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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0220

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423

Bücherschau.

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signiert (das einzige Staffeleibild, das er überhaupt be-
zeichnet hat), die anmutigen zwei Lünetten der National
Gallery, das Tondo der Sammlung Cook in Richmond
(jetzt abgebildet in Weisbach's Publikation über Pesellino).
Reifer die thronende Madonna im Louvre, in der Ma-
saccio's Einfluss vielleicht am deutlichsten sich offenbart,
aus Santo Spirito (1437/38), die dazu gehörige Predelle, in
einzelnen Teilen zu dem Feinsten zu rechnen, das Fra
Filippo geschaffen hat, in der Florentiner Akademie u. a.

Die besten Altarbilder entstehen in der Folgezeit:
die grosse Krönung Maria, angeblich schon 1441 beendet,
das Verkündigungsbild in San Lorenzo. 1452 siedelt Fra
Filippo nach Prato über und schafft hier, mit mannigfachen
Unterbrechungen freilich, das Hauptwerk seines Lebens,
den Freskenschmuck im Chor der Kathedrale, der erst 1465
beendet wird. Der selben Zeit mag man mit Wahrschein-
lichkeit das gefeierte Tondo des Palazzo Pitti und das
Uffizienbild der Madonna mit Engeln zuschreiben, die man
die »Madonna della seggiola« des Quattrocento zu nennen
sich versucht fühlt - offenbar sofort hoch berühmt und
daher wieder und wieder kopiert. Das Leben des noch
nicht alten Künstlers bricht, wie es scheint, plötzlich ab,
als er in Spoleto seine Darstellungen aus dem Marien-
leben malt.

Der Hauptsache nach ist diese Entwickelung von dem
Verfasser richtig dargestellt. Die Schwäche des Buches
aber ist die kritische Beurteilung einzelner Werke. Wie
ist es möglich, dass jemand, der ein spezielles Studium
Fra Filippo gewidmet hat, auch nur einen Augenblick den
hl. Hieronymus in der Akademie mit dem Meister in Ver-
bindung bringt (Abbildung zu S. 80), dessen übertriebene
Formen ohne Filippino oder Raffaellino gar nicht zu denken
sind? Oder wenn die schwache Madonna in der Samm-
lung des Spedale degli Innocenti als »Vorläufer des Uffizien-
bildes« (in Heliogravüre reproduziert zu S. 74) angesprochen
wird? Über dieses durch Übermalungen gänzlich entstellte
Bild ist es schwer ein Urteil zu äussern; wahrscheinlich
gehört es demjenigen Gehilfen Fra Filippo's an, der die
Madonna della Cintola in Prato (jetzt Kommunal-Galerie)
gemalt hat und der, beiläufig bemerkt, mit Neri di Bicci
in Beziehung gestanden haben muss. Die meisten der
Prateser Bilder sind Schulware, vor allem das Spirito Santo-
Altarbild, bei dem Verfasser nur eine Mitarbeit Fra Dia-
mante's annimmt. Die Predellen mit der Beschneidung,
der Anbetung und dem Kindermord sind ebenso deutlich
und unzweifelhaft von der Hand eines bestimmten Ge-
hilfen; der Meister selbst hat hier sicher nicht einen Strich
eigenhändig gemacht.

Aus diesem Mangel an Kritik erklärt es sich, wenn
der Verfasser mit einem eigentümlichen Lapsus das Tondo
der »Anbetung der Könige« in der National Gallery
(No. 1033; Abb. zu S. 62), das längst allgemein als ein
Jugendwerk des Botticelli anerkannt ist, dem Frate vin-
diciert. Es wäre vielleicht doch nicht unangebracht ge-
wesen, wenn der Verfasser die »wissenschaftlichen Me-
thoden moderner Kunstkritik«, gegen die er in der Ein-
leitung (S. VIII.) sich ausspricht, etwas besser studiert
hätte und sie zu handhaben lernte. Man mag ja nach
Belieben in der Darstellung von ihnen Gebrauch machen
oder nicht, wenn zuvor die wissenschaftliche Basis gelegt
worden ist.

Von diesen einzelnen Ausstellungen abgesehen,' ist
es vielleicht ein schlimmerer Fehler, dass der Verfasser,
wie es so oft geschieht, dem Irrtum der Überschätzung
seines Helden verfällt. Schon in der Einleitung taucht der
Gedanke auf, dass »die Grösse der Konzeption und tech-
nische Geschicklichkeit ihn uns als Bindeglied erscheinen
lassen zwischen Masaccio und Raphael und als treuesten

Herold der Renaissance« (S. 6) — ein Gedanke, der zu
wiederholten Malen später variiert wird (S. 148 und
S. 16g). Ebenso wird der Einfluss des Frate auf die Nach-
kommenden viel zu hoch angeschlagen.

An Masaccio gemessen bedeutet Fra Filippo gewiss
keinen Fortschritt. Um nur eines anzuführen: Vasari schon
hebt mit Recht hervor, wie sicher Masaccio seine Figuren
auf die Beine stellte. Fra Filippos Figuren dagegen stehen
zumeist höchst unsicher da, sie haben etwas wacklig
Tänzelndes; die Hintergrundfiguren auf dem Tondo im Pitti
würden bei der leisesten Berührung umfallen; dasselbe
kann man auf den meisten Bildern der Frate beobachten.
Und was tritt an die Stelle der erhabenen Grösse eines
Masaccio! Eine gewisse mittlere Ruhe steht den Figuren
Filippo's wohl an, aber Wiedergabe von Gemüts-
bewegungen führt zur hässlichen Verzerrung der Gestalten
(Heiterkeit: Engel auf der Uffizien-Madonna; Schmerz:
Beisetzung des Stefanus in Prato).

Gewiss sind die Fresken in Prato eine der bedeuten-
den Schöpfungen der Florentiner Malerei, schon ihres
Umfanges und ihrer leidlichen Erhaltung willen. Aber
sie als bedeutendste Schöpfung nach Masaccio hinzustellen,
geht doch nicht an. Weder mit Uccello's, noch Castagno's
Werken lassen sie sich auf eine Stufe erheben ^wie wer-
den die zu Grunde gegangenen Fresken Castagno's und
Domenico Veneziano's in Sant' Egidio erst gewesen sein);
und welche Stelle erhalten sie, an Mantegna's oder Piero's
ungefähr gleichzeitigen Fresken in Padua und Arezzo
gemessen?

Das heitere und liebenswürdige Temperament Fra
Filippo's, durch seine grosse Geschicklichkeit zur vollen
Wirkung gebracht, bedarf so übertreibenden Lobes nicht,
um sich Freunde zu erwecken. Wie man zu Zeiten
gern die Gesellschaft eines heiteren Causeurs aufsucht,
der um Einfälle nie verlegen ist, so wird man immer gern
den Frate suchen, der frei von Ecken und Kanten ist,
und dessen liebenswürdige Erzählergabe sicher sein darf
verstanden zu werden. a. Gr.

B,. Berenson, The study and criticism of ltalian art.
London, G. Bell & Sons, 1901.

Der vorliegende Band fasst eine Reihe von Einzel-
untersuchungen zusammen, die im Verlaufe von etwa zehn
Jahren in amerikanischen und französischen Zeitschriften
publiziert worden sind — mit Ausnahme der letzten Ab-
handlung, die als Broschüre an die Öffentlichkeit trat.
Während die meisten eine bestimmte Frage stellen und
zu lösen suchen — »Vasari im Lichte neuer Publikationen«,
»Dante's bildliche Vorstellungen und frühe Illustrationen«,
»Bemerkungen über Correggio«, »Correggio's vierte Cen-
tenarfeier«, »Amico di Sandro«, »Kopien nach verlorenen
Bildern Giorgione's« — verbreitet sich die letzte über das
ganze Gebiet der venezianischen Malerei, so wie sich diese in
der denkwürdigen Ausstellung der New Gallery von 1895
darstellte.

Es ist fast überflüssig, diesen Abhandlungen in der
neuen Form ihrer Veröffentlichung Begleitworte auf den
Weg zu geben. Die wichtigsten unter ihnen sind bei
ihrem erstmaligen Erscheinen von denen, die sich für die
betreffenden Fragen interessieren, genugsam beachtet wor-
den. Ausstellungen wird der Einzelne hier und dort zu
machen haben; es würde sich manche kritische Bemerkung
anzuhängen verlohnen, aber der Raum einer Besprechung
möchte zur Darlegung solcher Streitfragen kaum ausreichen.
Dass in der Hauptsache bei der Zeichnung einer einzelnen
Persönlichkeit (Amico di Sandro, Giorgione) oder der
grossen Entwickelungsreihe der Venezianer der Verfasser
das Richtige getroffen hat, wird ihm niemand ernsthaft
 
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