Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0068

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ng

Pariser

Brief.

l 20

cenzen gewürzt, jeder Stuhl ist mit phantastischen Tier-
köpfen geschmückt und mit seltsam leuchtenden Edelsteinen
besetzt. Der ganze Fussboden, die Wände und Decken
sind mit einer durch sorgfältige geometrische Berechnungen
in Schranken gehaltenen exotischen Phantasie aufs üppigste
herausgeputzt und gleichen den Zauberschlössern aus-
schweifender Märchenerzähler des fernen Ostens. Die
feenhaften Räume der granadinischen Alhambra sind arm-
selige, nackte und kahle Räume neben diesen Phantasie-
gebilden Moreau's. Überall hat der Maler nach absonder-
lichen und bizarren Formen gesucht, bei den Azteken
Amerikas und in den alten ägyptischen Städten, in Hellas
und in Rom, in den arabischen Schlössern und in den
gotischen Kathedralen, in den Schnitzereien der afrikanischen
Neger und in den unterirdischen Felsentempeln Indiens,
in den byzantinischen Kirchen und in den persischen Mo-
scheen, und aus all dem hat er ein ebenso seltsames wie
reiches und überraschendes Ensemble gestaltet, dessen An-
blick uns in eine weit entlegene Märchenwelt entführt.

Diese überreiche Ausstattung seiner Gemälde mit fremd-
artigen Elementen scheint mir die Stärke Moreau's zu sein.
Die Allegorien, die seine Bilder darstellen, sind zum Teil
ziemlich banal in der Idee, zum Teil verworren und un-
verständlich und mögen wohl kaum die glücklich geschwun-
dene Vorliebe für derartige Bilderrätsel von neuem beleben.
Der mysteriöse Ausdruck, den er seinen Gesichtern giebt,
erreicht lange nicht die geheimnisvolle Gewalt der ägypti-
schen Sphinx oder der Mona Lisa Leonardo's, und alles in
allem ermüdet der Anblick so vieler Arbeiten, die sich
äusserlich wie innerlich sehr ähnlich sind, gar bald. So
lange man nur eines dieser geheimnisvollen Augenpaare
gesehen hat, sucht man das in ihnen verborgene Mysterium
zu entdecken, nachdem man aber den nämlichen Ausdruck
auf hundert und mehr Bildern wiederfindet, giebt man sich
mit dem Schlüsse zufrieden, dass nichts dahinter stecke.
Ebenso wirkt das peinlich ausgeführte und die ganze
Bildfläche überwuchernde Detail, das uns auf dem ersten
Bilde anmutete wie eitel Geschmeide vom kostbarsten
Material und von der erlesensten Form, zuletzt nur noch
wie eine müssige Spielerei, wenn wir wieder und wieder
die gleichen oder doch sehr ähnlichen Phantastereien er-
blicken. Das hindert nicht, die grossen technischen Quali-
täten Moreau's anzuerkennen, der ein ebenso genauer und
tüchtiger Zeichner wie interessanter Kolorist war. Aber
diese Qualitäten werden von dem bewussten und gewollten
Obskurantismus der Ideen und von dem allzu üppig
wuchernden Ornamente erstickt oder zurückgedrängt.

Von zwei Ausstellungen bei Petit und bei Silberberg
in der rue Taitbout ist wenig zu sagen. Bei Petit stellt die
»Künstlergesellschaft Paris-Provence« aus, die anscheinend
fast ausschliesslich aus Amateuren besteht. Kein einziges
ihrer Mitglieder verdient hier Nennung. Dagegen ist die
Ausstellung bei Silberberg, wenn sie auch nichts Hervor-
ragendes enthält, reich an guten und tüchtigen Arbeiten,
und es giebt hier wenigstens keine Liebhaberarbeiten. Ich
erwähne die michelangelesken Köpfe von Anquetin, die
gut beobachteten Volksscenen von Piet, die hübschen
Abendstimmungen von Francis Jourdain, die Pariser Strassen-
bilder von Lempereur und Le Pan de Ligny und die von
nervösem Grossstadtleben durchbebten Zeichnungen von
Dethomas. In der Galerie des artistes modernes in der
rue Caumartin haben zwei Maler Sonderausstellungen ver-
anstaltet: Abel Truchet zeigt eine Anzahl Pariser Strassen-
bilder, zumeist sehr gut beobachtete und mit Frische wieder-
gegebene Scenen, denen auch die künstlerischen Qualitäten
der interessanten Farbenstimmung nicht fehlen; Alexander
Nozal ist mit einer Reihe von Landschaften aus den Pyre-
näen , den Alpen, den Cevennen und weiterhin aus der

Umgegend von Paris und aus der Bretagne erschienen.
Das Hochgebirge interessiert ihn offenbar am meisten,
und einige dieser rotleuchtenden Gletscher sind ausgezeich-
nete Arbeiten, wenn sie sich auch nicht über die seit
mehreren Menschenaltern üblichen Alpenbilder erheben.

Von der Beteiligung mehrerer bekannter Künstler an
einer Ausstellung von Spielsachen habe ich schon in meinem
letzten Berichte beiläufig gesprochen. Ausser dem Affen
Fremiet's ist da eine zierliche Puppe von Geröme, zwei
kleine Tänzerinnen von Coutan und ein doppelseitiger
Soldat von Detaille zu sehen. Mit Ausnahme des Soldaten
und vielleicht auch des neulich schon beschriebenen Affen
sind diese Dinge keine Spielsachen für Kinder. Die Puppe
Geromes ist ganz einfach ein reizendes modernes Tanagra-
figürchen, das die Käufer wohl in ihrem Salon aufstellen,
sicherlich aber nicht ihren Kindern zum Spielen geben
werden, und ebenso ist das Tänzerinnenpaar Coutan's kein
Spielzeug, sondern eine köstliche Nippesfigur. Die Be-
mühungen der Künstler kann man also in diesem Falle für
verfehlt erklären, aus dem nämlichen Grunde, aus dem
ihre Gebrauchsgegenstände zu allermeist nichts taugen.
Fast alle die Gefässe aus Glas, Steingut und sonstigem
Material und beinahe alle andern von Künstlern hergestellten
und in den Salons ausgestellten Gegenstände, die sich als
Erzeugnisse der angewandten Kunst bezeichnen und vor-
geben, unsern Hausrat veredeln und verschönern zu wollen,
sind ausschliesslich zum Anschauen und zum Bewundern
gut, lassen sich aber nicht gebrauchen. Diesen künstle-
rischen Spielsachen geht es ebenso. Der Soldat Detaille's
mag wohl die Jungen amüsieren, aber nicht mehr als irgend
ein anderer Hampelmann, und wenn er vor den gewöhn-
lichen Hampelmännern die korrekte Zeichnung und die
richtige Wiedergabe aller Uniformteile voraus hat, so fehlt
ihm das Leben nicht weniger als ihnen. Trotzdem scheint
Detaille mit diesem Resultat sehr zufrieden, denn er schlägt
vor, man möge den Einfluss der Künstler auch auf andern
Gebieten geltend machen und zunächst Preise für künst-
lerische Geschäftsschilder aussetzen. Ohne Zweifel wäre
auf diesem Gebiet in der That viel zu machen, und in
früheren Zeiten haben ja Leute wie Brouwer gewisser-
massen von der Anfertigung solcher Schilder gelebt. Allen
den verschiedenen Gewerben lassen sich vorzüglich male-
rische Seiten abgewinnen, und das Bild unserer Strassen
könnte auf diese Art nur verschönert werden. Indessen
wird sich auch hier der bei allen diesen Unternehmen
bald bemerkbare Haken einstellen: ein gewöhnlicher Haus-
maler stellt ein solches Schild für den zehnten Teil des
Preises her, den ein Kunstjünger fordern würde, und das
von dem ersteren gemalte Schild würde seinem geschäftlichen
Zweck vermutlich ebensogut entsprechen, wie das Kunst-
werk des zweiten. Trotzdem verdient die Anregung De-
taille's allen Beifall, und es ist ja nicht ausgeschlossen,
dass die Stadt durch Zahlung von Preisen die Geschäfts-
leute zur Anbringung künstlerischer Schilder bewegen kann.
Übrigens sei noch erwähnt, dass die Ausstellung der Spiel-
sachen zu dem Vorschlage geführt hat, die durch Preise
ausgezeichneten Gegenstände in das Muse Galliera zu
bringen und daselbst einen Saal für Spielsachen einzu-
richten.

Im Louvre arbeitet man augenblicklich eifrig an der
neuen Einrichtung der Säle im oberen Stockwerke, wo die
durch die Aufnahme der Möbel im vorigen Jahre aus dem
ersten Stock verdrängten Zeichnungen Unterkunft finden
sollen. Zwei der neuen Säle sollen dann als Ausstellungs-
räume benutzt werden, worin man von Zeit zu Zeit die
neuen Anschaffungen zeigen will. Das neulich im Schlosse
von Compiegne entdeckte Gemälde von Rembrandt, eine
Vorarbeit zu den im Louvre befindlichen »Jüngern von
 
Annotationen