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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Schleinitz, Otto von: Die Winterausstellung in der "New Gallery" in London
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0181

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345

Bücherschau.

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guten Kopie nach einem Holbein'schen Bilde zu thun,
dessen Verfasser durch hinzufügen der Inschrift den An-
schein eines Originalwerkes erzeugen wollte. Ebenso-
gross wie die Nachfrage nach Miniaturen ist, in eben dem-
selben Masse werden in England Imitationen angefertigt.

O. v. SCHLEINITZ.

BÜCHERSCHAU
Hans Rosenhagen, Würdigungen. Berlin 1902. Her-
mann Nabel.

Noch vor 10 Jahren war der Name Hans Rosenhagen
nur der kleinen Schar seiner litterarischen Freunde und
den wenigen Lesern eines kleinen Berliner Künstlerblattes
bekannt, dessen Leitung Rosenhagen übernommen und mit
bewundernswerter Energie geführt hatte. Heute gilt er
wohl als einer der besten unter den jüngeren Berliner Kunst-
feuilletonisten, ist er neben Muther vielleicht der begehrteste
Mitarbeiter moderner Kunstzeitschriften und Tagesblätter.
Selbst seine näheren Freunde überrascht es, wie er durch
eiserne Energie in wenigen Jahren sich zu einem guten
Essayisten emporgearbeitet hat. Die Ausgeglichenheit
seines Stiles, die er zum Teil der fleissigen Lektüre Qoethe's
zu verdanken scheint, sticht wohlthuend ab gegen die
gespreizte Redeweise so vieler seiner Fachgenossen. Ob-
wohl ein Vorkämpfer modernster Kunst, ist Rosenhagen
doch frei von aller Ungerechtigkeit gegen ältere Meister,
weiss er auch ihre Leistungen liebevoll nachzuempfinden.
Überhaupt zeugt seine Art zu urteilen bei aller Frische
und Subjektivität doch von reicher Erfahrung und der
Fähigkeit, über den Tageseindrücken nicht die grossen Ge-
sichtspunkte zu verlieren, auch nicht in Bilderbeschreibungen
sich zu erschöpfen, sondern feinsinnige Studien zur
Charakteristik moderner Künstler zu geben. Das beweist
er gerade in dem obengenannten Büchlein, durch welches
einige seiner in Tageszeitungen verstreuten Würdigungen
neuerer Maler der Vergessenheit entrissen und zu behag-
licher Lektüre dem Kunstfreunde dargeboten werden.
Was Rosenhagen hier über Chodowiecki, Menzel und Knaus,
über Leibi und Trübner, über Segantini und Böcklin sagt,
ist natürlich nicht in jeder Zeile neu, ist nicht geschrieben,
um den betreffenden Meister in einem ganz überraschenden
Lichte erscheinen zu lassen. Rosenhagen lässt überhaupt
nicht sein litterarisches Genie auf Kosten der besprochenen
Künstler leuchten. Aber in jedem der Essays ist mit
herzlicher Anteilnahme, in feiner Form die Eigenart des
betreffenden Meisters so elegant gezeichnet, dass man
mit grösstem Vergnügen in einer ruhigen Stunde diese
geistreichen Pastellporträts Revue passieren lassen wird.

M. Sch.

Ludwig Justi. Konstruierte Figuren und Köpfe unter
den Werken Albrecht Dürer's. Leipzig, Hiersemann,
1902, Fol.

Justi untersucht, inwiefern Dürer's Proportionsstudien
in seinen Werken praktische Anwendung gefunden haben,
und kommt auf Grund exakter Nachmessungen und Re-
konstruktionen zu dem unanfechtbaren Ergebnis, dass zahl-
reiche fdealkörper und /dealköpft des Meisters in Stichen,
Zeichnungen und Bildern thatsächlich mit Zirkel und
Richtscheit konstruiert sind. Diese Probe auf das theore-
tische Exempel lässt an Genauigkeit und Sorgfalt nichts
zu wünschen übrig, und stellt damit eine unumstössliche
Wahrheit hin, an der die Kunstgeschichte nicht vorüber-
gehen kann. Die Erklärung der Thatsache und die Folge-
rungen aus ihr bilden indessen recht eigentlich erst ein
kunsthistorisches Problem. Der Verfasser bekennt, dass
hier leider noch manches problematisch bleibt. Er unter-
sucht zunächst die möglichen Quellen für Dürer's Propor-
tionsschemata. Der viel zitierte Kanon Barbari's wird bei

Seite geschoben, da wir keine genügende Kenntnis von
ihm besitzen. Vitruv's spärliche und einander wider-
sprechende Berechnungen wurden von Dürer korrigiert auf
Grund eigener Übung und Vernunft «, vielleicht unter Ein-
wirkung Luca Pacioli's, des Freundes Lionardo's, die aber
erst während der zweiten venezianischen Reise Dürer's
(1506) sich vermuten lassen. Dürer selbst gesteht (Lange-
Fuhse p. 342), dass er »nie von solchem Ding gehört«
habe, bevor er Barbari kennen gelernt. Der hat ihm um
1500 vielleicht eine Proportionszeichnung gezeigt, ohne
ihm doch »seinen Grund klärlich anzuzeigen . Der Anstoss,
sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, mag also Dürer
von Italien gekommen sein. Aber, auch wenn die Be-
rührung mit italienischen Theoretikern klarer bewiesen
wäre, als bisher möglich war, bleibt es dabei, dass der
deutsche Künstler keineswegs ein sklavischer Nachbeter
des von jenen Erlernten gewesen. Er selbst giebt uns
einen Fingerzeig, dass er sich aus eigener Kraft zu seinen
Massen durchgerungen: -Doch nahm ich mein eygen Ding
für mych, und las den Fitrufium der beschreibt ein wenig
van der glidmas eines mans, Also van oder aus den zweien
obgenanten manen hab ich meinen anfang genumen, und
hab dornoch aws meinem fürnemen gesucht van dag zw
dag.< Der römische Baumeister und der liebliche italie-
nische Maler erschienen ihm also mehr als Vorbilder, sich
anf eigene Faust mit diesen Dingen zu beschäftigten, denn
als Lehrmeister.

Der Eifer aber, mit denen Dürer diesen Vorbildern
nachstrebte, setzt immerhin eine Neigung zu mathema-
tischer Abstraktion voraus, die bei einem Künstler von
stärkerer formaler Phantasie kaum jedieOberhand gewonnen
hätte, selbst wenn man die Verehrung des humanistischen
Zeitalters für alles, was antike Überlieferung und italienische
Wissenschaft hiess, in Rechnung zieht.

Diese Erkenntnis, zu der Justi sich und uns in sach-
lich-sorgsamer Arbeit den Weg gebahnt hat, durchleuchtet
das künstlerische Schaffen Dürer's mit einem Licht,
das bisher nur selten nach Gebühr beachtet wurde, ob es
gleich in den Aufzeichnungen des Meisters hell genug
brannte. Dafür wissen wir dem Verfasser Dank. Aber,
so fragen wir trotzdem weiter, ist das, was die
deutsche Kunst Dürer verdankt, nicht vielmehr darin zu
sehen, dass er sich von diesen mathematisch-wissenschaft-
lichen, wie von den älteren zünftlerischen Fesseln seiner
Zeit zu befreien vermochte, wenn der wahrhaft künstle-
rische Geist ihn überkam ? Muss die rationelle Gebunden-
heit seiner Ideen nicht als Hemmnis gelten, das ihn zeit-
weilig an der vollen Entfaltung seiner Gaben hinderte?
Seine Freude an der Natur, sein naives menschliches Em-
pfinden, für die wir nur seine Landschaftszeichnungen und
Porträtstudien als wohlbekannte Zeugen aufzurufen brau-
chen, wiegen schliesslich doch erheblich schwerer, als all
seine Klügelei. Erst der Sieg solcher Empfindung über
den Geist der Zeit und über die eigene Neigung zur Abstrak-
tion erklärt Dürer's kunstgeschichtliche Bedeutung. Strei-
chen wir aus seinem Werk alle konstruierten Körper und
Köpfe, so bleibt ein Rest übrig, der vielleicht nicht
genügen mag, um Dürer's Wesen ganz zu erklären, wohl
aber, um seine Unsterblichkeit zu begreifen.

Er selbst dachte bescheiden genug von allen Theo-
rien, so sehr sie ihn — namentlich im höheren Alter
beschäftigten. Schon 1512 warnte er seinen Leser: Item,
so du durch die obbeschriebenen Ding die menschliche
Mass verkehrst, so thu den Dingen nit zuviel mit Nehmen
und Geben, damit bis fleissig und bescheiden, auf dass
ein idlich Ding bei seinem natürlichen Wesen bleib.« Und
später: »darum nimm nimmer mehr für dich, dass du etwa
besseres Gleichnuss eines Dings wollest oder mögest
 
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