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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Jacobsen, Emil: Esther, Ahasver und Haman beim Mahle: Gemälde im Museum zu Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0187

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357

Esther, Ahasver und

Haman beim Mahle.

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druck gebrachten Gemütsbewegungen in Versen be-
schrieben hat« (Ausg. Wurzbach, S. 114 f.).

Es dauerte nicht lange, als ich »Alle de Gedichten
van den Poeet Jan Vos« (Amsterdam 1662) in Händen
hatte. Da fand ich Seite 565 folgendes Poem:

Haman by Hester en Assueer te Gast door
Rembrandt geschildert.
»Hier ziet men Haman by Asueer en Hester eeten
Maar't is Vergeefs, zijn borst is vol van spijt en smart.
Hy byt in Hesters spijs: maar dieper in haar hart.
De Koning is van wraak en raazery bezeeten.
De gramschap van een Vorst is schricklijk alsze raast.
Die alle mannen dreigt, wordt door een vrouw verbaast.
Zoo stört men van het top in't dal der teegenspoeden.
De wraak die langzaam komt gebruikt de wreedtste

roeden.«

Für mich ist kein Zweifel vorhanden, dass unser
Gemälde der Gegenstand des Gedichtes ist. Hier ist
ja ebenso eine zugespitzte Theaterscene dargestellt,
wo es sich darum handelt, wie Houbraken es treffend
sagt: die darin zum Ausdruck gebrachten Gemüts-
bewegungen zu schildern. Und das Gedicht des Jan
Vos giebt diese dramatische Scene in Worten wieder.
Hier geschieht eigentlich noch nichts. Es ist die
Epigenesis eines Geschehens, die geschildert ist.

Ganz besonders stimmt mit unserem Gemälde der
letzte Vers: »De wraak die langzaam komt gebruikt
de wreedtste roeden. < Denn man fühlt eben, wie das
Rachegefühl sich langsam des Königs bemeistert. Er
richtet sich langsam auf, wirft einen zornigen Blick
auf Haman, hat aber noch so viel Selbstbeherrschung,
dass er seine Hand besänftigend auf den Arm Esther's
legen kann. Ich glaube mit Sicherheit annehmen zu
können, dass das von Jan Vos besungene Bild jeden-
falls der Komposition nach identisch mit dem Kölner
Bilde ist.

Es fragt sich jetzt, ob das Bild ein Original oder
eine Kopie ist?

Es würde meiner Ansicht nach von kunstgeschicht-
lichem Interesse sein, selbst nur eine Kopie aus der
Zeit Rembrandt's von dem angeblich verschollenen
Werke nachweisen zu können. Die Frage, ob Original
oder Kopie könnte ich füglich den speziellen
Rembrandtforschern überlassen.J)

Soll ich doch eine Meinung aussprechen, dann
wäre es die, dass das Gemälde schwerlich eine ein-
fache Kopie sein kann. Wenn auch nicht immer auf

1) Die Möglichkeit, dass das Kölner Bild mit dem von
Houbraken erwähnten und von Jan Vos besungenen Ge-
mälde von Rembrandt gar nichts zu schaffen hat, dürfte,
wie ich glaube, ganz auszuschliessen sein. Ein holländisches
Bild aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, offenbar in die
Rembrandt'sche Schule gehörend, mit genau demselben
Inhalt wie das von Houbraken und Jan Vos angegebene
Bild und doch ganz unabhängig davon: dies erscheint in
hohem Grade unwahrscheinlich. Darstellungen aus dem
Buche Esther kommen sehr häufig vor. Bilder mit diesem
ganz bestimmt angegebenen Thema: Esther, Ahasver und
Haman zusammen bei Tafel sitzend, sind dagegen selten.

der Höhe Rembrandt's, so steht es doch hoch über
dem Leistungs-Niveau der Schüler.1) Die Ausführung
erinnert in ihrer Gesamtheit an keinen von diesen, in
einzelnen Teilen jedoch an einen der weniger bedeu-
tenden. Der Schüler, an welchen man hier und da
erinnert wird, ist Jan Victor.

Die Entstehung des Bildes lässt sich vielleicht
durch folgende Hypothese erklären: Dem Stile nach
muss es um 1640 gemalt sein. Um diese Zeit war
der eben zwanzigjährige Jüngling Jan Victor bei Rem-
brandt als Schüler. Anderseits war der Meister in
dieser Periode mit Arbeiten überhäuft. Präzisieren
wir die Zeit als 1641, dann war es das Jahr, in
welchem die »Nachtwache« angefangen und wahr-
scheinlich auch halb vollendet wurde. Houbraken
hat uns mitgeteilt, dass Rembrandt von der Arbeit
seiner Schüler reichlich Gebrauch machte.2) Das Zu-
sammenarbeiten mit Schülern geht auch aus dem 1656
angefertigten Inventar der Güter Rembrandt's, die in-
folge seiner Insolvenz verkauft wurden, hervor. (Vergl.
Bode, Studien, S. 432.) In der Regel dürfte das
Schülerwerk sich unter der alles überdeckenden Meister-
hand Rembrandt's verbergen. Die ganz besonders
thätige Periode, der das Bild wahrscheinlich angehört,
würde es erklären, dass dies ausnahmsweise hier nicht
der Fall ist. Diese gewiss mögliche und auch nicht
unwahrscheinliche Annahme würde die Nicht-Rem-
brandtischen Züge auf befriedigende Weise erklären.

Dem Jan Victor selbst das Bild zuzuschreiben,
scheint mir unmöglich.

Es steht in seiner Gesamtheit himmelhoch über
seinen Fähigkeiten. Man vergleiche nur das Gemälde
mit einem seiner allerbesten Bilder: »Der greise Jacob
vor Pharao«, welches vor kurzem in das Rijksmuseum
gekommen ist. Er bestrebt sich hier Rembrandt nach-
zuahmen, z. B. auch in der geistreich-spielenden Manier,
wie dieser das farbige Muster der Gewänder hinzaubert.
Der Unterschied zwischen Nachahmung und Meister-
schaft ist augenfällig. Übrigens hat Victor fast alle seine

1) Der auch in Deutschland hochgeschätzte Rembrandt-
forscher Emile Michel erwähnt das Bild, welches er, wie
es scheint, ohne Überzeugung, dem Eeckhout, aber als
dessen bedeutendstes Werk lässt, folgendermassen: »La
figure persuasive d'Esther se plaignant a son epoux, le
regard interorogateur et soupconneux qu' Assuerus fixe sur
Aman, le trouble de celui ci, la diversite des sentiments
qui agitent ces trois personnages et l'unite vraiment pathe-
tique de l'action ä ce moment decisif, tout ici dans les
attitudes et l'expression des visages, attestent un sens de
la composition tris superieure ä ce que d'ordinaire on ren-
contre chez les e'/eves de Rembrandt. II n'en est guere assure-
ment pour s'elre approche aussi pres du maltre, pour avoir
su, avec un pareil succes, s'approprier ses intonations mys-
terieuses, l'eclat de ses carnations et l'accompagnement de
tons sourds et ambres qu'il excelle ä leur donner.« Les
Musees d'AHemagne. Paris 1886. S. 55. (Die Aushebungen
von mir.)

2) Bredius schreibt in dieser Zeitschrift: »Wir müssen
doch wohl annehmen, dass einige Bilder, die wir für
Werke Rembrandts halten, vielleicht nur von ihm zum Teil
überarbeitete Bilder tüchtiger Schüler sind«.
 
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