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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Julius Dalou
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0193

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang.

1901/1902.

Nr. 24. 1. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der •Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, ä 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von H aase n st ein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

JULIUS DALOU f

In Julius Dalou verliert Frankreich einen der sechs
oder sieben Bildhauer, welche die französische Skulp-
tur unserer Zeit auf die höchste Staffel in der inter-
nationalen Stufenleiter gestellt haben. Neben Rodin
und Bartholome, mit Paul Dubois und Fremiet, muss
in der Geschichte der modernen Skulptur Dalou als
ganz grosser Meister von bleibendem Verdienste ge-
nannt werden. In seinem Vaterlande wurde er lange
Zeit nur von gewisser Seite nach Gebühr geschätzt:
in den konservativen, klerikalen und monarchistischen
Kreisen wollte man von ihm nichts wissen, weil er
sich gleich Courbet und zahlreichen andern bedeutenden
Künstlern an der Erhebung der Commune beteiligt
und von der damaligen Pariser Verwaltung ein Amt
angenommen hatte. Dass er in diesem Amte die der
Nation gehörigen Kunstsammlungen verwaltet und in
den Wirren des Bürgerkrieges beschützt hatte, half
ihm nichts nach dem Siege der Versailler. Und wäre
ihm nicht die Flucht gelungen, so hätte er wohl das
Schicksal der zwölftausend Pariser geteilt, die in der
schrecklichen Maiwoche 1871 der ungehemmten Mord-
wut der Versailler zum Opfer wurden. Geboren im
Jahre 1838 und ausgebildet im Atelier des antikisierenden
Akademikers Duret und in der Werkstatt des leben-
sprühenden, modernen Meisters Carpeaux machte Dalou
zum ersten Male im Jahre 1870 von sich reden, als
er im Salon die Gipsstatue einer »Stickerin« aus-
stellte. Vorher entstandene Arbeiten von ihm hatten
wir kürzlich Gelegenheit zu sehen in dem zur Ver-
steigerung ausgeschriebenen und deshalb dem Publi-
kum geöffneten Palaste der Marquise von Paiva, der
späteren Gräfin von Henckel-Donnersmarck. Daselbst
hat Dalou einen grossen Kamin und mehrere Skulp-
turen an Decken und Wänden geschaffen, die schon
seine ausserordentliche Begabung für dekorative Skulp-
tur darthun. Nach der blutigen Unterdrückung der
Pariser entfloh Dalou im Juni 1871 nach London,
wo er von seinem Freunde, dem daselbst lebenden
französischen Radierer Legros, gastfreundlich auf-
genommen und unterstützt wurde. Von London aus
beschickte er den Pariser Salon und kehrte nach der
Amnestie 1879 nacn Frankreich zurück. 1883 feierte
er hier einen grossen Triumph mit seinem grossen
Relief: »Mirabeau antwortet dem Marquis von Dreux-

Breze«, das sich jetzt in der Deputiertenkammer be-
findet und durch Radierungen und Photographien
allgemein bekannt geworden ist. Die Stadt Paris,
deren gewählte Vertreter in ihrer Mehrzahl die poli-
tischen Gesinnungen Dalou's teilten, erteilte ihm
mehrere Aufträge, und auch die Regierung der Repu-
blik blieb nicht dahinten, wenn das Ministerium
einmal eine radikalere Färbung hatte. So befinden
sich mehrere grosse Arbeiten Dalou's an öffentlichen
Plätzen in der Stadt Paris: das Denkmal des Malers
Eugen Delacroix und der trunkene Silen mit der
tollen Schar der Bacchantinnen, Faune und Satyrn im
Luxemburger Garten, die Statuen Blanquis und des
von dem Prinzen Peter Bonaparte erschossenen
Journalisten Victor Noir auf dem Friedhofe des Pere
Lachaise, die grosse Gruppe des Triumphes der
Rupublik auf dem Platze der Nation und die Statue
Lavoisier's in der Sorbonne. Ein für Bordeaux be-
stimmtes Denkmal Gambetta's ist vollendet und harrt
seiner Einweihung. Dalou hatte im Gegensatze zu
Rodin ein starkes monumentales und dekoratives
Talent; er verstand es vortrefflich, ein grosses Denk-
mal aufzubauen, so dass es von allen Seiten einen
harmonisch schönen, klar verständlichen Anblick bot,
und bei aller starken Bewegung, die er seinen Figuren
gab, verliess er doch nie die der Skulptur von den
Meistern der Renaissance gezogenen Grenzen plastischer
Schönheit. Mit Rodin war er 1889 aus der alten
Gesellschaft ausgetreten, um mit Meissonier und Puvis
de Chavannes die unter dem Namen Salon des Mars-
feldes bekannte Societe nationale des Beaux-arts zu
gründen. Die beiden Genannten waren seither die ein-
zigen nennenswerten französischen Bildhauer in diesem
Salon, denen sich als gleich oder gar höher stehender
Genosse der Belgier Constantin Meunier anschloss.
Indessen Hess Dalou sich in den letzten sieben Jahren
nur ein einziges Mal im Salon sehen: mit dem 1897
ausgestellten, jetzt im Luxemburger Garten befindlichen
Triumphzuge Silen's. Mit Rodin, dessen Bronzebüste
Dalou's eine der herrlichsten Arbeiten des vielum-
strittenen Bildhauers ist, hatte sich Dalou in den
letzten Jahren entzweit, nachdem die beiden früher
intime Freunde gewesen waren. Dalou, der die
Klarheit bestimmter Formen liebte, hielt mit seiner
Kritik der impressionistischen Skulpturen Rodin's
nicht zurück, und Rodin kann zwar die übertriebensten
 
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