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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Holländischer Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0201

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von'E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang. 1901/1902. Nr. 25. 9. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, ä 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein 8t Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

HOLLÄNDISCHER BRIEF

Wenn wir die Ergebnisse, welche nach Abschluss
meines vorigen Briefes (das heisst nach Anfang
Dezember 1901) im holländischen Kunstleben statt-
gefunden haben, den deutschen Lesern der Kunst-
chronik in grossen Zügen vorführen wollen, so muss
in erster Linie die Ausstellung von Werken des
O. H. Breitner genannt werden.

Diese Ausstellung, welche im Künstlerverein »Arti
et Amicitiae« in Amsterdam stattfand, war geradezu
ein Ereignis in der holländischen Kunstwelt, ein Er-
eignis, ungefähr wie die Maris-Ausstellung im Haag
vor einigen Jahren.

Wie bereits früher in dieser Zeitschrift (Nr. 9,
19. Dezember 1901) berichtet ist, waren soviel als
möglich alle Gemälde, Zeichnungen u. s. w. aus den
verschiedenen Perioden der Entwickelung dieses kaum
vierzigjährigen Meisters von nah und fern zusammen-
gebracht, und somit ein Ganzes geschaffen, welches
einen unvergesslich schönen und erstaunlichen Ein-
druck machte.

Es giebt wenige Künstler, welche so vielseitig sind
wie gerade Breitner, es giebt auch wenige, welche
eine so grossartige Technik und eine so charakte-
ristische Pinselführung haben, wie dieser Maler. In
seinen frühen Arbeiten schon zeigt er sein stark per-
sönliches Talent. Damals beschäftigte er sich haupt-
sächlich mit Pferdestudien. Er machte die Manöver
mit und zeichnete und malte Kavallerie und Artillerie
in den verschiedensten Momenten und Darstellungen.
Wunderbar schöne, kleine Ölstudien z. B., mit einer
Schwadron Kavallerie auf der Heide unter düsterem
Himmel, die Mannschaft in dunkelblauer Uniform
auf den braunen scheckigen Pferden den Befehl zum
Angriff abwartend. Dann wieder einen Hügelabhang
mit trabenden Ordonnanzen, oder ein grosses Bild
mit anstürmender Kavallerie, ein Meisterwerk in Zeich-
nung und Kolorit, in grossen flotten Zügen und
vollster Wahrheitstreue hingemalt.

Stimmungsbilder sind Breitner's Werke, Stim-
mungsbilder von sonderlich ergreifender Wirkung.
Je mehr er in seinen Arbeiten fortschreitet, je reifer
seine Kunst wird, desto stimmungsvoller werden seine
Bilder. Namentlich die Pferde sind vortrefflich charak-

terisiert: wie sie wütig traben im Angriff, wie sie
müde ausruhen oder ungeduldig warten, wie sie
schwere Lasten ziehen oder halb schlafend vor dem
Pferdebahnwagen im Regen stehen.

Das Pferd spielt bei Breitner eine grosse Rolle,
auch in seinen Arbeiten aus der Zeit, welche man
seine zweite Periode nennen könnte. Es sind dieses
die Bilder aus dem Amsterdamer Strassenleben, Bilder,
welche durch die einfache wahre Wiedergabe des
Gegenstandes nicht allein, sondern auch durch die
Wahl desselben einen unvergesslichen Eindruck
machen. Ein trüber grauer Himmel hängt über den
dunklen Häusern an einer Amsterdamer »Gracht«.
Es hat eben aufgehört zu schneien. Durch den
frischen Schnee, der schon von Fuhrwerk und Fuss-
gängern zertreten und schmutzig geworden ist, ziehen
zwei Pferde mit grösster Mühe einen schwer beladenen
Wagen fort. Der Fuhrmann geht fröstelnd nebenher,
ein paar Dirnen, ärmlich gekleidet, das Halstuch vor
den Mund haltend, arbeiten sich mühsam durch
Schnee und Wind hindurch. Ein anderes Bild wieder
zeigt uns einen trüben, stürmischen Nachmittag. Der
Regen peitscht durch die leeren Strassen, welche nur von
einigen Droschken belebt sind. Weitere Bilder versetzen
uns mitten in die grossen Verkehrsstrassen Amster-
dams. Das hervorragendste von diesen ist gewiss
die »Paleisstraat« im Schnee, ein Moment auf einer
Brücke, wo Fussgänger von verschiedenster Art, sich
eilend im täglichen Geschäftsleben, jeder für sich
seines Weges gehend, abgebildet sind.

Die Bewegung, das Grossstadttreiben in allen
möglichen Momenten hat Breitner darzustellen ver-
mocht, wie vor ihm kein anderer. Und das mit einer
Virtuosität der Pinselführung, die einen jedesmal ins
Staunen setzt. Die meist unmalerischen Gegenstände
werden, von seinem Talent berührt, zu einem Kunst-
werk. In letzter Zeit hat Breitner auch viele Interieur-
studien gemacht, unter welchen mir namentlich einige
Damen in japanischer Tracht aufgefallen sind.

Jedoch für dieses Mal genug von den Werken
dieses Malers. Es ist nicht gut möglich (mir wenigstens
nicht), ihn denjenigen Leuten zu charakterisieren,
welche seine Arbeiten nicht gesehen haben. Deshalb
hoffe ich, dass auch in Deutschland bald einmal
mehrere von Breitner's Bildern zu einer Gesamtaus-
stellung vereinigt werden mögen.
 
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