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Die Winterausstelhing in der »New Gallery« in London.
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Ausgenommen Holbein, van Dyck und Qainsborough
haben sich die englischen Regenten gerade während ihrer
Regierungsepoche nicht von erstklassigen Malern por-
trätieren lassen. Wenn dennoch gute Bilder vorhanden
sind, so sind sie in den meisten Fällen später, nach dem
Tode der bezüglichen Regenten entstanden, oder nach
Zeichnungen angefertigt worden.
Ein hochinteressantes Bild stellt den jungen König
Richard II. mit Eduard dem Bekenner zusammen dar. Im
Katalog wird kein Autor genannt. Waagen, der die
»Wilton-Sammlung« beschrieben hat, aus der es geliehen
wurde, weist das Bild einem sehr geschickten italienischen
Künstler zu. Ein unzweifelhaftes Original Holbein's haben
wir in dem Karton vor uns, den der Herzog von De-
vonshire sandte, und der eine Gruppe »Heinrich VII. und
Heinrich VIII.« darstellt. Nachdem ich dies kraftvolle
Werk (Nr. 62) gesehen habe, komme ich in die Ver-
suchung fast alle andern, mit dem Namen Holbein ver-
sehenen Gemälde entweder nur für Schulbilder oder für
Kopien zu erklären. Dies ist wahrscheinlich aber der
einzige echte Holbein hier auf der Ausstellung. Der ge-
nannte Karton bildete die Vorlage für das Freskogemälde
in Whitehall, das im Jahre i6g8 gleichzeitig mit dem
Schloss durch Feuer unterging. Glücklicherweise hatte
Karl II. früher eine kleine, jetzt in Hampton Court befind-
liche Kopie von diesem unschätzbaren Original anfertigen
lassen. Diese Kopie, von der Hand des Remigius van
Leemput hergestellt, befindet sich noch jetzt in dem zu-
letzt erwähnten königlichen Schloss. Der Künstler erhielt
die für die damaligen Verhältnisse ausserordentlich hohe
Summe von 3000 Mark. Die Kopie wurde dann von
Vertue durch Stich in Schwarz und Weiss übertragen und
wir wissen durch diese Reproduktion, dass das Original
von Holbein aus dem Jahre 1537 stammt. Trotzdem der
Karton beschädigt ist, stellt er dennoch, selbst in dieser
Gestalt, ein grossartiges Meisterwerk dar.
Wir sehen ferner ein gutes Bildnis von »Heinrich VIII.
und seine Familie«, bezeichnet »Antonio More«, während
die Porträts der Frauen des Königs: Katharina von Ara-
gonien, Anna Boleyn, Jane Seymour, Anna von Cleve,
Katharina Howard und Katharina Parr nur als Schulbilder
oder Kopien gelten können. Jedenfalls kommt in diesen
Fällen der Name »Holbein« gänzlich ausser Betracht, ob-
gleich der Katalog das Mr. Charles Morrison gehörige
Bildnis von Anna von Cleve diesem Meister zuspricht.
Es wäre wirklich zu verwundern, wenn Heinrich VIII. sich
auf Grund dieses Gemäldes mit der genannten Prinzessin
verlobt haben sollte. Wenn man endlich einen Vergleich
des dem Herzog von Devonshire gehörigen Kartons von
Holbein mit den Porträts Heinrich's VIII. (Viscount Galway)
und »Charles Brandon, Herzog von Suffolk« (Lord Douington)
anstellt, so kann die Autorschaft Holbein's unmöglich auf-
recht erhalten bleiben. Auch des Grafen von Denbigh »Por-
trät Eduard's VI.« kann zweifellos Holbein nicht zugeschrieben
werden. Der König war sechs Jahre alt, als Holbein starb. Die
schon seit 30 Jahren begonnene Sichtung von Holbein's
Werken vermag daher nur noch wenig Originale in Eng-
land zu verzeichnen.
Bevor ich zu der Epoche der Elisabeth übergehe, will
ich noch einige gute Porträts Heinrich's VII. von der Hand
Mabuse's erwähnen. In der Hauptsache wissen wir aus
dieser Periode nur, dass George Gower das Privilegium
besass, die Königin Elisabeth in Öl, und Nickolas Hilliard
das ausschliessliche Recht hatte, Miniaturbilder von ihr zu
malen. Wir haben hier eine ganze Reihe wahrscheinlich
echter Bildnisse in beiden Gattungen vor uns, aber gerade
der Handel in Imitationen Hilliard's hat in den letzten zehn
Jahren in England eine bedenkliche Höhe erreicht.
Ahnlich verhält es sich mit den Werken van Dyck's
aus der »Stuart-Epoche«, obgleich mindestens ein Dutzend
guter und echter Bilder in der Ausstellung vorhanden sind.
Viele Gemälde, die unter dem Namen »van Dyck«, nicht
nur hier, sondern ganz allgemein gesprochen, klassifiziert
sind, stammen thatsächlich von Edward Bower her. Mit-
unter sind seine Porträts von so unzweifelhafter Voll-
kommenheit, dass ein Unterschied zwischen ihm und van
Dyck kaum festzustellen sein dürfte. Bower's Bildnis von
Karl I.,.als er schon Gefangener des Parlaments war, giebt
vielleicht von dem Charakter Karl's I. einen besseren Be-
griff, wie viele Porträts von van Dyck.
Um ein Bild der Maria Stuart (die hier übrigens nie-
mals so genannt wird, sondern stets »Mary, Queen of
Scots«) als echt zu erklären, muss man sehr gründliche
und vorsichtige Untersuchungen anstellen, bei welchen der
I Zweifel an der Echtheit stets die Grundlage bilden sollte.
; Zur Klarlegung der bezüglichen Verhältnisse hat am
meisten unser verstorbener Landsmann, Sir George Scharf,
als Direktor der »National Portrait Gallery« beigetragen.
Vor allem ist die berühmte Miniature von Janet zu er-
wähnen, welche der König aus der »Windsor-Sammlung
sandte. Das andere, jedenfalls zeitgenössische Bildnis der
I unglücklichen Königin stammt von Oudry her. Ferner ist
ein sehr bemerkenswertes Porträt, das von dem Grafen
Darnley geliehene, welches zu den sogenannten Gedächtnis-
bildern der Maria Stuart gezählt wird. Hinter der in
ganzer Figur dargestellten Königin spielt sich ausserdem
noch die Hinrichtungsscene ab nach dem Bericht von
Burleigh's Agenten . . . Nach dieser noch erhaltenen Be-
schreibung war übrigens die betreffende Prozedur bru-
talster Art. Ferner sind in der Ausstellung noch mehrere
posthume Werke und Kopien vorhanden, aber merkwürdig
j bleibt es, dass keines dieser Gemälde einen wirklichen
Eindruck von der reizvollen Schönheit Maria Stuart's ge-
währt, die sie aber doch nach dem Zeugnis aller kom-
petenten Zeitgenossen gehabt haben muss.
In den nächsten Generationen herrschen die Werke
der Familie Clouet, Peter Oliver's, Claude Le Fevre's,
Lely's und Kneller's vor. Mit den Königen aus dem Hause
Hannover treten wir in die Epoche von Reynolds und
Gainsborough, und mit Wilhelm IV. in die von Lawrence ein.
Während der Regierungszeit der Königin Victoria ist
die Porträtmalerei keinesfalls sehr über das mittlere Niveau
erhaben. Obgleich ich Winterhalter nicht zu hoch schätzte,
so sind seine hier zur Stelle befindlichen Porträts doch
mit das Beste aus der bezüglichen Epoche.
Ganz vorzüglich vertreten sind auf der Ausstellung:
Miniaturen, Schmucksachen, Schnitzereien, Siegel, Rüs-
tungen, Waffen, Reliquien, und verschiedene Gegenstände
der Kleinkunst. Da das Interesse der Liebhaber und
Sammler für gute englische Miniaturen, die gerade in der
letzten Zeit enorm hoch bezahlt wurden, dauernd im
Steigen begriffen ist, so will ich wenigstens über das
betreffende Glanzstück der Ausstellung einige Worte er-
wähnen. Leider bin ich hierbei genötigt, hinsichtlich einer,
bis auf den heutigen Tag nicht angezweifelten, auf den
Namen »Holbein« katalogisierten Miniatur, zu beweisen,
dass letzterer, so gut das Werk auch ist, nicht dessen
Urheber sein kann. Es handelt sich um das vom König
geliehene Miniaturporträt Heinrich's VIII., welches »Henr. 8.
Rex Angl. Aeta S. 57« bezeichnet ist. Entweder die Um-
schrift enthält Irrtümmer, oder, falls sie echt, konnte Hol-
bein das Bildnis nicht gemalt haben, da er zu jener Zeit
bereits vier Jahre tot war (f 1543). Die Bezeichnung im
»57. Jahr« bedeutet aber für Heinrich VIII. (geb. 1491)
das Jahr 1547, in dem er thatsächlich starb. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach haben wir es hier also mit einer sehr
Die Winterausstelhing in der »New Gallery« in London.
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Ausgenommen Holbein, van Dyck und Qainsborough
haben sich die englischen Regenten gerade während ihrer
Regierungsepoche nicht von erstklassigen Malern por-
trätieren lassen. Wenn dennoch gute Bilder vorhanden
sind, so sind sie in den meisten Fällen später, nach dem
Tode der bezüglichen Regenten entstanden, oder nach
Zeichnungen angefertigt worden.
Ein hochinteressantes Bild stellt den jungen König
Richard II. mit Eduard dem Bekenner zusammen dar. Im
Katalog wird kein Autor genannt. Waagen, der die
»Wilton-Sammlung« beschrieben hat, aus der es geliehen
wurde, weist das Bild einem sehr geschickten italienischen
Künstler zu. Ein unzweifelhaftes Original Holbein's haben
wir in dem Karton vor uns, den der Herzog von De-
vonshire sandte, und der eine Gruppe »Heinrich VII. und
Heinrich VIII.« darstellt. Nachdem ich dies kraftvolle
Werk (Nr. 62) gesehen habe, komme ich in die Ver-
suchung fast alle andern, mit dem Namen Holbein ver-
sehenen Gemälde entweder nur für Schulbilder oder für
Kopien zu erklären. Dies ist wahrscheinlich aber der
einzige echte Holbein hier auf der Ausstellung. Der ge-
nannte Karton bildete die Vorlage für das Freskogemälde
in Whitehall, das im Jahre i6g8 gleichzeitig mit dem
Schloss durch Feuer unterging. Glücklicherweise hatte
Karl II. früher eine kleine, jetzt in Hampton Court befind-
liche Kopie von diesem unschätzbaren Original anfertigen
lassen. Diese Kopie, von der Hand des Remigius van
Leemput hergestellt, befindet sich noch jetzt in dem zu-
letzt erwähnten königlichen Schloss. Der Künstler erhielt
die für die damaligen Verhältnisse ausserordentlich hohe
Summe von 3000 Mark. Die Kopie wurde dann von
Vertue durch Stich in Schwarz und Weiss übertragen und
wir wissen durch diese Reproduktion, dass das Original
von Holbein aus dem Jahre 1537 stammt. Trotzdem der
Karton beschädigt ist, stellt er dennoch, selbst in dieser
Gestalt, ein grossartiges Meisterwerk dar.
Wir sehen ferner ein gutes Bildnis von »Heinrich VIII.
und seine Familie«, bezeichnet »Antonio More«, während
die Porträts der Frauen des Königs: Katharina von Ara-
gonien, Anna Boleyn, Jane Seymour, Anna von Cleve,
Katharina Howard und Katharina Parr nur als Schulbilder
oder Kopien gelten können. Jedenfalls kommt in diesen
Fällen der Name »Holbein« gänzlich ausser Betracht, ob-
gleich der Katalog das Mr. Charles Morrison gehörige
Bildnis von Anna von Cleve diesem Meister zuspricht.
Es wäre wirklich zu verwundern, wenn Heinrich VIII. sich
auf Grund dieses Gemäldes mit der genannten Prinzessin
verlobt haben sollte. Wenn man endlich einen Vergleich
des dem Herzog von Devonshire gehörigen Kartons von
Holbein mit den Porträts Heinrich's VIII. (Viscount Galway)
und »Charles Brandon, Herzog von Suffolk« (Lord Douington)
anstellt, so kann die Autorschaft Holbein's unmöglich auf-
recht erhalten bleiben. Auch des Grafen von Denbigh »Por-
trät Eduard's VI.« kann zweifellos Holbein nicht zugeschrieben
werden. Der König war sechs Jahre alt, als Holbein starb. Die
schon seit 30 Jahren begonnene Sichtung von Holbein's
Werken vermag daher nur noch wenig Originale in Eng-
land zu verzeichnen.
Bevor ich zu der Epoche der Elisabeth übergehe, will
ich noch einige gute Porträts Heinrich's VII. von der Hand
Mabuse's erwähnen. In der Hauptsache wissen wir aus
dieser Periode nur, dass George Gower das Privilegium
besass, die Königin Elisabeth in Öl, und Nickolas Hilliard
das ausschliessliche Recht hatte, Miniaturbilder von ihr zu
malen. Wir haben hier eine ganze Reihe wahrscheinlich
echter Bildnisse in beiden Gattungen vor uns, aber gerade
der Handel in Imitationen Hilliard's hat in den letzten zehn
Jahren in England eine bedenkliche Höhe erreicht.
Ahnlich verhält es sich mit den Werken van Dyck's
aus der »Stuart-Epoche«, obgleich mindestens ein Dutzend
guter und echter Bilder in der Ausstellung vorhanden sind.
Viele Gemälde, die unter dem Namen »van Dyck«, nicht
nur hier, sondern ganz allgemein gesprochen, klassifiziert
sind, stammen thatsächlich von Edward Bower her. Mit-
unter sind seine Porträts von so unzweifelhafter Voll-
kommenheit, dass ein Unterschied zwischen ihm und van
Dyck kaum festzustellen sein dürfte. Bower's Bildnis von
Karl I.,.als er schon Gefangener des Parlaments war, giebt
vielleicht von dem Charakter Karl's I. einen besseren Be-
griff, wie viele Porträts von van Dyck.
Um ein Bild der Maria Stuart (die hier übrigens nie-
mals so genannt wird, sondern stets »Mary, Queen of
Scots«) als echt zu erklären, muss man sehr gründliche
und vorsichtige Untersuchungen anstellen, bei welchen der
I Zweifel an der Echtheit stets die Grundlage bilden sollte.
; Zur Klarlegung der bezüglichen Verhältnisse hat am
meisten unser verstorbener Landsmann, Sir George Scharf,
als Direktor der »National Portrait Gallery« beigetragen.
Vor allem ist die berühmte Miniature von Janet zu er-
wähnen, welche der König aus der »Windsor-Sammlung
sandte. Das andere, jedenfalls zeitgenössische Bildnis der
I unglücklichen Königin stammt von Oudry her. Ferner ist
ein sehr bemerkenswertes Porträt, das von dem Grafen
Darnley geliehene, welches zu den sogenannten Gedächtnis-
bildern der Maria Stuart gezählt wird. Hinter der in
ganzer Figur dargestellten Königin spielt sich ausserdem
noch die Hinrichtungsscene ab nach dem Bericht von
Burleigh's Agenten . . . Nach dieser noch erhaltenen Be-
schreibung war übrigens die betreffende Prozedur bru-
talster Art. Ferner sind in der Ausstellung noch mehrere
posthume Werke und Kopien vorhanden, aber merkwürdig
j bleibt es, dass keines dieser Gemälde einen wirklichen
Eindruck von der reizvollen Schönheit Maria Stuart's ge-
währt, die sie aber doch nach dem Zeugnis aller kom-
petenten Zeitgenossen gehabt haben muss.
In den nächsten Generationen herrschen die Werke
der Familie Clouet, Peter Oliver's, Claude Le Fevre's,
Lely's und Kneller's vor. Mit den Königen aus dem Hause
Hannover treten wir in die Epoche von Reynolds und
Gainsborough, und mit Wilhelm IV. in die von Lawrence ein.
Während der Regierungszeit der Königin Victoria ist
die Porträtmalerei keinesfalls sehr über das mittlere Niveau
erhaben. Obgleich ich Winterhalter nicht zu hoch schätzte,
so sind seine hier zur Stelle befindlichen Porträts doch
mit das Beste aus der bezüglichen Epoche.
Ganz vorzüglich vertreten sind auf der Ausstellung:
Miniaturen, Schmucksachen, Schnitzereien, Siegel, Rüs-
tungen, Waffen, Reliquien, und verschiedene Gegenstände
der Kleinkunst. Da das Interesse der Liebhaber und
Sammler für gute englische Miniaturen, die gerade in der
letzten Zeit enorm hoch bezahlt wurden, dauernd im
Steigen begriffen ist, so will ich wenigstens über das
betreffende Glanzstück der Ausstellung einige Worte er-
wähnen. Leider bin ich hierbei genötigt, hinsichtlich einer,
bis auf den heutigen Tag nicht angezweifelten, auf den
Namen »Holbein« katalogisierten Miniatur, zu beweisen,
dass letzterer, so gut das Werk auch ist, nicht dessen
Urheber sein kann. Es handelt sich um das vom König
geliehene Miniaturporträt Heinrich's VIII., welches »Henr. 8.
Rex Angl. Aeta S. 57« bezeichnet ist. Entweder die Um-
schrift enthält Irrtümmer, oder, falls sie echt, konnte Hol-
bein das Bildnis nicht gemalt haben, da er zu jener Zeit
bereits vier Jahre tot war (f 1543). Die Bezeichnung im
»57. Jahr« bedeutet aber für Heinrich VIII. (geb. 1491)
das Jahr 1547, in dem er thatsächlich starb. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach haben wir es hier also mit einer sehr