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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Meyer, Theodor: Die Persönlichkeit des Künstlers im Kunstwerk und ihre ästhetische Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0217

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Meyer, Die Persönlichkeit des Künstlers im Kunstwerk usw., Diskussion 2TI

Diskussion:
Herr H a r n a c k legte dar, die Ausführungen des Redners seien wesentlich
dadurch bestimmt worden, daß er hauptsächlich die Kunst der Gegenwart betrachtet
habe; wenn man die Geschichte der Kunst betrachte, so ergebe sich, daß das
bedeutende Kunstwerk bleibe, die Persönlichkeit des Künstlers aber hinter ihr
zurücktrete, ja oftmals in Vergessenheit sinke, ohne daß der Genuß am Kunstwerke
dadurch leide. Der wissenschaftliche Forscher müsse zwar überall nach dem
Künstler fragen, trotz der Gefahr des „Biographismus“; allein für den künstlerisch
Genießenden sei dies nicht erforderlich. Ein Drama Shakespeares werde von ihm
viel mehr als eine für sich bestehende, gleichsam naturnotwendige Erscheinung
aufgefaßt denn als Schöpfung einer künstlerischen Persönlichkeit, die uns bei
der ungeheuren Verschiedenheit, etwa des „Coriolan“ und der „Lustigen Weiber
von Windsor“, in ihrer Einheitlichkeit doch nicht lebendig gegenständlich werde.
Ja sogar Goethe gegenüber werde der unbefangene Leser beim „Götz“ nicht an
die „Persönlichkeit“ denken, die zugleich den Tasso geschaffen habe, und
umgekehrt. Freilich gebe es Dichter, bei denen die Persönlichkeit und ihre
Schicksale so mit den Werken verwoben seien, daß ihre Erkenntnis eine notwendige
Vorbedingung für den Genuß ihrer Werke sei; aber dies bedeute eher eine
Erschwerung als eine Vertiefung des Genusses. Endlich die „artistische Persön-
lichkeit“, die in jedem Künstler wirksam sei, müsse gewiß in ihrer Eigenart
erkannt werden; allein auch dies bilde schließlich doch nur eine Vorbedingung
für die Würdigung des Kunstwerkes, in dem uns offenbar wird, wie der Künstler
diese Eigenart zum Schaffen eines Weltbildes, eines Werkes von dauerndem, über
den Bereich des Einzelwesens empordringenden Wert fruchtbar gemacht habe.
Herr Heine: Die Möglichkeit der Zweiteilung der Persönlichkeit des
Künstlers im Kunstwerk in eine spezifisch künstlerische und eine rein
menschliche vermag ich nicht zuzugeben. Alle Eigenschaften, die beim Kunst-
werk nicht in Bewegung gesetzt wurden, fallen bei der Betrachtung der Persön-
lichkeit im Kunstwerk naturgemäß aus. Alle Eigenschaften des Künstlers aber,
die am Kunstwerk zu erkennen sind, müssen spezifisch künstlerisch sein, da nicht-
künstlerische Eigenschaften sich auch nicht künstlerisch betätigen können. Die
Eigenschaft des Mitleids in Hauptmanns Persönlichkeit wandelte sich bei des
Dichters Kunstschaffen eben in eine künstlerische Eigenschaft. Wohl aber vermag
die motorische Gewalt des Kunstschaffens Eigenschaften, die außerhalb der
künstlerischen Betätigung ruhen, für die Zeit künstlerischer Betätigung frei zu
machen.
Da die Geschichte der Ästhetik lehrt, daß die Grenzen zwischen Schön und
Häßlich fortwährend schwanken, sollte man von Definitionen Abstand nehmen,
die objektive Grenzen zu ziehen versuchen, zumal es sich, bei der Einheit von Stoff
und Form, nicht um einseitige Bewertung des Stoffes handeln kann. Als subjektive
Bewertung erscheint es mir fruchtbarer, alle die Kunstwerke als ins Reich des
Schönen fallend zu bezeichnen, die von einer Anzahl auf gleicher kultureller Stufe
Stehender ästhetisch genossen zu werden vermögen.
Herr Moog: Meiner Ansicht nach gibt es verschiedene Typen des
ästhetischen Verhaltens, mag man diese nun mit Müller-Freienfels als Typen des
Mitspielers und des Zuschauers oder sonstwie bezeichnen, ebenso wie es auch
verschiedene Typen des künstlerischen Schaffens gibt. Durch eine Verallgemeine-

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