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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Sauer, Joseph: Franz Xaver Kraus
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0122

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227

Franz Xaver Kraus.

einheitliche Zusammenschliessung, Schulung und har-
monischen Ausbau durch ein gründliches Studium
der Philologie, dem er unter den bewährten Meistern
Ritsehl und Jahn in Bonn oblag. In die schwär-
merische Begeisterung des Romantikers wurde hier
das Salz der Kritik gegossen und aus der Ver-
schwommenheit der Auffassung bildete sich die Klar-
heit fester Begriffe, beides gleich bedeutsam für den
angehenden Kirchenhistoriker wie Archäologen. Eine
Reihe gründlicher Studien in den »Bonner Jahr-
büchern«, zumeist archäologische Fragen der Rhein-
lande behandelnd, zeigen uns schon jetzt einen For-
scher von unbeugsamen Fleisse und von selbstän-
diger Erfassung und scharfer kritischer Bearbeitung
der Dinge. Noch in diesen Studienjahren wurden
die Anfänge gelegt zu der grossen Publikation der
»Christlichen Inschriften der Rheinlande«, die erst
Jahrzehnte später an die Öffentlichkeit treten sollte;
und noch eine Anzahl kirchengeschichtlicher und
theologischer Arbeiten, die er noch als Student oder
als Kaplan von Pfalzel herausgegeben hatte, erschien
als Frucht seiner philologischen Studien 1868 der
erste und einzige Band seiner »Beiträge zur Trierer
Archäologie und Geschichte«. Der archäologische
Teil bringt eine Ikonographie des Kreuzes, auf die
er später ergänzend und erweiternd wiederholt zurück-
kam, sowie eine scharf einschneidende Kritik der
Trierer Reliquien. Der Archäologe der späteren Jahre
steht hier schon fertig vor uns, mit der Gabe, auch
die schwierigsten Fragen mit der grössten Klarheit
und Übersichtlichkeit darzustellen, mit dem Scharfblick,
auch die weitestführenden Zusammenhänge mit dem
kulturgeschichtlichen Gesamtbilde aufzufinden, zugleich
auch mit einem erstaunlichen Freimut, die letzten
Konsequenzen seiner wissenschaftlichen Ergebnisse zu
ziehen und auszusprechen. Es weht ein scharfer
Wind durch diese Blätter; man fühlt deutlich den
Einfluss, den der Verfasser von Seiten der liberalen
Katholiken Frankreichs, eines Montalembert, Falloux,
Gratry u. a. erfahren hat, von der scharfen Stellung-
nahme, mit der er die Gesetze der historischen For-
schung gegen eine einseitig dogmatische Richtung
verteidigt. »Wehe dem, der die Wahrheit um der
Wahrheit willen liebt und auch andern zeigt,« ruft
hier der junge Geistliche prophetisch aus. Im gleichen
Jahre noch wagte er sich mit seiner kleinen archäo-
logischen Studie »Die Blutampullen der römischen
Katakomben« in den heissen Streit, der damals um
Inhalt und Bedeutung der in den Katakomben bei
manchen Gräbern aufgefundenen Glasgefässe, näher-
hin noch um die Haltbarkeit einer kurz vorher von
der Ritenkongregation erlassenen Entscheidung, wo-
nach solche Phiolen als Anzeichen des Martyriums
au betrachten seien, geführt wurde. Kraus suchte
den römischen Spruch noch einigermassen zu retten,
sprach sich aber streng ablehnend gegen die darauf
fussende Praxis aus; mit den zahlreich erschienenen
Erwiderungen setzte er sich, in manchen Punkten
seine erste Arbeit vertiefend und modifizierend, in
einer zweiten Behandlung dieser Frage auseinander
(1872).

Mit dieser letzten Studie hatte Kraus ein ergiebiges
Arbeitsfeld gefunden; er blieb ihm über zwei Jahr-
zehnte hindurch treu, schuf auf ihm Werke, die ihn
zum Führer der altchristlichen Archäologie in Deutsch-
land machten und auf unabsehbare Zeit hinaus blei-
benden Wert behalten werden. Er verlieh dieser ganzen
Disziplin die prinzipielle Bedeutung, die sie heute
im Zusammenhang der Kirchengeschichte hat, und
zugleich hatte er sich in den erregten theologischen
Streitigkeiten jener Tage auf ein in gewissem Sinne
neutrales Gebiet geflüchtet. Während eines längeren
römischen Aufenthaltes im Jahre 1870 war er den
grossen Archäologen Roms nahe getreten, insbesondere
dem grössten unter ihnen, de Rossi. Aus den wissen-
schaftlichen Beziehungen heraus bildete sich ein enges
Freundschaftsband, das auch durch den Tod des
Katakombenforschers nicht zerstört wurde. Kraus
hat zuerst die Resultate der grossen und systematisch
betriebenen Ausgrabungen, die unter de Rossi's An-
leitung unternommen und durch ihn bearbeitet wur-
den, in Deutschland einem grösseren Leserkreise zu-
gänglich gemacht. 1873 erschien die erste Auflage
seiner Roma sotterranea, zunächst bloss eine mit
Zusätzen und Erweiterungen versehene Bearbeitung
des gleichbetitelten Werkes von Sp. Northcote-Brown-
low; die gründliche Umarbeitung der zweiten Auf-
lage hat dem Buche volle selbständige Bedeutung
und einen auch heute noch nicht überholten Wert
verliehen (1879). Gleichzeitig hatte er in dem Lehr-
buch der »Kirchengeschichte« (1871—75) der Ar-
chäologie und Kunstgeschichte den ihr gebührenden,
bisher aber noch nie innegehabten Platz eingeräumt.
Es ist das nicht der letzte Vorzug der schicksals-
reichen »Kirchengeschichte«; wir dürfen diese Be-
tonung der Monumente innerhalb einer Darstellung
des kirchlichen Lebens in seinem Verlaufe geradezu
als Geburtsstunde der Monumentaltheologie betrachten,
jenes theologischen Wissenzweiges, der den schlum-
mernden Geist vergangener Jahrhunderte in den alten
Denkmälern wieder zu wecken und den Niederschlag
der christlichen Wahrheiten aus den Altertümern
herauszuschälen versucht. In noch wirksamerer,
viel durchgreifenderer Weise sehen wir den Ge-
lehrten an dieser Aufgabe thätig bei Herausgabe der
»Realencyklopädie der christlichen Altertümer«, die
in zwei grossen Quartbänden eine vollständige Kul-
turgeschichte der ersten sechs christlichen Jahrhunderte
bringt (1882—86). Ähnliche Werke besassen bereits
die Franzosen und Engländer, an Festigkeit und
Klarheit des Programms, an Gründlichkeit und Reich-
haltigkeit des Materials und an besonnener Kritik
standen die beiden Vorgänger hinter dem deutschen
Werke sehr weit zurück. Bis in die letzten Lebens-
stunden hinein hoffte er noch, dereinst nach Abschluss
der »Geschichte der christlichen Kunst« in einer
zweiten Auflage manche Mängel, die sich teils durch
die Verschiedenartigkeit der Mitarbeiter, teils durch
die noch mangelhafte Kenntnis und ungenügende
Durchforschung vieler Monumente erklären lassen, be-
seitigen zu können. Was seine Ziele beim Betrieb
der christlichen Archäologie waren, welche Stellung
 
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