahe lag es ja, vor dem strengen
Gefüge der Marceschen Kompositionen an Feuer-
bachs poetische Fülle zu erinnern oder auch von
Manets blühender Naturempfindung zu sprechen.
Augenblicklich hat in der Kunstbeurteilung gemalte

Die Wiedergabe der sämtlichen hier abgebildeten Werke
Hans von Marees erfolgt mit Erlaubnis des Herrn Georg von
Marees, Halle.

und dramatisierte Vitalität hohen Kurswert. Man
zitiert Goethe, damit sein Geist Schiller und Hebbel
erwürge; und Marees lässt man von Böcklin abthun.
Frei nach Floerke. Denn man vermag bei uns immer
nur Eines zurzeit zu empfinden und zu denken.
Marees ist kalt, klagt man. „Wir aber brauchen

eine Jugend, die mit klopfenden Pulsen....."

Das weitere ist in den Organen des approbierten
Kunstpatriotismus nachzulesen.

Marees' Kälte! Alle bedeutenden Künstler, alle
grossen Kunstwerke sind scheinbar kalt. Wie eisig
blickt den Jüngling die Antike doch an, wie lange
dauert es, bis er wahrnimmt, wie sich das im gol-
denen Zirkel der Form dort eingefangene Leben
mächtig in sich selbst bewegt! Wie kalt erschienen
Einem Shakespeares Dramen und Rembrandts Bil-
der, bevor man aus dieser höheren Objektivität die
ganze Leidenschaft der Natur sich entgegenbrausen
fühlte! Und wie lange sind nicht die Meister-
werke des Impressionismus empfindungslos genannt

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