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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Hevesi, Ludwig: Aus der Wiener Secession
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0075

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Kabinett, mit sehr verschiedenen Sachen. Es sind
darunter einige seiner genialsten symbolischen Rätsel-
bilder (»Fatalismus«, »Garten der Leiden«, »Les rö-
deurs«), an denen man sich immer wieder müde raten
kann. Aber auch Bildnisstudien von intimer Vor-
nehmheit, wie das gezeichnete Porträt einer Englän-
derin, wo mit dürftigem Bleistift ein physisches und
seelisches Abbild gegeben ist. Eines der weiblichen
Porträts ist interessant, als leicht erkennbares Urbild
eines der tooropischesten Profiltypen, mit spitzer Nase
und spitzem Kinn, der also doch auch aus dem Leben
geholt ist. Eine Anzahl getüpfelter Bilder schliesst
sich an, wobei man sich erinnern darf, dass Toorop's
Pünktelei älter ist als die der jetzt berühmten Neo-
Impressionisten Seurat-Signac'scher Observanz, die in
Rysselberghe einen so prächtigen Meister gefunden
haben. Nur pünktelte er, bei seinem frühen Münchner
Auftreten, in der berühmt gebliebenen »Folterkammer«,
wirklich mit nadelspitzen Punkten. Auch Keramik
und getriebenes Metall bringt er jetzt, apart wie alles
Übrige. Eine figurale Füllung aus getriebenem Blech
sieht aus wie brüchig geknittert und mit Stichen ge-
näht. Das Hauptstück seines Gemachs ist ein grosses
Triptychon (»Die drei Töchter<), wo die drei blonden
Fräuleins Anna, Adrienne und Zus lebensgross im
grünen Garten dargestellt sind, in einem luftig-duftigen
Gemisch von kolorierter Zeichnung und hingerippeltem
Pastell, bei ganz moderner Farben- und Tonempfin-
dung, ein Bild von specifisch-liebenswürdigem Kolo-
rismus.

Die Plastik ist in der Ausstellung nur spärlich
und verzierungsweise verwendet. Hermann Hahn
(München) besorgt sie mit Erfolg. Seine originelle
Tänzerin im dicht gerunzelten Gewände wurde sogar
am ersten Tage gekauft. Neben ihm stehen G. Wrba
(München) und W. Szymanowski (Paris).

LUDWIG HEVESI.

BÜCHERSCHAU
Emile Male, L'art religieux du XIIIe siecle en France.

Etüde sur l'iconographie du moyenäge et sur ses sources
d'inspiration. XIV u. 534 S. Mit 96 Abb. Paris 1898.
Die spätromanische und die gotische Kunst haben das
Bedürfnis gefühlt, ihrer Weltanschauung einer monumen-
talen bildlichen Ausdruck zu geben. Der Schatz der Skulp-
turen und Malereien, der an der französischen Kathedrale
seine Stätte findet, bietet die ausführlichste Darstellung
christlicher Oedankenkreise, welche die Geschichte der
Kunst kennt. Die unübersehbare Fülle dieser Darstellungen
inhaltlich zu umgrenzen und die Gesichtspunkte darzustellen,
unter denen dem mittelalterlichen Beschauer dieses schein-
bar unentwirrbare Chaos der Figuren Ausdruck gemein-
verständlicher Anschauungen war, ist die Aufgabe, die
Male sich gestellt hat. Male knüpft an die Traditionen
älterer französischer Archäologen, eines Didson, eines
Cahier an. Die ikonographische Studie ist ihm die Unter-
suchung des Inhaltlichen in der Darstellung und seines
Verhältnisses zur theologischen und litterarischen Bildung
der Zeit, nicht die Verfolgung des Darstellungstypus, wie
sie von der deutschen Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte
mit gutem Erfolge angebahnt worden ist. Es erklären sich
daraus die hohen Vorzüge des trefflichen Buches und
werden daraus manche seiner Schwächen verständlich.
Schon Didson hat in der Einleitung zu seiner dcono-

graphie Chretienne«, den Satz ausgesprochen, dass in dem
schier unerschöpflichen Skulpturenschatze der Kathedrale zu
Chartres nichts enthalten sei, das nicht aus der ungeheuren
Encyklopädie des i3.Jahrhunderts, dem »speculummaius« des
Vincenz von Beauvais, zu erklären sei. Male hat es unternom-
men, die Gliederung des Glaubens- und Wissensstoffes, das
Motiv, wie sie der gelehrte Dominikaner uns vorträgt, zur
Grundlage seines Buches zu nehmen. Die vier specula
geben die Hauptabschnitte in Male's Buch.

Schon die Untersuchung der Naturdarstellung führt zu
einer Reihe schwieriger Fragen. Dem Mittelalter war die
Welt ein Symbol, die Aufgabe die, in den Dingen die ver-
borgenen Lehren Gottes zu finden. Die Evangelisten-
symbole sind ein schlagendes Beispiel symbolischer Ver-
wendung der Tiergestalt; nicht minder einleuchtend sind
die Hinweise auf den Physiologus. Nach Male sind erst
durch die Predigten des Honorius von Autun (im »Specu-
lum Ecclesiae«) eine beschränkte Anzahl Bestiaire-Vor-
stellungen in die bildende Kunst übergegangen. Die Er-
klärung eines Fensters in Lyon mit Heranziehung von
Predigten des Honorius iässt an den engen geistigen Zu-
sammenhängen keinen Zweifel. Male ist im allgemeinen
gegen eine übergrosse Ausdehnung der symbolischen Er-
klärung der Tierdarstellungen. Der bekannten Äusserung
des heiligen Bernhard legt er hohen Wert bei, die Be-
ziehung auf Psalmstellen (nach Springer) leugnet er.
Goldschmidt's »Albanipsalter«, der Male unbekannt ge-
blieben ist, muss zur Berichtigung dieser Kapitels herange-
zogen werden; so finden wir denn bei Male auch für die
bekannten Reliefs des Freisinger Pfeilers noch die unhalt-
bare Erklärung aus der Siegfried-Sage.

Wir übergehen die dem speculum doctrinale und dem
spec. monale gewidmeten Abschnitte^ deren Hauptinhalt
die Ikonographie der 7 Artes liberales, bezw. der Tugen-
den und Laster ist, um uns dem speculum historiale zu-
zuwenden, dessen Bearbeitung die S. 177—490 des Buches
füllt. Geschichte im Sinne des Mittelalters ist die Erlösungs-
geschichte der Menschheit. So ergiebt sich die Gliederung
in alt- und neutestamentliche Geschichte, in die Geschichte
des Zeugen Christi auf Erden, seiner Heiligen, und die
der letzten Dinge. Die Profangeschichte tritt so völlig
zurück, dass ein Kapitel von 27 Seiten zu ihrer Behandlung
genügt, und auch aus diesem kurzen Kapitel hätte manches,
wie die Darstellungen aus dem Leben Karls des Grossen,
in die Heiligengeschichte übernommen werden dürfen.
Freilich hat Male seinen Blick nur auf die Kathedrale und
ihren Figurenschmuck gerichtet; ausserhalb der Kirche fand
auch die Profangeschichte eine reichere Darstellung; ich
erinnere an den Teppich von Bayeux oder die illustrierten
Alexander-Romane.

Male hat in keiner Hinsicht beabsichtigt, einen Kata-
log der biblischen Darstellung zu geben. Wäre das alte
Testament nur in Bildercyklen einfacher historischer Ab-
folge dargestellt worden, so verlohnte es sich nach Male
nicht, dabei länger zu verweilen. Ihn interessiert die viel-
sinnige Ausdeutung, welche jede alttestamentliche Scene
im Mittelalter fand; einige vorzüglich ausgewählte Beispiele
führen vor, wie dieselben Scenen des Lebens Christi oder
Maria in Wort und Bild mit denselben alttestamentlichen
Vorbildern verglichen werden. Das linke Portal der Fassade
der Kathedrale zu Laon deckt sich in seinem symbolischen
Inhalte fast genau mit dem der Predigt des Honorius
Augustodunensis zur Feste der Verkündigung der Maria!

Male widmet ein langes Kapitel dem Einflüsse der
Apokryphen auf die mittelalterliche Kunst und kommt zu
dem Ergebnisse, dass mindestens die Hälfte aller Dar-
stellungen nur aus ihnen völlig erklärt werden könne. Es
wäre zu wünschen gewesen, dass Male in allen Teilen
 
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