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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon
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Abendmuseen und Schausammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0235

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453

Abendmuseen und

Schausammlungen.

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wurden von den Versaillern die letzten Verteidiger des
Kommuneaufstandes, einige hundert Männer, Frauen und
Kinder erschossen. Moreau hat die Mauer belebt, und
aus den zerschossenen und durchlöcherten Steinen blicken
uns die verzweifelten oder verzückten, angstvollen oder
furchtlosen Gesichter der Opfer der blutigen Maiwoche
1871 an. Es ist dem Künstler ganz ausgezeichnet gelungen,
diesen Erscheinungen einen geisterhaften und unbestimmten,
grauenerregenden Eindruck zu geben, der die »Mauer«
zu einem höchst aufregenden und ergreifenden Werke
macht. Fremiet's bronzener Duguesclin schliesst sich den
ähnlichen dekorativen Reiterslutuen des bekannten Bild-
hauers würdig an, Oardet, gegenwärtig wohl der beste
französische Tierbildhauer, hat eine vortreffliche dänische
Dogge, und Hippolyt Lefebvre ist mit einer sehr stimmungs-
vollen, schönen und ergreifenden Marmorgruppe von
blinden Mädchen, welche der Musik einer unter ihnen
lauschen, vertreten.

In den Griffelkünsten leisten die Franzosen nicht her-
vorragend viel. Die wenigsten französischen Künstler be-
schäftigen sich selbständig mit diesem Zweige der bilden-
den Kunst, und im allgemeinen bekommt man in der
Abteilung der Radierung und Lithographie nur die Ver-
vielfältigung bekannter Ölgemälde zu sehen. Otto Greiner
ist zum erstenmal auf dem Salon erschienen mit seiner
in Deutschland vermutlich längst bekannten herrlichen
Lithographie »An Klinger«, von französischen Radierern
erwähne ich nur Leon Salles mit einem Soldatenbilde
Detaille's, das in der Radierung weit besser wirkt als in
den Ölfarben, und August Boulard, der ein wenig inter-
essantes Bild von Flameng in sehr interessanter Art
radiert hat.

ABENDMUSEEN UND SCHAUSAMMLUNGEN
In der Königs Geburtstags-Nummer des konservativen
sächsischenWochenblattes»Das Vaterland« sprichtWoldemar
v. Seidlitz, der vortragende Rat für die königlich sächsischen
Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in bemerkens-
werter Weise über die möglichen Veränderungen und Er-
weiterungen der Museen für die ästhetische Erziehung des
Volkes. Zunächst spricht er über die vielseitig verlangte
Öffnung der Museen zu den Abendstunden. Man zweifele
noch daran, ob eine solche Massregel auch den erwünschten
Erfolg haben und von der arbeitenden Bevölkerung, auf
die sie vornehmlich berechnet wäre, genügend benutzt
werden würde. Die Erfahrung lehre, dass solche Zweifel
durchaus begründet sind, soweit es sich um eine Hand-
habung der Museen nach der bisherigen Weise handelt.
Würden aber diejenigen Einrichtungen getroffen, welche
nötig sind, um den Inhalt der Museen auch für die breiteren
Schichten der Bevölkerung nutzbar zu machen, so könne
nicht wohl in Frage gezogen werden, dass durch die
Öffnung in den Abendstunden die besten Früchte erzielt
werden können. Der Besuch zu den Tagesstunden könne
dann entsprechend eingeschränkt werden.

Die Einrichtungen, auf die hier hingedeutet wird,
bestehen in einer Verringerung und zugleich strengeren
Auswahl des dem Publikum vorzuführenden Inhalts der
Museen und in einer gegen jetzt wesentlich ausgedehnten
Erläuterung der ausgestellten Gegenstände.

Uber den ersten Punkt, die Trennung der Sammlungen
in Schau- und Studien - Sammlungen sagt W. v. Seidlitz
folgendes: Allerorten wird es als ein sich immer steigern-
des Übel empfunden, dass die Museen infolge des unauf-
haltsamen Anwachsens ihres Inhaltes unübersichtlich und
eintönig geworden sind. Der unglückliche Besucher, im
Glauben, eine Pflicht der Bildung zu erfüllen, arbeitet sich
durch die lange Reihe der Säle durch, welche eine endlose

Zahl der verschiedensten Gegenstände ohne Sonderung
des Bedeutenden von dem Unbedeutenden, wohl aber in
ermüdender Aneinanderreihung des Gleichartigen ent-
halten, und sucht verzweiflungsvoll mit Hilfe eines be-
liebigen Bädekers die für ihn wichtigen Hauptstücke in
diesem wohlgeordneten Chaos herauszufinden.

Diese systematische Anordnung, dieses Streben nach
möglichster Vollständigkeit sind für die Erfüllung der
wissenschaftlichen Zwecke der Sammlungen, deren Ver-
folgung, nachdem sie einmal als eine Notwendigkeit er-
kannt worden ist, nicht wieder aufgegeben werden kann,
notwendig; nur bricht sich immer mehr die Einsicht Bahn,
dass der populäre Zweck, den die Sammlungen, seitdem
sie aufgehört haben, blosse Raritätenkammern zu sein,
daneben zu erfüllen haben, nicht auf dem gleichen Wege,
sondern in einer durchaus anderen Weise erreicht werden
muss. Das Publikum, das gebildete wie das ungebildete,
verlangt weder nach Systematik, noch nach Vollständigkeit,
wohl aber erwartet es in den Museen Stätten der Beleh-
rung, der Anregung, des Genusses zu finden. Diesen be-
rechtigten Wunsch wird man erfüllen müssen.

Solch eine Schausammlung würde nur aus den besten,
dafür aber in künstlerischer, weiträumiger Weise aufge-
stellten Gegenständen zu bestehen haben, damit jedes
Stück für sich genossen werden kann. Auf eine strenge
Sonderung der einzelnen Sammlungsgebiete brauchte da-
bei gar nicht gesehen zu werden; im Gegenteil kann es
nur günstig wirken, wenn Gemälde, Statuen und sonstige
Kunstwerke in einem und demselben Räume vereinigt
werden; ebenso die Andenken an die einzelnen Fürsten
des Landes, welche jetzt über verschiedene Sammlungen
verteilt sind. Weiterhin die Hauptformen der Natur aus
den verschiedenen Reichen und anderseits die Haupt-
erzeugnisse des Kunstfleisses der einzelnen Erdteile.

Der verbleibende Teil der Sammlungen brauchte dann
nur zu Studien und im übrigen unter gewissen Beschrän-
kungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.
In regelmässigen Zwischenräumen müssten aber aus seinen
Beständen nach sorgfältig zu wählenden Gesichtspunkten
wechselnde Sonderausstellungen gebildet werden, die in den
für die Öffentlichkeit bestimmten Räumen ihre Aufstellung
fänden und einzelne Fragen und Gebiete zu beleuchten
hätten.

Mündliche Erläuterung. Um die auf solche Weise
ausgewählten Gegenstände für die Masse der Besucher
wahrhaft nutzbar zu machen, genügt jedoch selbst die ein-
gehendste gedruckte Erläuterung nicht, sondern das leben-
dige Wort muss hier anregend zu Hilfe kommen, nament-
lich während der abendlichen Öffnungszeiten. Eine solche
Einführung in das Verständnis des Gebotenen wird durch
die Beamten der Sammlungen erstmalig zu geben sein,
aber nicht vor dem Publikum selbst, dessen Bedürfnissen
zu genügen ihre Kräfte keineswegs ausreichen, sondern
vor einer Schar von Helfern, die bereit sind, das Gehörte
weiter zu übermitteln. Erst wenn die in den Sammlungen
aufgehäuften Schätze auf solche Weise gesichtet und ver-
arbeitet sein werden, wird die Nutzbarmachung dieses
Besitzes als gesichert betrachtet werden können.

Sollte sich weiterhin das Bedürfnis geltend machen,
auch den Städten des übrigen Landes, welche keine
eigenen Sammlungen besitzen, die Wohlthaten des Kunst-
genusses und der Belehrung an Ort und Stelle zuteil
werden zu lassen, so müssten Kunstwerke, namentlich
neuere, eigens für einen solchen Zweck und aus beson-
ders dafür zu beschaffenden Mitteln erworben werden, da
die Bestände der grossen Sammlungen zu Wanderaus-
stellungen und ähnlichen Veranstaltungen nicht verwendet
werden können. —
 
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