Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

DOI article:
Sauer, Joseph: Franz Xaver Kraus
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0124

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
231

Franz Xaver Kraus.

232

wirksamen Jungbrunnen, an dem er sich stählte und
erholte zum neuen Schaffen und zu neuem Kampfe.
Und wenn er zu Hause in einsamer Zelle den Himmel
und den Oeist Italiens vermisste, dann griff er zum
grossen Florentiner Sänger. Ähnliche Lebensschicksale
und ähnliche Geistesrichtung hielten da Zwiesprach;
Mittelalter und Neuzeit, eine tief religiöse Innerlich-
keit, rücksichtsloser Wahrheitssinn und eine bis zur
Härte und Bitterkeit sich steigernde Freimütigkeit
tauschten sich da oft genug aus. Aus diesem ein-
samen stillen Verkehr sind zwei kunstgeschichtliche
Werke hervorgegangen, »Signorelli's Illustrationen zu
Dante's Divina Commedia« (1892) und das von einer
erstaunlichen Beherrschung der ganzen Dante-Litteratur
und von einem gründlichen Verständnis der schwie-
rigen durch den Florentiner Sänger und seine Werke
geschaffenen Probleme zeugende Dante-Werk (1897).
Nicht bloss, dass der Verfasser in beiden Arbeiten
den direkten Einfluss der dichterischen Schöpfungen
auf die bildende Kunst nachzuweisen sucht, mehr
noch war es ihm in der letzten grossen Gabe an
den Sänger darum zu thun, das Werden des neuen,
modernen Menschen bei Dante, das langsame, aber
sichere Aufkeimen der Renaissance bei diesem grossen
Genie aufzudecken.

Eine Zusammenfassung seines ganzen Wissens,
seiner immensen Kenntnisse auf archäologischem,
kirchen- und kunstgeschichtlichem Gebiete, eine Ver-
tiefung und organische Verknüpfung aller Einzel-
studien, mit denen er seit dreissig Jahren die kunst-
geschichtliche Litteratur bereichert hatte, legte er in
seiner »Geschichte der christlichen Kunst« vor (1896
bis igoo). Es ist ein Meisterwerk in formeller wie
materieller Hinsicht und bleibt das Hauptwerk dieses
so tragisch rasch gekürzten Lebens, wenn der Ver-
fasser es auch nicht mehr bis zu Ende hat führen
können. Die abgeklärte Ruhe und Sicherheit, welche
ein hoher Standpunkt verleiht, sind über die ganze
Darstellung ausgebreitet, und auf mehr denn einer
Seite redet ein tief innerlich empfindendes deutsches
Herz, dessen Sprache nur Anerkennung dem Edlen,
Grossen und Schönen zollt, das mit seinen zarten
Heimwehklängen nach der überirdischen Schönheit
wie mit dem Donnerwort gegen alles Gemeine und
Falsche bis in die Tiefen der Seele einzudringen ver-
mag. Noch einmal führt der Archäologe uns durch
die düsteren feuchten Galerien unter der römischen
Campagna und zeigt uns die bescheidene Wiege der
christlichen Kunst und Kultur; denn weit entfernt,
dass Kraus sich bloss mit einer Schilderung des
künstlerisch Bedeutsamen begnügt hätte, er hat uns
das Ganze aus der Religion heraus entstandene, von
ihren Wahrheiten befruchtete Kulturleben der Christen
zu zeigen unternommen. Noch nie sind bisher Aus-
einandersetzungen geschrieben worden, wie die über
die alten Bildercyklen oder gar der grundlegende
Abschnitt über »Ikonographie und Symbolik der
mittelalterlichen Kunst«; und eine Charakterzeichnung
von einer gleich genialen Meisterhaftigkeit war der
Renaissance bis dahin nicht zu teil geworden. In
seinem Urteil über diese ganze Geistes- und Kunst-

richtung tritt deutlich der Einfluss zu Tage, den
Männer wie Baron v. Oeymüller oder Prälat Friedr.
Schneider auf ihn ausgeübt. Der letztere hat, wie
er die erste grössere litterarische Leistung des Freundes
auf kunstgeschichtlich - archäologischem Gebiete ver-
anlasst hat, die Roma sotterranea, auch sonst manchen
Anteil, so an den »Inschriften der Rheinlande« oder
an den elsässischen und badischen »Kunstdenkmälern«
genommen. Dankbar hat der Verewigte Winke und
Ratschläge stets anerkannt und nicht zum wenigsten
ist aus solchen Beziehungen eine feste Freundschaft
fürs Leben geworden.

Kraus war ein gottbegnadeter Meister des Wortes,
mochte er es schreiben oder sprechen. Die vollendete
Schönheit und das Ebenmass in der Antike standen
ihm ebenso wie der feine Geist der Franzosen zu
Gebote. Wenn er von der einfachen Grösse eines
Katakombenbildes, von der Geistesgewalt eines Augu-
stinus sprach, die Schriften der alten Väter fürs Leben
empfahl, wenn er einen Blick thun Hess in den un-
erschöpflichen Weisheits- und Tröstungsborn eines
Imitatis Christi, oder eine Feuerseele wie Francesco
d'Assisi oder den prophetengleichen Dante zeichnete:
dann ging ein Schauer heiligen Erbebens durch die
dichtgedrängte Zuhörerschar, da schmolz auch die
härteste Eisscholle von Vorurteilen unter der Feuer-
lohe einer grossen Begeisterung und atemlose Ruhe
herrschte, bis das letzte Wort verklungen war. Da
sprach er bald die innige, hoheitsvolle Weise eines
Thomas von Kempen, bald das kreischende, mühsam
zurückgehaltene Machtwort eines Dante. Ein Meister-
werk waren stets die grossen zusammenfassenden
Überblicke über ganze Perioden und Richtungen;
ihre feine und geistvolle Charakterisierung stellte ein
Muster von Klarheit und richtiger Betonung des
Wesentlichen und Bedeutsamen dar. Und wie er da
als Lehrer, so war er auch als Mensch und Freund.
Das Verschlossene, Falsche, das Kleinliche that seiner
feinen Empfindung wehe und er gebrauchte dagegen
die vernichtende Waffe seines Wortes; mit den realen
Verhältnissen fand sich sein künstlerisches Gefühl und
sein Idealismus oft schwer zurecht. Das Recht auf
offene, freimütige Aussprache nahm er für sich zeit-
lebens in Anspruch, ohne dass er dadurch glücklicher
und erfolgreicher geworden wäre. Wenig Menschen
dürfte es geben, die einen gleich ausgedehnten und
interessanten Bekanntenkreis in der ganzen Welt ge-
habt und durch lebhafte Korrespondenz stets fest-
gehalten hätten. Wem er aber einmal näher getreten
und wer sich seiner Freundschaft erfreuen durfte, dem
hielt er unerschütterliche Treue, dem erschloss er die
rätselvollen Tiefen seines grossen und vollen Herzens
und die wechselreichen Schicksale seines Lebens.
Von dem uferlosen Ocean der Wissenschaft, der allein
den Durst des Herzens nicht stillen und auf die
Dauer nicht ganz genügen kann, flüchtete er, wie so
mancher grosse Geist vor ihm, an das Gestade, wo
die Sonne der Freundschaft und der Liebe Wärme
und Kraft spendete. Mehr und mehr hatte er sich
im harten Kampf des Lebens, tief bis ins Herz von
Enttäuschung und bitterer Erfahrung getroffen, in
 
Annotationen