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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Hevesi, Ludwig: Die Winterausstellung im österreichischen Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0099

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gehen, wo sie aus Eignem drei vollständig eingerichtete
Zimmer aufgestellt haben. Hier kann man die gesunden,
logischen Grundsätze dieser Richtung kennen lernen und
den eigentümlichen Chic einer prunklosen, zweckmässigen
Eleganz, wie ihn Hoffmann einimpft.

Trotzdem ist die Winterausstellung im Museum nichts
weniger als unmodern. Schon die Vorliebe des Direktors
für das englische Moment ist eine Bürgschaft dafür, denn
die alten Engländer, denen man heute nacheifert, die
Sheraton, Chippendale, Hepplewhite, Shearer, waren be-
reits modern im heutigen Sinne. Sie waren schon tisch-
lerisch und nicht mehr baukünstlerisch, und damit standen
sie im wirklichen Leben und schufen echte Gebrauchsmöbel.
Übrigens ist man nicht mehr durchaus im eigentlichen
Kopieren dieser Muster befangen. Die Einflüsse haben
sich schon stark gemischt; japanische, altwienerische, ameri-
kanische kommen hinzu und die Phantasie schafft von selbst
in einem Mengstil, der unsern letzten Erfahrungen und Be-
dürfnissen entspricht. Die bedeutenden Ausstattungsfirmen
Wiens und auch der Provinz sind bereits in diesem sicheren
Geleise und ihre Arbeit nimmt eine Art gemeinsamen Zug
an, der einst jedenfalls als unserer Zeit eigentümlich ge-
bucht werden wird. In diesem Stadium eines ruhigen
Fortarbeitens nach überwundenen Stürmen entbehrt man
sogar die eigentlichen Erfinder weniger. Das in den letzten
Jahren Erfundene wird jetzt gemächlich verdaut. Kein
Zweifel, dass nach einer gewissen Zeit das ästhetische
Hungergefühl sich wieder regen und alle schöpferischen
Kräfte in den Vordergrund rufen wird.

Das historische Moment tritt auf dieser Ausstellung
weniger hervor. Voriges Jahr sah man noch eine ganze
Reihe wertvoller Räume aus österreichischen Burgen und
Schlössern mit unübertrefflicher Technik nachgebildet, zu
dauernder Verwendung in einem dereinstigen neuen Museal-
bau. Diesmal findet sich ein einziger solcher Saal (von
Friedrich Otto Schmidt) im imposanten Barockstil Maria
Theresia's, und zwar eine Kombination aus prächtigen
Einzelheiten verschiedener alter Adelspaläste (Kinsky,
Breuner, Schönborn, Esterhazy). Allenfalls kann man dann
noch einen Raum (von Sigmund Jaray) historisch nennen,
der aber ist schon Nachahmung des altwiener Biedermeier,
wozu ein Privatmann in Atzgersdorf bei Wien die Origi-
nale geliefert hat. Dieses Zimmer hat auch den grössten
Erfolg beim Publikum. Das ist ein Lokalstil, familienhaft
anheimelnd, grossmütterlich-gemütlich, voll Reminiszenz an
die eigene Kindheit. Hier sind die Fäden zur Vergangen-
heit noch nicht abgerissen, es ist ein Lebendiges vorhanden,
an dem sich anknüpfen lässt. Wir werden natürlich nicht
wünschen, dass nun, statt anderer historischer Stile, der
biedere Biedermeier schlechtweg kopiert werde. Nur
seine praktischen Grundsätze sind zu beherzigen. Seine
unverwüstliche Arbeit, wie sie eine Zeit lieferte, als jeder
Geselle noch sein »Meisterstück« machen musste und dann
zeitlebens diesem nacheiferte, bis dann leider die Fabrik-
möbel der Möbelfabriken alles umbrachten. Und sein
Mut, er selbst zu sein: lokal, familiär, persönlich. Und
sein ererbter kunstgewerblicher Sinn und Eigengeschmack,
ja eigene Kunstfertigkeit, zu einer Zeit, da alle Damen die
schwersten Handarbeiten^machten, sogar Gobelinstickereien
von mikroskopischer Durchführung und jene sogenannten
Quodlibets, gestickte Stillleben, die schon Kompositions-
talent und technischen Einfindungsgeist erforderten. Der
solide bürgerliche Wohlstand jener gediegenen Pallisander-
zeit und der langsame Wechsel der Moden, der für Gegen-
wart und Zukunft arbeiten hiess, haben jenem einheimischen
Kunstgewerbe physische, aber auch künstlerische Dauer
verliehen. Und dabei sind diese Dinge vornehm, ja herr-
schaftlich; man sieht ihnen an, dass sie in einer kunst-

frohen Residenz geschaffen sind, wo der Wiener Kongress
allen damals erdenklichen Luxus entfesselt hatte. Eben
auf der Wiener Kongressausstellung, wo ein ganzer Saal
mit den besten derartigen Sachen gefüllt war, ist der Ge-
schmack daran auch offiziell zum Durchbruch gekommen.
Heute werden diese Dinge bereits eifrig gesammelt, sind
freilich auch schon stark im Preise gestiegen. Vor zehnJahren
waren sie noch geschenkt zu haben. Das erwähnte Zimmer
ist ganz hell, fast weiss, mit senkrechten gemalten Orna-
mentbändern, in denen ein hellgrünes, dünn gefiedertes
Gewächs emporstrebt. Die Möbel sind hellgelbes Kirsch-
holz, fourniert und poliert (»politiert« sagte man damals).
Der »Glaskasten« hat an den Ecken Ebenholzsäulen mit
vergoldeten Kapitälchen, an den Thüren Verglasungen hinter
zwei lattenartig dünn ausgeschnittenen Lyras, oben aber
einen massiven Stufengiebel. Der Kamin vom reinsten
weissen Marmor, mit einfachsten Gliederungen, hat kleine
Bronzeappliken, und zwar zierliche, hintergrundlos ausge-
schnittene Figurenscenen. Die sitzgerechten Sitzmöbel,
der standfeste Doppelsäulentisch, das unnachahmlich erfun-
dene Nähtischchen, der grosse ovale Kanarikäfig, die
Rahmen voll schwarzer Silhouetten an den Wänden, und
über dem Kanape selbstverständlich das Ölbild des guten
alten Kaisers Franz — das ist alles nicht bloss »gemacht«,
es ist wahr, wirklich, es hat gelebt und wird vielleicht
wieder leben. Mit welchem Glück damalige Tischler das
Richtige getroffen haben, zeigt sich in der Ausstellung
auch an einzelnen Gegenständen, z. B. einem Bieder-
meier-Lehnstuhl, der noch das ganze Rokoko im Leibe hat,
aber gleichsam abgehobelt, auf einfache Linien und ebene
Flächen zurückgeführt, in welcher Empfindung dann wieder
das zwischenliegende Empire sich geltend macht. Dieses
Möbelstück findet grossen Anklang.

»Einfache Möbel« — das Schlagwort tönt immer lauter
durch Wien. Neben Josef Hoffmann, der in der erwähnten
Zeitschrift eine reiche Auswahl solcher Entwürfe veröffent-
licht, ist Adolf Loos der Verfechter der eleganten, prak-
tischen, logischen Einfachheit. Das logische Möbel hat
jedenfalls eine grosse Zukunft. Loos hat in Amerika ge-
arbeitet und später in Wien schreibend und zeichnend
seine Ansichten verfochten. Wir kennen von ihm schon
eine ganze Reihe sehr bestechender Einrichtungen von
Cafes, Restaurants, Kaufläden, Wechselstuben und Woh-
nungen. In der Ausstellung ist er nicht vertreten, da er
nie ausstellt. Wohl aber stellt Friedrich Otto Schmidt
ein Schlafzimmer zur Schau, worin er sich nach Loos'schen
Grundsätzen richtet. Mahagoni, mit matten Bronze-
beschlägen, die ins Holz eingebettet sind, die Kanten alle
abgernndet, keinerlei eigentliches Ornament, dabei Bequem-
lichkeit und appetitliche Arbeit. Auch dieses Zimmer wird
sehr gewürdigt. Leider fallen die bronzenen Krallen an den
Tisch- und Stuhlfüssen aus dem Stil. In dieser Richtung ist
ferner unser gebogenes Holz zu erwähnen, das der Scha-
blone verfallen war, jetzt aber durch die Firma Jakob und
Josef Kohn zeitgemäss belebt wird. Die Anregungen dazu
kommen aus der Hoffmannschule, die auch die Kohn'sche
Ausstellung in Paris gestaltet hatte. Das gebogene Buchen-
holz war dort sogar in den Wanddekorationen als »sezes-
sionistische« Gefühlslinie weidlich verwendet, da ja doch
die Kurve sein eigentliches Bewegungsprinzip ist. Im
Museum sieht man jetzt drei vollständige Zimmer in diesem
wieder zu Ehren gelangenden Material ausgestellt. Auch
konstruktive Probleme werden da flott gelöst; so sah man
voriges Jahr einen Lehnstuhl, der aus bloss drei Siücken
zusammengesetzt war.

In den Interieurs der bekannten alljährlichen Aussteller
sieht man immer mehr interessante überseeische Hölzer
verwendet; so in einem Speisezimmer von Portois und Fix
 
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