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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Pauli, Gustav: Der Kunsterziehungstag in Dresden am 28. und 29. September
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0017

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang.

igoi/igo2.

Nr. 2. 17. Oktober.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, 330 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DER KUNSTERZIEHUNGSTAG IN DRESDEN
AM 28. UND 29. SEPTEMBER

Das alte liebe Dresden hat in den letzten Sep-
tembertagen in seinen Mauern einen Kongress beher-
bergt, der, wenn auch nicht einer der bedeutendsten
und erlauchtesten, so doch gewiss einer der merk-
würdigsten unserer Zeit gewesen isi Wir sind es
ja bei der Leichtigkeit unseres Reiseverkehrs gewöhnt,
dass sich die Vertreter irgend eines Geschäftszweiges
oder Sports irgendwo zur Beratung ihrer Interessen
zusammenfinden. Über einen Kongress von Liebig-
bildersammlern würden wir uns so wenig wundern
wie über einen Kongress von Kanarienvogelzüchtern.
Aber einen Kongress von Künstlern, Künstkritikern,
Verlegern, Professoren und Schulmeistern hätte man
noch vor wenigen Jahren für ein Ding der Unmög-
lichkeit gehalten, weil man nicht gewusst hätte, welches
gemeinsame Interesse diese Männer zusammenführen
könnte. Die Kunstgelehrten mögen einzelne Künstler
noch so sehr preisen, sie befinden sich ihnen gegen-
über doch gewöhnlich in der Rolle eines unglücklich
Liebenden, denn die Künstler, die sich ihr Lob ge-
fallen lassen, widmen ihnen im geheimen eine Ge-
ringschätzung, die nahe an Verachtung grenzt. »C'est
le propre des litterateurs de ne rien entendre aux
choses des arts plastiques« hat noch kürzlich wieder
einer der führenden Meister unserer Zeit geschrieben.
Und würde ihm wohl ein Künstler widersprechen?
— Nun, die gemeinsam empfundene Not der Zeit
hat die Parteien einander genähert, ja sie zu gemein-
samer Aktion gebracht. Darin liegt die symptomatische
Bedeutung dieses Kunsterziehungstages für unser
deutsches Kulturleben, die grösser ist als die Be-
deutung aller einzelnen hier gepflogenen Erörterungen.

Wenn nicht der Lehrer, der Universitätsprofessor,
der Schriftsteller, der Künstler, jeder auf seinem Ge-
biete, an dem Menschenmaterial seines Wirkungs-
kreises einen empfindlichen Bildungsmangel bemerkt
hätte — nie hätten sie sich in Dresden vereinigt.
Der Mangel aber war überall derselbe, Verkümmerung
des Anschauungsvermögens, des Farbensinns, Unfähig-
keit, das Geschaute mit den einfachsten Mitteln bild-
lich auszudrücken. Die ursprüngliche Befähigung zu
diesen Dingen fehlt nirgends, sie ist in geringerem
oder grösseren Masse einem Jeden, der sehen kann,

angeboren. Es handelt sich nur darum, die Keime
durch sorgsame Pflege zur Entwickelung zu bringen.
Die Hebung des Kunstgefühls und Kunstverständ-
nisses in unserem Volke und damit das Schicksal
unserer bildenden Kunst hängt davon ab. Alle Mittel
einer somit erforderlichen künstlerischen Erziehung
zu beraten, war die Aufgabe der Dresdner Tage. Die
Verhandlungen haben gezeigt, dass Praktiker und
Theoretiker, Künstler und Pädagogen, sich keineswegs
in allen Punkten einig waren; das Programm wies
ferner eine Lücke auf, indem es die Pflege der Natur-
anschauung als Vorstufe zur Kunstanschauung nicht
ausdrücklich berücksichtigte — aber diese Mängel
waren sekundärer Art gegenüber dem einen grossen
Erfolge, dass überhaupt ein erster Schritt vor
der Öffentlichkeit gethan wurde. Den Männern, die
die Anregung dazu gegeben haben, vor allem dem
hochverdienten Leiter der Verhandlungen, dem Ge-
heimrat von Seidlitz in Dresden, gebührt der Dank
aller deutschen Kunstfreunde dafür. Ihr Aufruf hatte
ein lauteres Echo gefunden, als sie selbst es wohl
erwartet hatten. Namentlich ist es als eine Errungen-
schaft zu bezeichnen, dass vierzehn Vertreter deutscher
Landesregierungen und ausserdem eine Reihe von
Delegierten der Grossstädte erschienen waren.

Nach einem Begrüssungsabend in den weiten
Räumen des Dresdner Vereinshauses wurden die Ver-
handlungen am 28. September in dem Parthenonsaal
des Albertinums eröffnet, der beinah zweihundertfünfzig
Teilnehmern einen etwas beschränkten Raum gewährte.
In den angrenzenden Sälen hatte eine kleine Aus-
stellung Platz gefunden, die zu den Thematen der
Beratungen ein ausgewähltes Anschauungsmaterial dar-
bot. Das Programm für den ersten Tag war reich,
fast zu reich. Neun Gegenstände wurden in sieben
Stunden besprochen. Aber die Teilnehmer bewiesen
eine musterhafte Ruhe und Ausdauer. Bei einer ge-
schäftlichen Vorberatung am Abend des 27. September
war vereinbart worden, dass jeder der Referenten in
einer Redefrist von einer Viertelstunde die wesent-
lichen Punkte seines Berichtes zusammenfassen sollte,
so dass für die Debatten Zeit genug übrig blieb. Als
erster sprach der Hamburger Lehrer R. Ross über
das Kinderzimmer, d. h. mehr noch über die Spiele,
deren Tummelplatz das Kinderzimmer bildet, als über
die Ausstattung dieses Raumes. Er wies auf den
 
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