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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [5]
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0164

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Bücherschau.

312

Im Louvre sind sieben oder acht neue Säle mit Zeich-
nungen eröffnet und so dem Publikum einige vierhundert
Zeichnungen zugänglich gemacht worden. Zum grössten
Teile waren diese Zeichnungen früher schon ausgestellt,
mussten aber zurückgezogen werden, als die Möbelsäle
eingerichtet wurden. Es ist sehr schön von der Verwal-
tung des Museums, dass sie uns einen geringen Teil seiner
Schätze auf diese Art zeigt, aber ich kann durchaus nicht
einsehen, welche Gründe die Herren davon abhalten, das
in einem neulichen Briefe geschilderte sinnreiche Verfahren
im Museum Gustav Moreau nachzuahmen. Der Louvre
besitzt rund etwa dreissigtausend Zeichnungen, zur guten
Hälfte ganz unschätzbare Arbeiten der berühmtesten Meister.
Davon sind höchstens fünfhundert dem Publikum zugäng-
lich, der ganze grosse Rest ruht wohlverwahrt in Mappen
und Laden, an die kein Mensch kommen kann. Und im
Moreau-Museum ist ein so prächtiges Beispiel gegeben,
wie man im kleinsten Räume unendliche Mengen von
Zeichnungen ausstellen kann. Das dort angewendete Ein-
schachtelungssystem würde der Verwaltung des Louvre
gestatten, in den jetzt den Zeichnungen eingeräumten
Sälen nicht fünfhundert, sondern mindestens fünftausend
Zeichnungen unterzubringen. Aber man besteht im Louvre
darauf, jede einzelne Zeichnung einzurahmen und an die
Wand zu hängen. Und natürlich kann man nicht mehr
als zwei Reihen übereinander anbringen, wenn die Zeich-
nungen nicht unsichtbar werden sollen. Die neuen Säle
befinden sich in dem nördlichen Flügel des den Hof um-
schliessenden Baues und enthielten früher schon zum Teil
Zeichnungen und Pastelle, zum Teil kleinere Kunstwerke
und kunstgewerbliche Gegenstände. Von den im west-
lichen Flügel gelegenen Möbelsälen kommend, gelangt
man zuerst zu den Italienern, bei denen Vittore Pisano
mit seinen Pferden, Ebern und Hunden, Lorenzo Credi,
Filippo Lippi, Pallajuolo, Signorelli, Fra Angelico und
Perugino den Anfang machen. Den anstossenden zweiten
Saal nehmen Leonardo, Raffael und Michelangelo allein
ein. Von Raffael sind hier die Skizzen zu der von Giulio
Romano ausgeführten Constantinschlacht, zu dem Attila in
den Stanzen und zu der Grablegung in der Villa Borghese,
ausserdem eine ganze Reihe Studien und Akte, von Michel-
angelo die bekannte, auch früher im Louvre ausgestellte
Zeichnung des durch Überzeichnung in einen Faun ver-
wandelten jungen Mädchens und eine Skizze zu der sitzen-
den Statue der Jungfrau mit dem Kind in Brügge. Es
folgen Fra Bartolommeo, Perino del Vaga, Andrea del
Sarto, Correggio und Bandinelli. Im nächsten Saale hängen
ausser den wenigen Spaniern, darunter die früher schon
ausgestellte Skizze zu den Lanzas von Velazquez, Zeich-
nungen von Tizian, Veronese, dem jüngeren Palma, Tin-
toretto und je eine von Tiepolo und Antonio Canaletto,
von diesem selbstverständlich der Markusplatz. Nun
kommen wir zu den Niederdeutschen, die mit van Orley,
van Eyck, van der Weyden, Hieronymus Bosch, köstliche
Skizzen zu abenteuerlichen Höllengestalten, dem Höllen-
breughel, und Teniers, tanzende Bauern und eine Bauern-
schenke, anfangen. Es folgen ihre Landsleute Rubens,
van Dyck, Jordaens, Teniers, Snyders und weiterhin Rem-
brandt mit Skizzen zu bekannten Bildern, Studien von
Löwen und badenden Frauen, die beiden van de Velde
mit Ziegen und Schiffen, Potter mit einem Eber, Lukas
von Leyden mit einer köstlich ausgeführten Taufe Christi,
scharf und klar wie ein Stich, Ostade, Cuyp u. s. w. Im
anstossenden Saale sind die früher schon hier befindlichen
französischen Pastellisten neu geordnet worden, ohne dass
etwas Neues hinzugekommen wäre. Das schöne Porträt
der Pompadour von Quentin de la Tour und die beiden
herrlichen Selbstbildnisse von Chardin sind hier nach wie

vor die Glanzpunkte. Jenseits dieser Pastellisten schliessen
sich die deutschen Meister an: Meister E. S. mit einer
Taufe Christi, Schongauer mit einem Christus auf der Welt-
kugel und einem reichen Manne in der Hölle, wo er von
einigen schauerlichen Teufeln grausam gepeinigt wird,
Mair von Landshut mit einem geharnischten Ritter, Dürer
mit einem grossen Blatte, die ganze Leidensgeschichte
Christi enthaltend, mit mehreren phantastischen Ansichten
von Burgen und Städten und vielen Studien, Akten und
Porträtköpfen, Hans Baidung Grün, der ältere Holbein
u. s. w. In den französischen Sälen finden wir zuerst die
im Museum zu Chantilly so vortrefflich vertretenen
Porträtisten des sechzehnten Jahrhunderts, sodann Callot,
dessen Skizzenbuch leider fest eingeschlossen im Glas-
schrank liegt, so dass man von seiner Anwesenheit
nichts hat, Lebrun, Lorrain, Poussin, Coypel, Desportes,
die Schäferhöflinge Boucher, Lancret, Watteau, Fragonard,
einige Schlachten von Parrocel, ein zuckersüsses Köpfchen
von Greuze, weiterhin die Skizzen David's zu dem Schwur
im Ballsaal, der Verteilung der Fahnen, dem Leonidas und
den Sabinerinnen, die im allgemeinen weniger schul-
meisterlich und steif sind als die ausgeführten Gemälde,
Gericault mit einer wütenden Reiterschlacht zwischen
Christen und Türken, einer verfänglichen Scene zwischen
Faun und Nymphe, einem berittenen Jäger, der eine Hirsch-
kuh verfolgt, zahlreichen Löwen, Pferden u. s. w., Prud'hon
mit den Skizzen zu dem von der Gerechtigkeit verfolgten
Verbrecher und der Entführung Psyches, ausserdem einem
vollständig ausgeführten Porträt seiner Freundin Frl. Mayer
und zwei hübschen Pastellen, Charlet mit Soldaten und
gemütlichen Kinderscenen, Vernet mit eleganten Rei-
tern. Delacroix folgt mit prächtig hingeworfenen Löwen,
den daneben hängenden Tigern und Löwen Gericault's in
der ganzen Art sehr ähnlich, Ingres mit den Kartons zu
den Glasfenstern in Dreux, kalt und korrekt, mit ebenso
kalten und korrekten Skizzen einiger seiner Bilder und mit
einer Reihe seiner ausgezeichneten, köstlichen Bleistift-
porträts, die ihn zu einem grossen Meister für alle Zeiten
heiligen, Millet mit einigen Bauern und einem Pastell, ein
Mädchen am Butterfass, Huet mit mehreren italienischen
Landschaften, Fromentin mit Typen aus dem Orient, Neu-
ville mit seinem durch den Buntdruck allgemein bekannt
gewordenen Parlamentär und endlich Jacquemart, dem man
unbegreiflich viel Platz zu zwanzig oder dreiesig Aqua-
rellen eingeräumt hat, deren künstlerische Qualitäten durch-
aus nicht dem entsprechen, was man im Louvre verlangen
sollte. Von dieser letzteren unverständlichen Bevorzugung
eines keineswegs zu den bedeutenden französischen Meistern
gehörigen und ausserdem erst zwanzig Jahre toten, also
dem allgemeinen Usus nach noch nicht für die Aufnahme
in den Louvre reifen Malers abgesehen, kann man sich
mit dem Arrangement der neuen Säle zufrieden erklären,
wenn auch der weiter ober! ausgesprochene Wunsch einer
besseren Raumausnutzung nach dem Vorbilde des Moreau-
Museums voll bestehen bleibt. karl eugen Schmidt.

BÜCHERSCHAU

Wilhelm Bode, Kunst- und Kunstgewerbe. Verlag von
Bruno Cassirer, Berlin.
Wir finden heute in weiten Kreisen unter Kritikern,
Schaffenden und Kunstfreunden die Ansicht mehr oder
minder bewusst ausgeprägt, dass ein aktives Interesse an
alter Kunst und an den neuzeitlichen Emanzipations-Be-
strebungen sich, wenn auch nicht ausschliessen, so doch
beeinträchtigen muss. Man nimmt an, dass demjenigen,
der mit den Alten gelebt und gefühlt hat, der Daseins-
boden unter den Füssen weggezogen wird durch jeden
 
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