HANS THOMA, HÖHENLANDSCHAFT. l866
fallen — ein verdriesslicher Anblick wie vertrock-
nete Knospen. Es giebt Naturen, die für die
Mittagshöhe des Lebens geboren sind, für Wag-
nisse, Kämpfe und rasche, heisse Genüsse. Sie
werden selten alt. Und schliesslich giebt es Men-
schen, die erst im Greisenalter so recht erblühen,
deren ganzes Leben sich wie eine Vorbereitung auf
einen langen, stillen und heiteren Feierabend aus-
nimmt. Zu ihnen möchten wir Hans Thoma zählen.
Wir kennen ein Jünglingsporträt von ihm; es sieht
ernst und scheu aus. Als Mann erscheint er uns in
sich gekehrt, still gefasst. Nicht niedergedrückt
vom Misserfolg, durchaus nicht; aber auch nicht
grade kampfbereit im Hochgefühl der eigenen
Kraft. Nein, wir glauben nicht, dass unser Thoma
das Ideal eines Jünglings oder eines Mannes war;
aber ganz gewiss ist er das Ideal eines Greises. Der
Abend seines Lebens ist lang und sonnig und, wenn
er auch reich an harmloser Fröhlichkeit und Festes-
freude ist, so darf er doch nicht eigentlich Feier-
abend genannt werden, denn die beredten Lippen
haben noch viel zu erzählen und die fleissigen
Hände haben noch viel zu scharfen. Sich zur Freude
arbeitet er, malt heute eine Muttergottes, und
morgen einen Blumenstrauss, malt Wundervögel,
und Schwarzwälder Bauern, kurz alles Erdenkliche
und ist es wohl zufrieden, wenn Andere sich mit
ihm freuen. Er lässt es auch mit gutmütiger Gelassen-
heit geschehen, dass man Über ihn redet und schreibt
und predigt. Er hat nicht widersprochen, als man
ihn früher kritisierte und verkannte; er wehrt sich
auch nicht, wenn man ihn heute vergöttert. Und
Dieses thut man wahrlich. Es giebt im Leben be-
rühmter Leute irgendwo eine Zeit, in der sie bei
lebendigem Leibe von der Mitwelt kanonisiert
werden und fortan aller der Ehren, der Predigten,
der Festversammlungen und der Weihrauchdüfte
geniessen, die sonst den Heiligen im Jenseits auf-
gehoben bleiben. Hans Thoma hat diese Zeit längst
erreicht. Ja, der Ton, in dem man ihn zu feiern
pflegt, ist so hoch gestimmt, dass ich fürchte, un-
passend zu erscheinen, wenn ich rede, wie mir der
Schnabel gewachsen ist.
Man hat es uns ausdrücklich verboten, den
Meister zu kritisieren. Nicht mit dem Verstände,
sondern mit dem Gefühl allein sollen wir ihn be-
greifen, uns in sein Werk versenken. Doch wir
dürfen diese Forderung weitergeben. An uns ist
sie nicht gerichtet; denn wir denken nicht daran,
den Künstler zu bekritteln oder zu schulmeistern.
Wir freuen uns seiner Gaben. Nur glauben wir,
unseres Verstandes nicht ganz entraten zu können,
wenn wir unserer Freude Ausdruck geben wollen,
indem wir Das bezeichnen, was wir an Thoma
lieben. Dabei lehnen wir es ab, seinen guten Namen
zu missbrauchen, indem wir ihn zu einer Waffe um-
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fallen — ein verdriesslicher Anblick wie vertrock-
nete Knospen. Es giebt Naturen, die für die
Mittagshöhe des Lebens geboren sind, für Wag-
nisse, Kämpfe und rasche, heisse Genüsse. Sie
werden selten alt. Und schliesslich giebt es Men-
schen, die erst im Greisenalter so recht erblühen,
deren ganzes Leben sich wie eine Vorbereitung auf
einen langen, stillen und heiteren Feierabend aus-
nimmt. Zu ihnen möchten wir Hans Thoma zählen.
Wir kennen ein Jünglingsporträt von ihm; es sieht
ernst und scheu aus. Als Mann erscheint er uns in
sich gekehrt, still gefasst. Nicht niedergedrückt
vom Misserfolg, durchaus nicht; aber auch nicht
grade kampfbereit im Hochgefühl der eigenen
Kraft. Nein, wir glauben nicht, dass unser Thoma
das Ideal eines Jünglings oder eines Mannes war;
aber ganz gewiss ist er das Ideal eines Greises. Der
Abend seines Lebens ist lang und sonnig und, wenn
er auch reich an harmloser Fröhlichkeit und Festes-
freude ist, so darf er doch nicht eigentlich Feier-
abend genannt werden, denn die beredten Lippen
haben noch viel zu erzählen und die fleissigen
Hände haben noch viel zu scharfen. Sich zur Freude
arbeitet er, malt heute eine Muttergottes, und
morgen einen Blumenstrauss, malt Wundervögel,
und Schwarzwälder Bauern, kurz alles Erdenkliche
und ist es wohl zufrieden, wenn Andere sich mit
ihm freuen. Er lässt es auch mit gutmütiger Gelassen-
heit geschehen, dass man Über ihn redet und schreibt
und predigt. Er hat nicht widersprochen, als man
ihn früher kritisierte und verkannte; er wehrt sich
auch nicht, wenn man ihn heute vergöttert. Und
Dieses thut man wahrlich. Es giebt im Leben be-
rühmter Leute irgendwo eine Zeit, in der sie bei
lebendigem Leibe von der Mitwelt kanonisiert
werden und fortan aller der Ehren, der Predigten,
der Festversammlungen und der Weihrauchdüfte
geniessen, die sonst den Heiligen im Jenseits auf-
gehoben bleiben. Hans Thoma hat diese Zeit längst
erreicht. Ja, der Ton, in dem man ihn zu feiern
pflegt, ist so hoch gestimmt, dass ich fürchte, un-
passend zu erscheinen, wenn ich rede, wie mir der
Schnabel gewachsen ist.
Man hat es uns ausdrücklich verboten, den
Meister zu kritisieren. Nicht mit dem Verstände,
sondern mit dem Gefühl allein sollen wir ihn be-
greifen, uns in sein Werk versenken. Doch wir
dürfen diese Forderung weitergeben. An uns ist
sie nicht gerichtet; denn wir denken nicht daran,
den Künstler zu bekritteln oder zu schulmeistern.
Wir freuen uns seiner Gaben. Nur glauben wir,
unseres Verstandes nicht ganz entraten zu können,
wenn wir unserer Freude Ausdruck geben wollen,
indem wir Das bezeichnen, was wir an Thoma
lieben. Dabei lehnen wir es ab, seinen guten Namen
zu missbrauchen, indem wir ihn zu einer Waffe um-
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