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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Ein echter Raffael oder Giulio Romano?
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0219

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Bücherschau.

422

hin, das heisst auf die letzten Jahre seiner Laufbahn. Zu
jener Zeit (1516—20) hatte aber der vielfach als Archäolog
und als Oberarchitekt der Bauten von S. Peter in Anspruch
genommene Meister unmöglich die Zeit, den vielen Bilder-
Kommissionen, die ihm allerseits zufielen, selbst zu ge-
nügen. Er musste sich daher begnügen, den Entwurf,
vielleicht auch den Karton zu diesen Bildern und Fresken
zu machen, die Ausführung derselben jedoch seinen ihn
trefflich nachahmenden Schülern und Gehilfen, wie z. B.
Giulio Romano, Perino del Vaga, Francesco Penni und
mehreren anderen noch, zu überlassen. So entstanden
die Fresken in der Farnesina, jene in den Loggien, fast
die ganze Stanza dell' Incendio di Borgo im Vatikan, —
und unter den vielen, vielen Bildern die sogenannte
Perla, der Spasinio di Sicilia, die Visitation im Madrider
Museum, die Madonna di Francesco I und der grosse
hl. Michael im Salon Carre des Louvre, la Vierge au reveil
ebendaselbst; la Madonna del divino amore in den Studj
zu Neapel u. s. w. — Viele unter diesen, in jenen Jahren
aus der Raffaelischen Werkstatt herausgegangenen Bildern
tragen ganz ausgesprochen den Charakter der maniera di
Giulio Romano, und in diese Reihe möchte ich auch das
Bild setzen, das von Caraglio in Kupfer gestochen wurde
unter dem Namen Raffael's, und von dem Sie entweder
das Original oder aber eine Kopie besitzen, — was ich
natürlich nach einer photographischen Abnahme nicht zu
entscheiden im Stande bin.

Woraus entnehmen Sie aber, werden Sie mich mit
vollem Rechte fragen, dass die Ausführung des Bildes
nicht dem Urbinaten selbst, sondern seinem Schüler und
Hauptgehilfen in jener Periode von 1516—20 zuzuschreiben
sei? Darauf erlaube ich mir Ihnen zu antworten:

1. Aus dem landschaftlichen ganz unraffaelischen Hinter-
grund. Diese Landschaft, wenn wir den Strauch im Vor-
grunde ausnehmen, erinnert durchaus an die landschaft-
lichen Gründe auf mehreren Bildern aus jener Epoche des
Giulio Romano, unter anderen an die »Krönung der Maria«
in der Vatikanischen Pinakothek, die Giulio Romano in
Gemeinschaft mit Francesco Penni, nach dem Tode
Raffael's, für das Nonnenkloster di Monte Luce in Perugia
ausführte.

2. Aus der Behandlung der Haartressen der Madonna,
und mehr noch aus der der Haarlocken der beiden Kinder,
welche durchaus an die Haarlocken der beiden Putti im
Bilde der Dresdner Galerie von Giulio Romano, La Ma-
donna della Catina, gemahnen, — so wie auch an die der
beiden Kinder in der Madonna del divino amore desselben
Künstlers in den Studj von Neapel.

3. Aus der Form des Ohres der Madonna, die nicht
das fleischige, rundliche hat, wie dies bei Raffael stets der
Fall ist, sondern durchaus die länglichere Form aufweist,
die gewöhnlich das Ohr bei Giulio Romano hat.

4. Aus der Modellierung des Gesichts der heiligen
Elisabeth, welche dieselbe ist, die wir schon im Gesichte
der heiligen Elisabeth in der Madonna della Catina in
Dresden kennen gelernt haben.

5. Und endlich ganz besonders aus der dem Giulio
Romano ganz eigentümlichen Mundlage, mit den rüssel-
artig vortretenden Lippen, wie Sie dies auch bei den zwei
Kindern wahrnehmen.

Das Bildchen im Salon Carre des Louvre ist mir wohl
bekannt. — Der Katalog des Heirn Villot schreibt es mit
Recht der Schule des Urbinaten zu; ich selbst machte 1880
in meinem Notizbüchlein folgende Bemerkung vor jenem
Bildchen: »wahrscheinlich von einem Bolognesischen Nach-
ahmer Raffael's, etwa von Bagnacavallo, nach einem Ori-
ginalbilde des Giulio Romano, kopiert. Die Komposition
gehört aber dem Raffael.«

Mehr wage ich nicht zu sagen. Ihrem schönen Bild-
chen geschieht auf jeden Fall dadurch kein Abbruch.

Mailand, 30. August 1885. Giovanni Morelli.

Den vielen im Laufe dieses Sommers die Ausstellung
in Düsseldorf besuchenden Kunstfreunden ist wohl mit
der Adresse des Eigentümers obigen Gemäldes gedient:
Herr Schreiner, Düsseldorf, Wagnerstrasse 33.

BÜCHERSCHAU

Edward C. Strutt, Fra Filippo Lippi. London, G. Bell
& Sons, 1901.

Es ist erstaunlich, dass in einer Zeit, die, wie die
unsere, monographische Behandlung unstreitig bevorzugt,
ein Künstler, der so liebenswürdig und unterhaltend, so
gefällig und daher so beliebt ist, wie der Karmeliter
Mönch Fra Filippo, noch keine eingehende Darstellung
seines Schaffens erfahren hat, während andere, z. B. sein
Gegenstück als Künstler und als Mensch, Fra Angelico,
den Vorwurf für mehrere eingehende Monographien ab-
gegeben hat. Man könnte also wirklich in diesem Falle
von der »Lücke, die ausgefüllt wird«, sprechen, wenn das
vorliegende Buch den Gegenstand erschöpfend behandelte
und die zahlreichen Probleme, die auch diese Existenz
stellt, in der Hauptsache wenigstens, löste.

Trotzdem es der Verfasser offenbar an Hingabe an
seinen Stoff nicht hat fehlen lassen, trotzdem er in seinen
Bestrebungen von wohlbekannten Verlegern unterstützt
wurde, die das geschriebene Wort durch die grosse Zahl
der beigegebenen Illustrationen förderten: das Buch über
Fra Filippo Lippi ist uns von Edward C. Strutt nicht ge-
schenkt worden. Zugestanden sei, dass die Schwierigkeiten
gross sind, da es wenig sicher datierte Werke des Meisters
giebt und sein Stil nicht so starkem Wechsel unterliegt, als
dass die Bilder der verschiedenen Perioden deutlich von
einander sich unterschieden. Die Dokumente lassen uns
hier im Stich, denn die, welche wir besitzen — an Zahl
nicht wenige —, beziehen sich entweder überhaupt nur
auf das Privatleben des Künstlers, der mit den Gesetzen
zu wiederholten Malen in Konflikt kam, oder auf die
künstlerischen Unternehmungen seiner letzten Jahre.

Als den ersten Lehrer Fra Filippo's betrachtet der Ver-
fasser Don Lorenzo Monaco, der dem gleichen Orden an-
gehört hatte. Diese Annahme, die übrigens auch von Be-
renson ausgesprochen worden ist, hat sehr viel für sich;
man darf aber billig Beweise stilistischer Art erwarten und
diese werden nicht beigebracht. Als Jüngling erlebt es
Fra Filippo aus nächster Nähe mit, wie die Brancacci-
kapelle ausgemalt wird und empfängt hier die ent-
scheidenden Eindrücke seines Lebens. In einigen Bildern,
die man als Jugendwerke in Anspruch nehmen kann —
die Münchener Verkündigung, die zwei Versionen der An-
betung in der Florentiner Akademie und andere — finden
sich Beziehungen zu Masolino, während später Masaccio's
überwältigender Einfluss in den Versuchen der Charak-
teristik und in den Typen zu beobachten ist.

Von vornherein aber hat er eine gewisse eigene Form-
auffassung, die sein Produkt leicht von dem anderer Künstler
unterscheidet. Es kommt wohl vor, dass dem Frate irrig
Werke seiner Schüler und Nachahmer zugeschrieben worden
sind, eines Fra Diamante, Piero di Lorenzo Pratese, Za-
nobi Macchiavelli, Pesellino, Sellaio u. s. w.; aber weder
mit seinen Lehrern, noch mit seinen Altersgenossen ist er
verwechselt worden.

Noch seiner frühen Zeit gehören an: die »Krönung
Maria«, im Lateran, für Carlo Marsuppini gemalt, das Ber-
liner Bild der »Anbetung«, jetzt allgemein als das Altar-
bild der Kapelle des Medici-Palastes anerkannt, vom Maler
 
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