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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Haenel, Erich: Frühjahrsausstellung der Münchner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0177

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang. 1901/1902. Nr. 22. 17. April.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, ä 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von H a as e n s t ei n & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

FRÜHJAHRAUSSTELLUNG DER MÜNCHNER
SECESSION

Die grosse Kunstparade, wie sie allsommerlich
in den so durchaus unkünstlerischen Räumen des
Glaspalastes abgehalten wird, wirft ihre Schatten voraus.
Ehe noch der Himmel wieder gut bayrisch blau und
der Schnee geschmolzen ist, ordnen sich die Streit-
kräfte zu einer vorläufigen Musterung, und schreiben
prophetisch keck auf ihre Fahne das süsse Wort
»Frühling«. Darin liegt aber nicht nur eine zeitliche
Feststellung, sondern auch eine Art Symbol. Sind
es doch zumeist nicht Werke von absoluter innerer
und äusserer Vollendung, die hier vereinigt werden,
sondern Arbeiten, deren Reiz in den Zügen des
Unentwickelten, Vorwärtsfastenden liegt, die wir an
ihnen erkennen. Wie in den jungen Keimen des
Frühlings, die das allmähliche Blühen und Wachsen
der Natur vorausahnen lassen, so steckt auch in
diesen Werken die Formel von dem ewigen Sich-
Neu-Erschaffen der Lebewelt. Auch ihre Bedeutung
ergiebt sich nicht so aus der trüben Gegenwart denn
aus der heitern, hoffnungsschweren Zukunft. Das
gilt auch jetzt wieder von der Secession. Zwar viele
grosse Namen fehlen: Herterich, A. v. Keller, Stuck, Sam-
berger, H. von Heyden, Hierl-Deronco, Diez, Holzel,
Jank, Flad, Flossmann, Bermann und andere mehr.
Dafür finden sich eine Reihe von Künstlern, die bis
dahin nur mit wenigen Werken in der Öffentlichkeit
erschienen sind, in der Lage, ein ziemlich erschöpfendes
Bild ihres Könnens zu bieten. Denn auf dem Malen-
Können liegt heute in München noch immer das
Schwergewicht, wenn man nach einem Charakteristikum
des Wesens und Strebens der hiesigen Kunst sucht.
Nicht auf dem Ideenreichtum, wie Albert v. Keller
gelegentlich behauptet, wenn er die Münchner Kunst
mit der gleichzeitigen Frankreichs vergleicht. Was
diese Tendenz an Vorzügen und Mängeln enthält,
ist offensichtlich. Die einen sagen, die allzuhoch
entwickelte technische Sicherheit begünstigt die Neigung
zu einer stilistischen Manier, d. h. die grössere An-
passungsfähigkeit an irgend ein fremdes Vorbild, sei
das nun in einer neuen Stilmode oder einer über-
ragenden Persönlichkeitskunst zu suchen. Und wehe
dem, der aus dem Gehege der Anempfindung nicht
mehr den Rückweg zum eignen künstlerischen Selbst

findet! Auf der andern Seite: erst die volle Über-
windung aller derartigen Schwierigkeiten bedingt die
innere Freiheit, die zum Siege der Individualität führt
— meist mit Hinweis auf die »alten Meister«, be-
sonders Holbein, Ghirlandajo, Ribera und solche
mehr. Die Künstler kümmern sich natürlich wenig
um diese Theoreme. Wenn wir konstatieren, die
deutsche Malerei sei heute auf einem toten Punkte
angelangt, der Symbolismus sei überwunden, der
Neu-Idealismus im Absterben und der Naturalismus,
nach einem beispiellos kühnen und rücksichtslosen
Ansturm, nunmehr im Besitz der ersehnten Position,
so kann ihnen doch das die Lust an der grünen
Wirklichkeit nicht rauben.

Die Bilder in der Secession machen uns darum
den kritischen Gang nicht eben leicht. Wo jeder
nur trachtet, auf seine Facon mit Zinkweiss und
Ultramarin vor der nackten Natur selig zu werden,
da kommt man mit den kunsthistorischen Schlag-
wörtern nicht weit. Und eine Systematik nach
grossen Individualgruppen erscheint vollends aus-
sichtslos. Zum Glück ist das Vierteltausend Kunst-
werke in den vornehm dekorierten Sälen des Säulen-
baus am Königsplatz so übersichtlich aufgestellt, dass
sich schon bei flüchtigem Umblick bald einzelne
Sondererscheinungen herausheben.

Eine der interessantesten ist Leo Patz. Seine
Bilder, fast durchweg Beleuchtungsstudien, haben für
den Laien nichts Reizvolles, die eigentümliche Art,
mit dem Pinsel in breiten Streifen der Form nach-
zugehen, mag sogar des öfteren ein Schütteln des
Kopfes erregen. Aber wie in dem Interieur »Bei
der Toilette« das Inkarnat des nackten Armes mit
ein paar kraftvollen Tönen herausgearbeitet ist, das
könnte in seiner stupenden Kühnheit fast an Besnard
erinnern. Ebenso bricht die pralle Sonne der »Aus-
fahrt« mit einer sprühenden Glut aus dem Bilde
hervor. In einigen Studien verdirbt die technische
Manier mit ihrer breiigen Formengebung die Wirkung,
und die Energie, mit der der Künstler die kompli-
ziertesten Lichteffekte anpackt, verpufft. Dagegen gehen
die meisten der kleinen Herbstlandschaften, in ihren
farbigen Hauptwerten wie mit dem Monientapparat
erfasst, ausgezeichnet zusammen. Ihm nahe steht,
wohl auch ein Stuckschüler, Ernst Stern. Sein
»Oberlicht«, eine Dame im Atelier auf einem grünen
 
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