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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon der Société Nationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0210

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Der Salon der Societe nationale

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Dejean, die an Trubetzkoi erinnernden Jahrmarktschreier,
Arbeiter und wimmelnden Mengen von der Strasse und
vom Künstlerballe der Quat-z-arts von der Russin Julie
Swirsky, die sich damit sehr vorteilhaft im Salon einführt,
die Bettler und Arbeitslosen von dem Deutschen Bernhard
Hötger, ebenfalls einem neuen Ankömmling, der stark
von Rodin beeinflusst ist, die Steinbrucharbeiter von dem
Belgier Charlier und die kleinen berittenen Indianer und
Buren von dem Amerikaner Borglum.

In den oberen, der Malerei übergebenen Räumen
merkt man, dass der Geist des verstorbenen Meisters Puvis
de Chavannes kräftig weiterlebt. Auburtin, Frl. d'Anethan,
Bouvet, Menu und andere haben dekorative Gemälde ge-
sandt, die in der Art des Meisters alle Nebendinge ver-
schweigen, nur die Hauptsachen mit möglichster Einfach-
heit wiedergeben und sich einer flachen und matten
Tonalität befleissigen. Indessen reicht nur Auburtin in
seiner dem »Sommer« des Pariser Rathauses nahe ver-
wandten Flusslandschaft an den Meister heran und weiss
dieselben Gefühle von feierlich stiller und grosser Poesie
zu erwecken. Victor Prouve, Besnard und Aman-Jean
stehen in ihren dekorativen Gemälden auf eigenen Füssen:
der erste stellt in seinem für die Mairie des 11. Arron-
dissements bestimmten grossen Gemälde eine Lichtung
im Hochwalde dar, durch die ein fröhlicher Reigen von
Mädchen und Jünglingen hinstürmt. Von Puvis de Cha-
vannes und seinen Schülern kommend, wirkt die kräftige
Farbengebung dieses Bildes etwas bunt. Besnard hat seine
von der Weltausstellung her schon bekannte »Glückliche
Insel< gesandt, eine herrliche Farbensymphonie von be-
rauschender Schönheit; und Aman Jean zeigt uns einen
Rokokopark mit lustwandelnden Frauen, sehr reich, ge-
schmackvoll und vornehm, wie alle Arbeiten dieses be-
kannten Künstlers. Die Apotheose Gounod's von Dubufe
ist schlecht, das Bankett der Bürgermeister im Tuilerien-
garten von Gervex langweilig, das Jubiläum Pasteur's von
Rixens schlecht und langweilig.

Der Clou des Salons ist keines der bisher genannten
Kunstwerke. Wenn man überhaupt einen solchen Clou
haben will, so muss man den Saal besuchen, worin des
Amerikaners Sargent »Zwei Schwestern« hängen. Das ist
ein Meisterwerk der Bildniskunst, wie es lebendiger,
frischer und gewaltiger wohl niemals gemalt worden ist.
Neben dieser virtuosen, himmelstürmenden Kunst muss
Dagnan-Bouveret trotz seiner mit allen Mitteln technischen
Könnens, eisernen Fleisses und unleugbar grossen Talentes
gemalten Damenbildnisse einen Rücksitz einnehmen.
Dagnan-Bouveret ist der weise und kluge, überlegende
und überschauende Meister, der aus der Kunst der grossen
Meister der Vorzeit die Quintessenz gezogen hat und nun
nach den besten und bewährtesten Regeln, unterstützt
von grossem Talente, seine höchst schätzbaren, immer
sehr guten und häufig ausgezeichneten Bildnisse malt.
Sargent aber ist der himmelstürmende Titan, der alle
Regeln mit Füssen tritt und ohne nach rechts oder links
zu sehen den Weg des jenseits aller Regeln stehenden
Genies verfolgt. Zwischen diesen beiden Meistern, welche
in diesem Salon die entgegengesetzten Pole vertreten,
drängt sich der bunte Haufen der Porträtisten. Allen
voran der Präsident der Gesellschaft, der einst mit Recht
gefeierte und nicht ganz zu Unrecht mit Velasquez ver-
glichene Carolus Duran. Duran ist in den letzten Jahren
ganz unglaublich zurückgegangen, und sein diesjähriges
grosses Familienbildnis scheint diesen Verfall endgültig
zu besiegeln. Bisher konnte man ihn immer noch damit
entschuldigen, dass er für Geld und auf Bestellung viel-
leicht mit innerem Widerstreben Bildnisse von Leuten
malte, die ihm gleichgültig waren, so dass während der

Arbeit sein Herz anderswo weilte. Aber in diesem Jahre
hat er sich selber und seine zahlreiche Familie abgebildet,
also eine Arbeit, zu der ihn eigene Lust und Liebe trieb.
Und das Resultat ist kläglich. Diesen grossen Schinken
hätte irgend ein akademischer Dutzendmaler ebenso gut
oder ebenso schlecht malen können. Carolus Duran ist
tot für die Kunst. Gervex, dessen grosses offizielles Bild
schon erwähnt ist, hat ebenfalls mehrere, wenig erfreuliche
Bildnisse ausgestellt, und von dem Hersteller kolorierter
Photographien, Jose Frappa, der sich in der Welt der
reichen Besteller grosser Beliebtheit erfreut, kann man
nur sagen, dass der Kardinal Gibbons, der auf sein Bildnis
mit grossen Pinselstrichen »Bene fecisti« geschrieben hat,
im Reiche der Kunst ein Botokude ist. Picard benutzt
jedes seiner Bildnisse zur Schaffung einer duftigen und
anmutigen Farbenmusik und erzielt damit in diesem Jahre
höchst erfreuliche Wirkungen. Andere gute Bildnisse sind:
Der Deputierte Deuys Cochin von Besnard, Björnson von
Kroyer, Paul Adam und Charles Cottet von Jaques
Blanche, ein junges Mädchen rostrot in Grau und eine
Dame, grünes Kleid, roter Teppich, schwarzer Grund, von
| dem Schotten Austen Brown, der Maler Stückelberg von
dem Münchener Fritz Burger, elegante Pariserinnen, etwas
luftlos und blechern, aber famos in der Charakterisierung
der Modedame, von de la Gandara, eine norwegische
Bäuerin, an die virtuose Mache Zorn's erinnernd, von
Hagborg, ein kleines Mädchen in Weiss von dem Irländer
Lavery, ein ganz in englischer Art fein und vornehm be-
handeltes junges Mädchen in dunkler Gesellschaftstoilette
von Neven Du Mont, eine junge Dame ganz Weiss in
Weiss von Raffaelli, das feine, kluge und wirklich gelehrt
dreinschauende Fräulein Dr. Winterhalter von Ottilie Rö-
derstein und das sehr lebendige Bildnis einer jungen
Dame von Franz Kupka.

Ohne den Versuch einer in dieser Kürze unmöglichen
Klassifikation zu machen, nenne ich in bunter Reihe die
übrigen Gemälde, die sich in dieser Ausstellung meiner
besonderen Beachtung aufgedrängt haben. Whistler und
Carriere haben nur ihre Visitenkarten abgegeben, der eine
mit sechs seiner in grauen Nebel gehüllten Frauenköpfe,
der andere mit fünf kleinen und feinen Farbenstudien, die
er nach den beabsichtigten Farbenharmonien benennt.
Jean Veber verarbeitet mit köstlichem Humor aktuelle
Ereignisse, philosophische Gedanken und seltsame Märchen-
ideen. Der an die Karikatur streifende Charakter seiner
Arbeiten zieht den Laien am meisten an, der Verständige
aber wird von dem überaus interessanten Koloristen an-
gelockt, der in diesem Karikaturenzeichner steckt und ihn
zu einem der bemerkenswertesten Maler macht. Thaulow
ist mit sechs Bildern erschienen, wovon die Variante eines
bekannten Gemäldes, ein roter Ziegelbau an einem halb
gefrorenen Flusse, das schönste ist. Lucien Simon hat
drei ganz ausserordentlich schöne und kräftige Arbeiten:
die »Abendunterhaltung«, wo eine Gesellschaft von
Männern und Frauen um einen gedeckten Tisch am
offenen Fenster sitzen, die bei einer alten Dame kollek-
tierenden »barmherzigen Schwestern«, und einen famosen
»Bauernbaiii: aus der Bretagne. Sein geistiger Bruder
Charles Cottet ist mit mehreren charaktervollen bre-
tonischen Landschaften und einem »Kirchgang« erschienen,
auf dem die in unförmliche schwarze Kapuzenmäntel ge-
hüllten Frauen durch die melancholische Landschaft zu
dem kleinen Kirchlein wandern. Roll hätte schon bei den
Porträtisten und bei den Bildhauern genannt werden
müssen; seine Kinder in der hellen Sonne und seine beiden
Bronzebüsten, auf denen ebenfalls das Sonnenlicht zu
flimmern scheint, reihen sich den ähnlichen trefflichen
Arbeiten dieses Künstlers würdig an. Wie ein alter Holz-
 
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