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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Wolf, August: Neues aus Venedig, [3]
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Benjamin-Constant
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0225

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang. 1901/1902. Nr. 28. 5. Juni.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, ä 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

NEUES AUS VENEDIG

Am 18. Mai wurde endlich im Palazzo Pesaro die
städtische Galerie der Werke moderner Meister feierlich
und mit den üblichen Reden eröffnet. Die Anregung zur
Gründung dieser Galerie dankt Venedig dem jungen
hiesigen Fürsten Giovanelli, der im Jahre 1897, gelegent-
lich der zweiten internationalen Ausstellung, acht Gemälde
in- und ausländischer Meister erwarb und dieselben der
Stadt schenkte, den Wunsch aussprechend, es möge mit
dieser Schenkung der Anfang einer städtischen Galerie
gemacht werden. Sein Beispiel fand Nachahmung, so dass
jetzt nach nur vier Jahren die Galerie 206 Werke aufweist,
welche 115 verschiedenen Autoren angehören: 96 Gemälde,
17 plastische Werke, 78 Radierungen, 8 Zeichnungen,
7 Arbeiten der Kleinplastik. 17 verschiedene Staaten sind
vertreten, darunter verzeihlicher Weise Italien am reich-
haltigsten, mit 69 Nummern, Deutschland mit 45 u. s. w. —
Der Stadtrat beschloss, die solchergestalt entstandene
Kunstsammlung provisorisch im Palast Pesaro aufzustellen,
welcher bekanntlich von der Contessa Bevilacqua zu ähn-
lichen Zwecken der Stadt vermacht worden ist. — Die
Aufstellung ist provisorisch, weil jetzt schon fast der Raum
nicht hinreicht. Sind ja doch für die Ankäufe von Seiten
Venedigs für die nächste Internazionale 1903 bereits
100000 Lire zusammengebracht worden. — Ein Besuch
in dem prächtigen Palaste, der nun diese Galerie enthält,
ist ungemein interessant und belehrend. Er kann auch den
Allerblindesten die Augen öffnen und viel zu denken geben.

Das Unwahre, Verwerfliche der ganzen Ausstellungs-
mode mit all ihren Intriguen, Gehässigkeiten und schreienden
Ungerechtigkeiten kann nicht schlagender bewiesen wer-
den, als durch das Erstaunen, welches sich all derer be-
mächtigen muss, welche nun ihre Götzen von Piedestal
gestürzt sehen: Bilder, welche in der täuschenden Aus-
stellungsbeleuchtung von den Freunden ihrer Autoren
verhimmelt wurden, sind nun, im einfachen Lichte einer
Behausung aufgestellt, auf ihren wahren Wert reduziert. —
Die bunte Menge, die Musik, die Blumen, die festlichen
Toiletten der Damen und hundert andere Faktoren, welche
ein Bild in der Ausstellung mit einem gewissen Nimbus
umgeben, fehlen hier. Das geschmückte Weib von gestern
Abend erscheint nun am anderen Morgen in ihrer wahren
Gestalt, nüchtern und verkommen. — In dem einfachen
Seitenlichte werden wir des Mangels jeder anständigen
Technik gewahr, der Abwesenheit jeder Zeichnung, des
Formgefühls, jedes wirklichen Könnens. Die völlige Rück-
sichtslosigkeit gegenüber den Kennern im Publikum tritt
in erschreckender, beängstigender Weise an den Tag. —
Man fragt sich jetzt erst: Wie ist es möglich, dass dieser
oder jener »Meister« zu internationaler Berühmtheit ge-

langen konnte; wie konnte seine Technik bewundert wer-
den, der doch gar keine besitzt? Mit wenigen Ausnahmen
hervorragendster Art und deshalb um so herzerfreuender,
hinterlässt diese neue Kunstsammlung einen ziemlichen
Eindruck, ganz abgesehen von der bedeutenden Summe,
welche erforderlich war, sie zu erwerben. Man bedenke,
dass dieselbe sich an dem Orte befindet, wo die grössten
Meister des Kolorits ihre gewaltigen Werke schufen, welche
noch heute im höchsten Glänze strahlen, wogegen die
schlammartige Farbe eine gemeinsame Eigentümlichkeit
der meist freudlosen modernen Meister ist und zwar hier
wie im höchsten Norden. In absehbarer Zeit wird man
sich in Venedig fragen, ob es denn wirklich so gar
wünschenswert war, kennen zu lernen, was im fernsten
Norden gemacht wird und es für schweres Geld zu erwerben.
Man wird sich an die grossen Vorfahren erinnern, und
von neuem versuchen das ewig Bleibende in ihnen, sich
zu eigen zu machen. Man wird beklagen, dass durch
das Ausstellungstreiben, durch welchen oft die schlimm-
sten Seiten in der Künstlernatur entfesselt wurden, so
vieles verdorben wurde; dass die besten im Publikum
der Freude an den Erzeugnissen der Ausstellungskunst
müde, sich von den Resultaten einer überhasteten Thätig-
keit abgewendet haben. Man wird dann erkennen, dass
die meisten der Künstler, besonders die Maler einer Tech-
nik sich hingeben, die nur für den Ausstellungsraum Stich
hält und in jeder anderen Beleuchtung in ihr Nichts zu-
sammenfällt. Man wird mit Schmerz gewahr werden, wie
die Ausstellungen jede Nationaleigentümlichkeit in der
Künstlernatur verwischt haben. Man wird versuchen aus
dem Zerstörungswerk zu retten, was gerettet werden kann.
Doch muss vorher der Einfluss und die Herrschsucht
der geheimen Verbindungen Weniger zum Schaden (ideellen
wie materiellen) der Wahrheit ihr Äusserstes geleistet
haben. Die Ausstellungen mit ihren durch die selt-
samsten Schliche erreichten Ankäufen aus öffentlichen
Geldern, sie müssen aus sich selbst zu Grunde gehen:
Die Suggestion und ästhetische Hypnose muss einer un-
befangenen Beurteilung Platz machen. auqust wolf.

BENJAMIN-CONSTANT f
In Jean Joseph Benjamin-Constant verliert die offizielle
französische Malerei einen ihrer bedeutendsten und ange-
sehensten Vertreter. Besonders im Auslande wurde er
ausserordentlich geschätzt, und während in Frankreich
selbst Bonnat als Hofmaler der Republik einen Präsidenten
nach dem andern malte, wandten sich die englischen
Königinnen und Prinzessinnen, Earls und Lords an Ben-
jamin-Constant, wie denn auch die royalistische Aristo-
kratie Frankreichs ihm den Vorzug gab. Obgleich er in
den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens hauptsächlich

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