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Berliner Kunstausstellungen.
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Dass Rodin's Einfluss in der Plastik gefährlich zu
werden beginnt, zeigte deutlich eine im übrigen höchst
anregende Ausstellung bei Keller & Reiner. Sie ver-
einigte die Arbeiten von vier Bildhauern, unter denen
Medarde* Rosso-Paris, ohne etwa der bedeutendste zu
sein, eben durch seine übertriebene Rodin-Nachtreterei
besonders auffiel. Damit ist der Zweck dieses Künst-
lers aller Wahrscheinlichkeit nach vollkommen erreicht,
denn irgend einen anderen, als dadurch aufzufallen,
dass er etwas recht Unsinniges oder wenigstens ganz
Unverständliches ausstellte, kann er bei diesen »Schöp-
fungen« wohl kaum im Auge gehabt haben. Was
soll man sagen zu der Art von plastischem >Porträt«,
die Herr Rosso unter dieser Bezeichnung vorführt?
Er hätte ebenso gut »Ziegenbock« oder »Kanonenkugel «
oder irgend etwas anderes als Titel wählen können!
Man stelle sich vor, dass jemand einen Thonkloss
hergenommen und ihm so ungefähr eine Form ge-
geben habe, die man mit vielem guten Willen als
die eines Kopfes ansehen kann, dass er dann an die-
sem offenbar beinahe »schlickerartigen« Kloss da, wo
das linke Auge sitzen könnte, eine Tiefe eingedrückt
und eine geringe Wölbung herausgearbeitet habe,
dann rechts flüchtig mit einem Striche im Flachrelief
einen Nasenrücken angedeutet, das rechte Auge ver-
gessen und sich im übrigen um seinen Thonkloss
nicht weiter gekümmert habe, und man hat das, was
Madardo Rosso ein »Porträt« nennt! — Im übrigen
scheint dieser Bildhauer eine eigenartige Vorliebe da-
für zu haben, Sachen, die noch in den allerersten
Anfängen stecken, in Bronze oder anderem echten
Material verewigen zu lassen. Er liebt besonders
lachende Gesichter und man bemerkt an seinen Ar-
beiten dieser Art, dass er das flüchtige Leben wohl
künstlerisch zu erfassen versteht. Aber die Vorliebe
für eine so plötzliche und so überaus flüchtige Er-
scheinung beweist doch, dass sein plastisches Empfin-
den recht schwach isi
Der »Impressionismus« hat überhaupt in der
Plastik nur ein sehr geringes Recht. Hier ist eine
scharfe Grenze der Kunst des Bildhauers gegenüber
der des Malers. Auch der Russe Prinz Paul Trou-
betzkoy arbeitet sehr malerisch. Aber er überschreitet
jene Grenze nicht. Von Rosso kann man sagen,
dass er in seinen Arbeiten hier und dort angeborenes
Talent zeigt und weiter nichts, bei Troubetzkoy sieht
man ausserdem immer gereiftes Können. Ihm bleibt
die Form stets die Hauptsache; er sieht die
Dinge durchaus mit dem Auge des Bildhauers. Seine
Werke haben etwas Skizzenhaftes, aber fast nie etwas
Unklares oder Verschwommenes. Wenngleich der
Künstler augenscheinlich in der Hauptsache das Genre
behandelt, wie man an den trefflichen Darstellungen
der sitzenden Dame, des Reiters, der »Kuh auf der
Weide und vor allem des russischen Einspänners
sieht, so zeigt er doch immer einen starken Sinn für
das Wichtige der Erscheinung, und seine Arbeiten
sprühen von Leben und sind voll sprudelnder
Frische. Er ist Kleinplastiker, aber er wird niemals
kleinlich; auch die umfangreicheren Werke, die man
hier sieht, wie Mutter und Kind«, sind nur Klein-
plastiken in grösserem Format, und eben wegen dieses
Formates erscheinen sie daher weniger vollendet.
Ganz andere Wege geht der Wiener G. Gursch-
ner, der eine kleine Zahl von Büsten und ebenfalls
Kleinplastiken ausstellte. Er erstrebt die Vereinfachung
der Form, er liebt die glatten Bronzeflächen, die klar
und scharf von einander absetzen. Seine Bildwerke
haben viel Anmut und Eleganz.
Das weitaus Bedeutendste aber, was jene Aus-
stellung enthielt, rührte von Stephan Sinding-Koptn-
hagen her. Mit aufrichtiger Freude konnte man hier
feststellen, dass seine vor etwa acht Jahren in Berlin
schon ausgestellte Gruppe »Zwei Menschen« die
grosse Bewunderung voll verdiente, die sie seiner Zeit
allgemein erregte, und dass sie von ihrem Reiz für
uns nichts verloren hat. Gerade in der Plastik sind
seit jener Zeit wieder starke Wandlungen vorgegangen
oder sie haben sich vorbereitet, aber dies Werk wird
sie, wie alles Klassische, siegreich überdauern. Es ist
bei aller Anmut der Komposition, bei aller reinen
Grösse und Ruhe etwas in dieser Gruppe, das sie
— wahrscheinlich allen Zeiten — stets »modern«
erscheinen lassen wird; überwältigend spricht aus ihr
ein wahrhaft grossartiges Schönheitsempfinden.
Kaum etwas anderes, das Sinding hier noch bot,
konnte sich mit ihr messen. Freilich die »Gefesselte
Mutter«, diese schöne geschmeidige Gestalt, die knie-
end mit auf den Rücken gebundenen Händen dem
Säugling die Brust reicht, kommt ihr nah; die geniale,
poetische Idee ist mit ebenbürtiger Kraft ausgeführt,
und so der Mutterliebe ein ergreifender Hymnus ge-
sungen worden. — Die mit finsterem Trotz vor sich
hinblickende, ihren toten Sohn im Arm haltende
»Barbarenmutter« sagt weniger; sehr schön aber ist
die stürmisch bewegte kleine Reiterfigur Wal-
küre«. In ihr, wie in der grausigen Holzstatue »Die
Älteste ihres Geschlechts« kommt starke Stimmung
zur Geltung; das grosse Werk »Mutter Erde« da-
gegen befriedigt nicht. Sinding hat hier seinen aller-
dings wohl unüberwindlichen Vorwurf nicht bezwungen;
die Arbeit lässt kalt trotz mancher Feinheit der Durch-
führung.
Bei Paul Cassirer bot sich Gelegenheit, Walter
Leistikow auf neuen Bahnen anzutreffen. Seine neue-
sten Grunewaldbilder erinnern zum Teil an franzö-
sische Werke, die sie aber keineswegs erreichen. Er
ist hier weder in der Wahl der Motive noch in ihrer
Bewältigung so glücklich wie früher; wenn auch in
der »Villa im Grunewald« die Sonne trefflich wieder-
gegeben ist, so scheint doch z. B. die Farbe des roten
Daches für die Wirkung des vollen Lichtes zu schwach,
und über dem Ganzen liegt eine gewisse Unruhe.
Das Bild hat etwas Hartes, die Luft hier, wie in
einigen anderen Bildern, etwas Bleiernes. Aber, dass
Leistikow nicht ruht, vielmehr auf neuen Wegen Neues
sucht, das ist doch erfreulich, und man darf gewiss
sein, dass er auch neue Ziele finden wird. So ist
schon hier die Schilderung des »Herbstes«, und die
aus dunklen Bäumen hervorlugende »Villa im Park«
(oder ist das ein älteres Werk?) voll Poesie und voll
Stimmung.
Berliner Kunstausstellungen.
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Dass Rodin's Einfluss in der Plastik gefährlich zu
werden beginnt, zeigte deutlich eine im übrigen höchst
anregende Ausstellung bei Keller & Reiner. Sie ver-
einigte die Arbeiten von vier Bildhauern, unter denen
Medarde* Rosso-Paris, ohne etwa der bedeutendste zu
sein, eben durch seine übertriebene Rodin-Nachtreterei
besonders auffiel. Damit ist der Zweck dieses Künst-
lers aller Wahrscheinlichkeit nach vollkommen erreicht,
denn irgend einen anderen, als dadurch aufzufallen,
dass er etwas recht Unsinniges oder wenigstens ganz
Unverständliches ausstellte, kann er bei diesen »Schöp-
fungen« wohl kaum im Auge gehabt haben. Was
soll man sagen zu der Art von plastischem >Porträt«,
die Herr Rosso unter dieser Bezeichnung vorführt?
Er hätte ebenso gut »Ziegenbock« oder »Kanonenkugel «
oder irgend etwas anderes als Titel wählen können!
Man stelle sich vor, dass jemand einen Thonkloss
hergenommen und ihm so ungefähr eine Form ge-
geben habe, die man mit vielem guten Willen als
die eines Kopfes ansehen kann, dass er dann an die-
sem offenbar beinahe »schlickerartigen« Kloss da, wo
das linke Auge sitzen könnte, eine Tiefe eingedrückt
und eine geringe Wölbung herausgearbeitet habe,
dann rechts flüchtig mit einem Striche im Flachrelief
einen Nasenrücken angedeutet, das rechte Auge ver-
gessen und sich im übrigen um seinen Thonkloss
nicht weiter gekümmert habe, und man hat das, was
Madardo Rosso ein »Porträt« nennt! — Im übrigen
scheint dieser Bildhauer eine eigenartige Vorliebe da-
für zu haben, Sachen, die noch in den allerersten
Anfängen stecken, in Bronze oder anderem echten
Material verewigen zu lassen. Er liebt besonders
lachende Gesichter und man bemerkt an seinen Ar-
beiten dieser Art, dass er das flüchtige Leben wohl
künstlerisch zu erfassen versteht. Aber die Vorliebe
für eine so plötzliche und so überaus flüchtige Er-
scheinung beweist doch, dass sein plastisches Empfin-
den recht schwach isi
Der »Impressionismus« hat überhaupt in der
Plastik nur ein sehr geringes Recht. Hier ist eine
scharfe Grenze der Kunst des Bildhauers gegenüber
der des Malers. Auch der Russe Prinz Paul Trou-
betzkoy arbeitet sehr malerisch. Aber er überschreitet
jene Grenze nicht. Von Rosso kann man sagen,
dass er in seinen Arbeiten hier und dort angeborenes
Talent zeigt und weiter nichts, bei Troubetzkoy sieht
man ausserdem immer gereiftes Können. Ihm bleibt
die Form stets die Hauptsache; er sieht die
Dinge durchaus mit dem Auge des Bildhauers. Seine
Werke haben etwas Skizzenhaftes, aber fast nie etwas
Unklares oder Verschwommenes. Wenngleich der
Künstler augenscheinlich in der Hauptsache das Genre
behandelt, wie man an den trefflichen Darstellungen
der sitzenden Dame, des Reiters, der »Kuh auf der
Weide und vor allem des russischen Einspänners
sieht, so zeigt er doch immer einen starken Sinn für
das Wichtige der Erscheinung, und seine Arbeiten
sprühen von Leben und sind voll sprudelnder
Frische. Er ist Kleinplastiker, aber er wird niemals
kleinlich; auch die umfangreicheren Werke, die man
hier sieht, wie Mutter und Kind«, sind nur Klein-
plastiken in grösserem Format, und eben wegen dieses
Formates erscheinen sie daher weniger vollendet.
Ganz andere Wege geht der Wiener G. Gursch-
ner, der eine kleine Zahl von Büsten und ebenfalls
Kleinplastiken ausstellte. Er erstrebt die Vereinfachung
der Form, er liebt die glatten Bronzeflächen, die klar
und scharf von einander absetzen. Seine Bildwerke
haben viel Anmut und Eleganz.
Das weitaus Bedeutendste aber, was jene Aus-
stellung enthielt, rührte von Stephan Sinding-Koptn-
hagen her. Mit aufrichtiger Freude konnte man hier
feststellen, dass seine vor etwa acht Jahren in Berlin
schon ausgestellte Gruppe »Zwei Menschen« die
grosse Bewunderung voll verdiente, die sie seiner Zeit
allgemein erregte, und dass sie von ihrem Reiz für
uns nichts verloren hat. Gerade in der Plastik sind
seit jener Zeit wieder starke Wandlungen vorgegangen
oder sie haben sich vorbereitet, aber dies Werk wird
sie, wie alles Klassische, siegreich überdauern. Es ist
bei aller Anmut der Komposition, bei aller reinen
Grösse und Ruhe etwas in dieser Gruppe, das sie
— wahrscheinlich allen Zeiten — stets »modern«
erscheinen lassen wird; überwältigend spricht aus ihr
ein wahrhaft grossartiges Schönheitsempfinden.
Kaum etwas anderes, das Sinding hier noch bot,
konnte sich mit ihr messen. Freilich die »Gefesselte
Mutter«, diese schöne geschmeidige Gestalt, die knie-
end mit auf den Rücken gebundenen Händen dem
Säugling die Brust reicht, kommt ihr nah; die geniale,
poetische Idee ist mit ebenbürtiger Kraft ausgeführt,
und so der Mutterliebe ein ergreifender Hymnus ge-
sungen worden. — Die mit finsterem Trotz vor sich
hinblickende, ihren toten Sohn im Arm haltende
»Barbarenmutter« sagt weniger; sehr schön aber ist
die stürmisch bewegte kleine Reiterfigur Wal-
küre«. In ihr, wie in der grausigen Holzstatue »Die
Älteste ihres Geschlechts« kommt starke Stimmung
zur Geltung; das grosse Werk »Mutter Erde« da-
gegen befriedigt nicht. Sinding hat hier seinen aller-
dings wohl unüberwindlichen Vorwurf nicht bezwungen;
die Arbeit lässt kalt trotz mancher Feinheit der Durch-
führung.
Bei Paul Cassirer bot sich Gelegenheit, Walter
Leistikow auf neuen Bahnen anzutreffen. Seine neue-
sten Grunewaldbilder erinnern zum Teil an franzö-
sische Werke, die sie aber keineswegs erreichen. Er
ist hier weder in der Wahl der Motive noch in ihrer
Bewältigung so glücklich wie früher; wenn auch in
der »Villa im Grunewald« die Sonne trefflich wieder-
gegeben ist, so scheint doch z. B. die Farbe des roten
Daches für die Wirkung des vollen Lichtes zu schwach,
und über dem Ganzen liegt eine gewisse Unruhe.
Das Bild hat etwas Hartes, die Luft hier, wie in
einigen anderen Bildern, etwas Bleiernes. Aber, dass
Leistikow nicht ruht, vielmehr auf neuen Wegen Neues
sucht, das ist doch erfreulich, und man darf gewiss
sein, dass er auch neue Ziele finden wird. So ist
schon hier die Schilderung des »Herbstes«, und die
aus dunklen Bäumen hervorlugende »Villa im Park«
(oder ist das ein älteres Werk?) voll Poesie und voll
Stimmung.