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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Hevesi, Ludwig: Aus der Wiener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0074

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mittelbarsten zur Seele geht. Andere suchen die
eigentlichen nioskowitischen Anklänge. So Nikolaus
Roehrich, etwa in dem grossen Bilde »Aus der Hei-
denzeit«, wo die Farben der Landschaft direkt an
byzantinische Emailfarben erinnern. Der tiefblaue
Fluss, von Purpursegeln belebt, die spangriinen Wald-
luigel. Das Heidengrab im Vordergründe mit seinen
hohen Holzgötzen und den an Pfähle gesteckten Tier-
schädeln ist schon westlicher Realismus. Das ist der
Widerspruch in diesem Streben. Schade übrigens,
dass der begabteste der Jungen, Maliawin, hier nicht
vertreten ist. Von besonderem Interesse ist das rus-
sische Kunstgewerbe, das seit dem Notjahre 1891
durch wohlthätige und zugleich kunstsinnige Damen,
unter dem Schutze der Zarin, in populäre Wege ge-
lenkt wurde. Helene Polenow und ihre Freundin
Frau Mamontow zu Moskau, Frau Jakuntschikow,
Fräulein Dawidow und andere haben bei Moskau,
im Dorfe Solomenka und anderwärts kunstgewerbliche
Volksschulen errichtet. Von den Arbeiten derselben,
die im Kaufhause Mamontow zu Moskau einen Mittel-
punkt haben, sieht man hier reizvolle Holzschnitze-
reien, meist in Flach- und Kerbschnitt, auch wohl
mit bunten Einlagen, sogar von Majolika. Dann
Teppiche, Ausnäharbeiten, und besonders Keramiken.
Mehrere bedeutende Künstler (Wrubel, Golowin, Ko-
rowin, Arthur Aubert) widmen sich mit Vorliebe
diesen Techniken. Eine grosse Kaminverkleidung von
Michael Wrubel, in Form eines doppelten Rundbogen-
thores mit phantastischem Giebel, ist das keramische
Hauptstück. Diese Wand ist ein Wirrwarr seltsamer
ornamentaler Einzelheiten, ein Haufen scheinbar zer-
brochener Ornamente jeder Art, die aber zu zwei
grossen Figuren und einem Sonnenaufgang zusammen-
gehen. Es ist die Pikanterie einer Barbarenkunst
darin und man merkt auch, dass China nicht weit
ist. Dabei ist der angeschlagene Farbenaccord sehr
interessant, und auch die Technik hat eigene Ge-
schicklichkeiten, z. B. die virtuose Verwendung des
kupferig-goldigen Metallglanzes. So unterscheidet sich
diese Keramik wesentlich von allem Westländischen.

Unter den Finnen finden sich Ältere und Jüngste.
Albert Edelfelt zeigt noch seine gediegene Pariser
Schule von Anno Bastien Lepage. Dagegen ist Axel
Gallen, in seiner jüngsten Entwicklung, der rück-
sichtslose Hochmoderne. In seinem reizenden Bilde
»Mutter und Kind« (1891) sieht man ihn noch mit
zivilisierten Händen in rosig-blonden Feinheiten wühlen,
als eine Art zarteren Thaulow. Dann kommen, um
ein Turgeniew'sches Wort zu gebrauchen, die mo-
dernen »Frühlingsfluten«. Das bekannte Bildnis des
jungberlinischen Schauspielers Rittner (i8g6) ist zwar
als Malerei noch immer, was die Pariser ein »mor-
ceau« nennen, ein aus gründlicher Schule heraus-
gemaltes Stück, aber äusserlich spukt es da bereits.
Das Antlitz ist wie von rotem Rampenlicht angeglüht
und von den blauen Rauchspiralen der Cigarre um-
schlängelt. Das ist »Secession«, aber mehr Inscene-
setzung, als Empfindung. Er hat das auch aufgegeben.
In der heimatlichen Natur fand er den richtigen Jung-
brunnen. Die Stromschnellen des Imatrafalles in ihrem

Rahmen von Schnee und Eis machten ihn aufrichtig.
In dem grossen Imatrabilde der Galerie Helsingfors
(1893) und besonders in kleineren Studien sieht man
ihn blitzschnell nach der Wahrheit der flüchtigsten
Erscheinungen greifen. Eine solche Brandung, wo
alle Form gelöst ist und nur noch ihre farbigen
Lichter und Schatten erregt durcheinander zucken, ist
höchst eindrucksvoll. Die Welt als Schaum und
Gischt, oder doch eine Andeutung davon. Gallen
wohnt jetzt tief im Lande, zu Ruovesi, eine Tagereise
von der letzten Eisenbahnstation. In dieser wilden
Echtheit hat er sich mit Weib und Kind eingesponnen,
dahin kommen keine störenden Reflexe aus der Welt.
Man merkt es seinen neuesten Lebensbildern aus
dieser Natur deutlich an: dem naiven Lachen ihres
Sonnenscheins, dem goldigen Harzglanz ihrer ge-
schälten Birkenstämme, dem silberflimmernden Grün,
den Beeren- und Pilzfarben der Dinge. So wird die
eigene Palette, die eigene Handschrift. Die herbe
Frische mancher Bilder (»Der Specht«) erobert den
Beschauer. Dazu kommt aber auch noch ein eigener
nationaler Sagenstil, wie er ihn in den Scenen aus
dem Nationalepos Kaiewala« hat. Dieser wendet
sich mehr an das heimatliche Publikum. Das gleichsam
Steinzeitliche der Motive, der lappländische Einschlag
dieser Epik, die freudlose Grossartigkeit der Stim-
mungen haben für den Stammesfremden etwas Feind-
seliges. Aber man kann sich an sie heranarbeiten
und sich ihre grosse Wirkung auf ihr Publikum er-
klären. Ihr malerisch-dekorativer Wert muss im Lichte
einer bunten Kunstausstellung geringer erscheinen, als
in einem national gestimmten Innenraum, wie ihn
der finnische Pavillon in Paris bot.

Von norwegischen Malern sind Werenskiold und
Krohg sehr gut, Edvard Münch etwas problematisch
vertreten. Sein symbolisches Bild »Die Angst« macht
die Leute stutzig. In Edgar Poe liest man das unter
willkommenem Gruseln, aber in Farben gemalt wird
es schwieriger. Diese bleichen, angstvollen Gesichter
mit den grossen kreisrunden Augenhöhlen, in denen
ein furchtsames Lichtchen flackert, sind eigentlich
Paris. Man muss an Daumier'sche Typen denken,
und in der nebelhaften Einkleidung an Carriere'sche
Weise. Dazu kommt nun eine abenteuerliche Sym-
bolik, indem die Angst dieser Gehirne in die Aussen-
welt projiciert wird, und Himmel, Luft, Wasser in
breiten Bändern von Rot, Gelb, Grau, Violett durch-
einander wirbeln lässt. Gespensterstimmung von
malerischer Phantastik, die der Beschauer natürlich
nicht als Einmaleins behandeln soll. Bei den Schweden
sieht man zwei kräftig gestimmte Landschaften des
Prinzen Eugen (aus Paris), treffliche Landschaften von
Jansson, Hesselbom, Kreuger und besonders Fjaestad,
dessen Naturanschauung einen phantastischen Reiz hat.
Sein blendendweisser »Reif« und sein beängstigender
»Wald nach dem Regen«, wo triefende Steine und
Baumstämme mit ihren Moosflecken sich in getigerte
und gestriemte Tiere zu verwandeln scheinen, sind
sehr eigenartig. Belgien ist durch Baertsoen, einen
Liebling der Wiener, vorzüglich vertreten und aus
Holland ist Toorop erschienen. Er füllt ein ganzes
 
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