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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Hänel, Erich: Die deutschnationale Kunstausstellung Düsseldorf 1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0257

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang. 1901/1902. Nr. 32. 7. August.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, ä 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE DEUTSCHNATIONALE
KUNSTAUSSTELLUNG DÜSSELDORF 1902

Es gab einmal eine Zeit, wo die deutsche Kunst
ihren Hochsitz in Düsseldorf hatte. Mehr noch: wohl
ein halbes Jahrhundert der deutschen Kunstgeschichte,
wie es sich heute unseren Augen darstellt, entströmte
der Stadt am Niederrhein oder durchflutete in breitem
Schwall ihren Bannkreis. Als vor nunmehr 76 Jahren
Wilhelm von Schadow, der Sohn des Berliner Bild-
hauers, das Amt eines Düsseldorfer Akademiedirektors
übernahm, nachdem Cornelius nach München gegangen
war, da brach die grosse Zeit der Düsseldorfer Malerei
an. Was ein Lessing, ein Bendemann dann schufen,
Hess das Urteil der Zeit nicht länger in seiner kritischen
Zurückhaltung: jetzt, rief man, sei die Sehnsucht des
deutschen Volkes befriedigt, jetzt eine deutsch-volks-
tümliche Kunst geboren!

Diese Erinnerung ist nicht reizlos, wenn wir heute
die deutschnationale Kunstausstellung durchschreiten.
Das alte Schlagwort taucht wieder auf — so ist auch
wohl die alte Sehnsucht noch lebendig: die Sehnsucht
nach einer nationalen Kunst! Aber ich meine, der
kritische Gang wird uns müheloser werden, wenn
wir alles, was nach Programm und Richtung schmeckt,
vorerst beiseite lassen. Der Katalog belehrt uns, dass
schon im Jahre i8g8 die Künstlerschaft beschloss, 1902
eine deutschnationale Kunstausstellung, verbunden mit
einer Industrie-, Gewerbe- und Kunstgewerbeausstellung,
zu veranstalten. Letztere sollte die Mittel für den längst
ersehnten, monumentalen Kunstpalast gewinnen helfen.
Wenn nun heute das Banner des Nationalen über
dem grossen Renaissancebau auf der Golzheimer Insel
weht, so müssen wir uns erinnern, dass dieser That-
protest gegen den Internationalismus des deutschen
Ausstellungswesens nicht ohne Vorläufer ist. In
Dresden hatte 1899 eine deutsche Kunstausstellung
einen glänzenden Erfolg. Indem man jetzt in Düssel-
dorf die Maschen des Jurysiebes erheblich erweiterte,
konnte man zwar ein umfangreicheres, aber sicher kein
klareres Bild dessen erzielen, was die deutsche Kunst
um die Jahrhundertwende ausmacht. Zudem räumte
man dem lokalen Kunstschaffen, mit etwa 16 Sälen
von 32 überhaupt zur Verfügung stehenden, eine Rolle
in der Gesamtveranstaltung, die — zum mindesten
nicht in einem gerechten Verhältnis zu der Rolle steht,

die Düsseldorf heute unter den deutschen Kunststädten
spielt.

Das muss gesagt werden, vor allem dem Ausland
gegenüber, dessen Interesse man, der Lage des Schau-
platzes entsprechend, wohl mit Recht der Ausstellung
in besonderem Umfang zuwenden zu können hofft.
Als Ganzes sind die Säle der Düsseldorfer eine Ent-
täuschung. Wie wäre es einer einzelnen Stadt auch
möglich, mit eigner Kraft den Raum würdig zu füllen,
in den sich auf der andern Seite München und Karls-
ruhe, Dresden und Berlin, Wien, Stuttgart, Weimar
u. s. w. teilen? In dem Bestreben, einem jeden der
einheimischen Kunstpflänzchen einmal einen Platz an
der Sonne zu gönnen, hat man vergessen, dass heute
eine Kunstausstellung mehr sein muss als eine Revue
der Streitkräfte und ein Massenbazar. Gerade von
Dresden hätte man lernen können, was eine Regie
ausmacht, die nach den Gesetzen des Rhythmus und
der Steigerung mit dem ihr anvertrauten Material ver-
fährt. Wir müssen uns nun, im Kampf gegen die
Masse des biederen Durchschnitts, der das Gute oft
hart bedrängt, das Schlechte peinlich hervortreten lässt,
die für das ganze Bild bestimmenden kritischen Richt-
linien erobern.

Wenn je der Satz Bestand hat, dass die Tradition
eine Last von erdrückender Wucht ist, so darf er hier
auf Beachtung rechnen. Nicht als ob die Flutwelle
der achtziger und neunziger Jahre spurlos an Düssel-
dorf vorbei gegangen wäre. Aber die Geister der
Vergangenheit schienen uns mit fast hörbarem Flügel-
schlag die Bilder zu umschweben, die heute den Stolz
der Düsseldorfer Kunst ausmachen. Da ist vor allem
Peter Janssen, der Direktor der Akademie. Der grosse
Saal mit der Apsis, in der Klinger's »Beethoven« thront,
birgt die riesigen Leinwände, auf denen er für die
Aula der Universität zu Marburg allerhand Scenen
aus dem 13. Jahrhundert geschildert hat. Von Rechts
wegen müsste man an diesen Gemälden gar vielerlei
bewundern: die Kunst, ungezwungen den Gegenstand
als Komposition über die Fläche zu verteilen, die
Sicherheit, mit der das äussere Gewand einer längst
entschwundenen Zeit bis ins einzelne wieder ins Leben
gerufen ist, die Wahrheit der Gebärden, die uns oft
eine ungemein erregte Aktion versinnlichen, und anderes.
Und trotzdem bleibt man kalt. Der Versuch, die mo-
dernen Errungenschaften des Realismus, das helle Licht
 
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