Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Delacroix, Eugène: Ein Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0529

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gemahnen; aber seine wunderbare Feinheit der
Zeichnung, das Leben, das er seinen Frauengestalten
einhaucht, so dass man das Gefühl hat, als sprächen
sie mit Einem, gaben ihm als Porträtmaler beinahe
eine gewisse Superiorität über van Dyck, dessen
wundervollen Gestalten doch immer ruhig Modell
stehen. Der Glanz der Augen, die halbgeöffneten
Lippen wirken unvergleichlich bei Lawrence. —
Auch von ihm wurde ich mit grösster Freundlich-
keit aufgenommen; er war überhaupt ein ausser-
ordentlich liebenswürdiger Mensch, ausser wenn
Jemand seine Bilder kritisierte.

Zwei oder drei Jahre nach meinem englischen
Aufenthalt, schickte ich einige Bilder hin, unter
anderen „Griechenland auf den Ruinen von Misso-
lungi" und den „Marino Faliero". Dieses letztere
Bild hat ihn so interessiert, dass er, wie man mich
versicherte, die Absicht hatte, es zu kaufen; er starb
aber ungefähr um diese Zeit. Gelegentlich eines
kleinen Artikels, den ich über sein Papstbildnis in
der Revue de Paris veröffentlichte, bekam ich ein
acht Seiten langes Schreiben von ihm. Ich beging
die Unvorsichtigkeit, den Brief, noch ehe ich ihn
ordentlich gelesen hatte, einem enragierten Auto-
graphen-Sammler zu zeigen, dem ich ihn nicht
wieder entreissen konnte,

Wilkie war ebenfalls so entgegenkommend
mir gegenüber, wie es sein reservierter Charakter
zuliess. Eine der packendsten Erinnerungen aus
jener Zeit ist für mich seine Skizze zu „John Knox,
predigend", geblieben. Später hatte er ein Bild
danach gemalt, das wie mir gesagt wurde, weit
hinter dieser Skizze zurückstand. Als ich damals
die Skizze sah, hatte ich mir erlaubt, mit echt fran-
zösischer Verve ihm zu sagen, dass „Apollo selbst,
wenn er zum Pinsel griffe, dies Meisterwerk nur
verderben könnte, wenn er es fertig stellen wollte."
Einige Jahre später sah ich ihn in Paris wieder. Er
besuchte mich und zeigte mir mehrere Zeichnungen,
die er von einer grossen Reise durch Spanien, von
der er gerade zurückkehrte, mitgebracht hatte.
Er war augenscheinlich in der grössten Aufregung,
durch die Bilder, die er dort gesehen hatte. Ich
fand es höchst bewunderungswürdig, dass ein Mann
von so grosser Begabung, der schon ein ganzes
Künstlerleben hinter sich hatte, von Kunstwerken
in einem solchem Grade beeinflusst werden konnte,

die ganz von den seinen abweichen. Kurze Zeit
darauf starb er übrigens in einem recht beklagens-
werten Geisteszustand.

Constable ist ein bewunderungswürdiger
Künstler und England ist mit Recht stolz auf ihn.
Ich habe schon mit Ihnen von seinem Wirken und
von dem Eindruck gesprochen, den ich von ihm
empfing, als ich das „Blutbad von Chios" malte.
Er und Turner sind wahre Reformatoren. Sie sind
aus den Gleisen der alten Landschaftsmaler heraus-
getreten. Unsere Schule, in der es jetzt eine Fülle
ähnlicher Talente giebt, hat grossen Nutzen aus
ihrem Beispiel gezogen. Gericault war ganz be-
stürzt über eine der grossen Landschaften, die Con-
stable uns geschickt hatte.

Charlet und Gericault waren nicht zu gleicher
Zeit mit mir in England; was ich über diese beiden
Künstler denke, brauche ich Ihnen nicht erst zu
sagen. Sie kennen meine grosse Bewunderung für
Beide. Charlet ist einer der bedeutendsten Menschen
unseres Vaterlandes; aber niemals wird man bei
uns einem Manne ein Denkmal errichten, der nur mit
einem kleinem Stift hantiert hat, um kleine Figür-
chen zu zeichnen. Poussin hat zweihundertfünfzig
Jahre auf jene famose Kollekte zu seinem Denkmal
warten müssen, dass, soviel ich weiss, noch immer
nicht existiert, dank der Unzulänglichkeit der Geld-
mittel. Hätte er nur zwei Dörfer verbrannt, so hätte
er nicht so lange darauf zu warten brauchen.

Ich hoffe, dass Sie uns die schönen Bilder
herüberbringen, von denen Sie mir berichten.
Unsere heimatliche Schule braucht dringend frisches
Blut in ihren Adern. Sie ist alt und die englische
scheint jung zu sein. Sie sucht die Natur und
wir denken nur daran, Bilder nachzumalen. Das
sind meine Ansichten, die ich leider nicht ändern
kann; werfen Sie deswegen keinen Stein auf mich!

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich auf ein
Kapitel meines Lebens gebracht haben, das ich liebe.
Hier haben Sie nun vier Seiten eines armen Kranken,
den diese Erinnerungen ein wenig erfrischt haben.
Ich wäre glücklich, wenn sie Ihnen von Nutzen
sein könnten. Sie wissen, wie dankbar ich Ihnen
bin und mit welcher Freude ich Ihnen einen Ge-
fallen erweise.

Ih

r ganz ergebener

Eugene Delacroix.

515
 
Annotationen