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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Steinmann, Ernst: Civita Castellana
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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0163

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Pariser Brief.

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gelegentlich die Feste zum Mittelpunkt seiner mili-
tärischen Operationen gemacht, und noch heute wird
hier ein seltsames Denkmal seiner jede Religion und
jede Pietät verspottenden Gesinnung bewahrt. Im
engen Vorhof der Festung ist in die Mauer das
Brustbild des dornengekrönten Erlösers eingelassen,
aufs sorgfältigste in feinem weissen Marmor aus-
geführt. Was bedeutet dies Christusbild in der
düsteren Umgebung? Eine alte Chronik vom Jahre
1675 giebt die Antwort. Sie erzählt, dass der Her-
zog Valentino sich selbst unter dem Bilde des Er-
lösers in dieser Festung darstellen Hess, um so sein
Bild vor Zerstörung zu schützen und für alle Zeit
der Nachwelt zu überliefern.

Julius IL, der als Kardinal die Festung von Ostia
an der Tibermündung gebaut hatte, Hess sich als
Papst Ausbau und Vollendung der Festung von
Civitä Castellana angelegen sein, und so sehen wir
hierBorgia- und Roverewappen nebeneinander, während
in Rom nach dem Tode Alexander's VI. der Stier
der Borgia von allen Gebäuden herabgeschlagen
wurde, um dem Eichbaum der Rovere Platz zu
machen.

Wie die Burg in Spoleto, die Alexander VI. seiner
Tochter Lucrezia anvertraut hatte, so dient auch die
Festung in Civitä Castellana heute als Gefängnis.
Darum ist es dem Fremden nicht gestattet, in das
Innere der Mauern und in die'einmal glänzend aus-
gestatteten Säle und Gemächer einzudringen, in welchen
Cesare Borgia nach dem Tode des Vaters einen Teil
seiner Habe untergebracht hat, wo man noch heute
an den Wänden gemalte Wappen Alexander's VI.
und die Inschrift: Viva Giulio Cesare Borgia erkennen
soll. ERNST STEINMANN.

PARISER BRIEF
Wenn ein Membre de ('Institut stirbt, wird ihm, falls
das Membre bildender Künstler war, die Ehre einer Aus-
stellung seiner Werke in den Räumen der nationalen
Kunstschule zu teil. Anderen Leuten geschieht diese Ehre
hie und da auch, aber dann müssen es schon ganz ausser-
ordentliche Künstler sein, und die Sache wird erst lange
nach ihrem Tode arrangiert. So hatten wir vor drei
Jahren Gelegenheit, die überaus interessante Ausstellung
Daumier's in der Akademie zu sehen, um deren Verdienste
willen man sich die folgende Ausstellung des Modepor-
trätisten Machard gefallen Hess. Jetzt sind in der zur
ebenen Erde gelegenen Halle und dem darüber befind-
lichen grossen Saale die Arbeiten von Alexander Falguiere
ausgestellt. Diese Ausstellung ist nicht so interessant,
wie es die von Daumier war, aber sie steht doch höher
als die Machard's. Falguiere war kein himmelstürmendes
Genie, aber doch ein tüchtiger Künstler. Seine Werke
werfen keinen Beschauer auf den Rücken, aber man sieht
sie doch mit Wohlgefallen und Vergnügen. Dem grossen
Publikum ist er vielleicht bekannter, als irgend ein anderer
Pariser Bildhauer der Gegenwart geworden, und in hun-
derttausend kleinbürgerlichen und Arbeiterwohnungen findet
man eine Statuette von ihm, ein Beweis, wie populär er
war, und wie gut er manche seiner Arbeiten dem Ge-
schmacke der breitesten Schichten anzupassen wusste, oder
vielmehr: wie sehr sein eigener Geschmack dem der
breitesten Schichten entsprach. Die allermeisten Besitzer
der pfeilabschiessenden Diana werden freilich wohl kaum

wissen, dass die nackte Gipsdame von Falguiere ist. Sie
haben die Figur einfach von einem der die Kaffeehausgäste
belästigenden kleinen Italiener gekauft, ohne seinem Ur-
heber nachzuforschen. Eine andere Arbeit, die Falguiere's
Namen in aller Welt Mund brachte, war die »Tänzerin«,
die er vor sechs Jahren im Salon ausstellte, und deren ver-
lockende Marmorformen alsbald von Jung und Alt als der
damals gerade viel besprochenen Tänzerin Cleo de Merode
zugehörig erkannt wurden. Die arme Cleo wehrte sich
zwar dagegen, und veröffentlichte in den hiesigen Blättern
den köstlichen Protest, dass sie nur für den Kopf Modell ge-
standen habe, aber es half ihr nichts, und ihre breiten Hüften
waren damals der Clou des Salons. Zum Glück für seinen
künstlerischen Ruf hat Falguiere nicht nur die Diana und
die Tänzerin geschaffen. Einige lyrische Arbeiten von
ihm sind wirklich sehr schön, so der jugendliche Märtyrer
Tarcisius und der vom Hahnenkampfe nach Hause eilende
Junge, die sich beide im Luxembourg-Museum befinden,
die aus der Schule kommenden und von der Mutter be-
grüssten Kinder, das violinspielende Mädchen, das Denk-
mal für den jugendlichen Helden der Vende, Rochejaquelin,
und bis zu einem gewissen Grade das im Park Monceau
in Paris aufgestellte Denkmal des Komponisten Ambroise
Thomas. Obgleich seiner ganzen Begabung nach aus-
gesprochener Lyriker ist doch die Hauptthätigkeit Falguiere's
auf dem Gebiete der Denkmalplastik zu suchen. Daran
ist aber wohl weniger seine eigene Neigung, als der Zug
unserer Zeit schuld gewesen, die den Bildhauer eigentlich
gar nicht mehr anders als zur Anfertigung von Statuen
toter Leute benutzt. Falguiere schwamm lustig mit im
Strome dieser Statuomanie und hat wohl dreissig oder
vierzig Monumente geschaffen, die in Frankreich, Algerien,
in den Vereinigten Staaten und in Brasilien aufgestellt
sind, und deren Skizzen jetzt alle in der Akademie vereint
sind. Darunter ist nicht viel bemerkenswertes. Am
nächsten kommt er einem wuchtigen und monumentalen
Stile in dem Kardinal Lavigerie, der zweimal ausgeführt
wurde und sowohl in Bayonne als auch in Biskra steht.
Die meisten anderen Statuen erheben sich wenig oder
nicht über die landläufige Denkmälerei. Keines dieser
Monumente ist schlecht, aber sie sind fast alle durchaus
gleichgültig und langweilig und interessieren uns weder
für den dargestellten Menschen, noch für den künstlerischen
Urheber. Die räumlich grösste Arbeit Falguiere's war
eine riesige Gipsdame, welche die Freiheit oder die Revo-
lution vorstellte und zwei oder drei Jahre lang im Pantheon
stand: wohlweislich durch einen ungeheuren grünen Vor-
j hang gegen die neugierigen Blicke der Besucher geschützt.
Diese Statue sollte in Stein oder Bronze ausgeführt werden,
als man sie aber in Gips gesehen hatte, war der Eindruck
so unmonumental, so geradezu komisch und lächerlich,
das man stillschweigend die Sache auf sich beruhen Hess.
Bis zum Tode des Bildhauers Hess man die grosse Puppe
aus Rücksicht auf ihren Urheber dastehen, dann verschwand
sie, man wird sie nicht wiedersehen. Wie viele andere
Künstler seiner Generation, wie Barrias, Gerome, Paul
Dubois u. s. w., war Falguiere nicht nur Bildhauer sondern
auch Maler. Ein recht tüchtiges Bild von ihm hängt im
Luxembourg-Museum, und auf dieser posthumen Aus-
stellung sind ausser fünfzig oder sechzig Gemälden einige
vortreffliche Radierungen zu sehen. In vielen seiner Ge-
mälde sind die Einflüsse einer spanischen Reise zu be-
merken. Velazquez und Ribera beschäftigen ihn nicht
weniger als Goya. Andere Arbeiten, so besonders die
mehrmals wiederholten Ringer erinnern an Daumier und
vielleicht auch an Courbet, und das kesselscheuernde
Mädchen ist eine Schwester der gesunden, im freien Sonnen-
lichte hantierenden Burschen und Mädchen Roll's.
 
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