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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung II
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Behrens, Peter: Über den Zusammenhang des baukünstlerischen Schaffens mit der Technik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0258

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252

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Form anders als nach der billigsten Herstellung und durch den Geschmack
des Werkmeisters bestimmt.
So fallen unsere Blicke, in der engeren wie weiteren Umgebung, überall
auf Disharmonie. Auf der einen Seite Romantik suchende Formgebung,
auf der anderen Seite eine unseren heutigen Bedürfnissen angepaßte, ohne
Rücksicht auf ästhetische Form durchgeführte Zweckerfüllung.
In den letzten Jahren hat sich eine neue deutsche gewerbliche Kunst
entwickelt, deren ernstes Streben und deren geschmacklicher Wert nicht
bezweifelt werden kann. Diese Neubelebung der angewandten Künste ist
das erfreuliche Zeichen für die ästhetische Produktionskraft unserer Zeit.
Um so bedauerlicher ist es, daß die beiden wichtigen Interessengebiete,
das der Kunst und das der Technik, unüberbrückt nebeneinander liegen und
durch diesen Dualismus unsere Zeit nicht die Einheitlichkeit in ihrer Form-
erscheinung gewinnt, die die Bedingung und das Zeugnis zugleich für einen
Stil ist. Denn unter Stil verstehen wir doch nur den einheitlichen Form-
ausdruck, den die gesamten Geistesäußerungen einer Epoche ergaben. Die
Einheitlichkeit in den sämtlichen Erscheinungen, nicht aber der besondere
oder gar absonderliche Charakter eines Kunstwerkes ist das Ausschlag-
gebende.
Von Seiten der neubelebten angewandten Kunst wird dadurch die
Neigung zu einer solchen Einheitlichkeit bekannt, indem das konstruktive
Moment für jedes Erzeugnis als eine formbeeinflussende Eigenschaft
geschätzt wird.
Der Ingenieur dagegen hat sich gleichschreitend mit dem Aufschwung
seiner Technik immer mehr von den künstlerischen Tendenzen abgewandt.
Es ist verständlich, daß die enorme Entwicklung, die die Technik nahm,
alle Kraft und Hingebung für sich beanspruchte, und nicht gleichzeitig daran
gedacht werden konnte, ästhetische Probleme zu lösen.
Trotzdem wird aber die Erscheinung wahrgenommen, daß auch die
Werke des Ingenieurs einer bestimmten Schönheit nicht entbehren. Es sei
nur der großen eisernen Hallen gedacht, die durch ihre weitgespannten
Überdachungen gewiß den Eindruck der Großartigkeit geben. So können
wir uns auch bei den vom Ingenieur errichteten einfachen Zweckbauten,
vor allem aber bei den Maschinen selbst, eines gewissen ästhetischen Ein-
druckes, den sie durch ihre oft kühne und folgerichtige Konstruktion aus-
üben, nicht entziehen, obgleich keine Konzeption nach künstlerischen
Prinzipien dabei vorwaltete, und also der ästhetische Erfolg ein zufälliger
ist. Die Erscheinung erklärt sich dadurch, daß diese Werke eine Pseudo-
ästhetik in sich tragen, indem sie eine Gesetzmäßigkeit, nämlich die der
mechanischen Konstruktion, verkörpern. Es ist die Gesetzmäßigkeit des
organischen Werdens, die auch die Natur in all ihren Werken offenbart. Die
Natur ist aber nicht Kultur, und so kann auch die alleinige menschliche
Erfüllung nur zwecklicher und materieller Absichten sie nicht schaffen. Und
nichts ist natürlicher, als daß bei aller und wahrhaft begeisterter An-
erkennung der Errungenschaften der Technik und des Verkehrs die Sehn-
sucht nach dem Ideal-Schönen dennoch in uns laut wird, und wir nicht
 
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