Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0237

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
457

Nekrologe.

458

wird vom Verfasser in einer, wie mir scheint, überzeugenden
Weise dargelegt. Pesellino's erster Lehrer scheint Fra
Angelico gewesen zu sein — nicht sein Orossvater Giuliano
Pesello, obgleich gewisse koloristische und technische
Eigentümlichkeiten von dessen Kunst auf ihn übergegangen
sind. Sind! So positiv dürfen wir uns aber doch nicht aus-
drücken. Weisbach hält an der schon früher von ihm
aufgestellten Ansicht fest, in dem Meister des Carrand'schen
Triptychons sei Giuliano Pesello zu sehen. So sehr er
bemüht gewesen, diese Hypothese zu begründen und so
mancherlei für dieselbe spricht, so lassen sich doch auch
gewichtige Gründe gegen sie geltend machen. Giuliano
ward 1367 geboren. Er ist also noch in den Traditionen
der Schule Giotto's aufgewachsen. Wir sind genötigt,
uns den Stil der Werke seiner ersten Lebenshälfte in der
Art der späten Giottisten zu denken, vielleicht in einer
Entwickelung nach der Seite hin, die wir aus den Bildern
der Übergangsmeister, der Zeitgenossen Lorenzo Monaco's,
kennen. Wären die Bilder von der Art des Carrand'schen
Triptychons ihm zuzuschreiben, dann müsste er in späten
Lebensjahren, frühestens in den dreissiger Jahren des
15. Jahrhunderts, sich gänzlich von der älteren Manier los-
gesagt und zu der neuen naturalistischen Schule sich be-
kannt haben, derart, dass er, wie Witting richtig bemerkt
hat, in seinen Bestrebungen Piero della Francesca sich
vergleichen lässt (Bilder in der Casa Buonarroti). Das wäre
nun zwar nicht undenkbar — Pesello hat bis 1447 gelebt,
— aber es bleibt sehr unwahrscheinlich. Wir haben für
Stilwandlungen von so einschneidendem Charakter kein
Analogon in der Kunst der Zeit. Dass Pesellino jene
Werke gekannt hat, muss man aber wohl annehmen und
kann deren später Datierung durch Schmarsow nicht zu-
stimmen, wie auch nach meiner Meinung Weisbach aus
ihrer Reihe das interessante Karlsruher Bild, das sich
seinem koloristischen Charakter, aber auch den Typen nach
von ihnen wesentlich unterscheidet, mit Recht gestrichen hat.

Bleibt die Kunst Giuliano's noch in Dunkel gehüllt,
so ist der frühe Zusammenhang Pesellino's mit Fra Gio-
vanni unzweifelhaft. Weisbach lässt ihn sogar des letzteren
Mitarbeiter sein. Zwei Predellen zu Angelico's Bild für
S. Marco (1438): die Scenen aus der Legende der Heiligen
Cosmas und Damianus in der Florentiner Akademie, so-
wie das Predellenstück zum Altar von S. Domencio in
Perugia (vom Perfasser mit Wingenroth in die Jahre 1437,
1438 verlegt): Totenklage um den heiligen Nikolaus, hält
er für Jugendarbeiten Francesco's. Die Beweisführung
bringt Beachtenswertes, hat sich aber nicht überzeugt.
Entscheidend jedoch für die Erkenntnis des Verhältnisses
der Pesellino'schen Kunst zu der des Mönches von S. Marco
sind die Sylvesterlegenden im Palazzo Doria, die Weisbach
gewiss richtig als frühe Arbeiten unseres Künstlers kenn-
zeichnet. Früher als sie noch möchte er das »Wunder
des heiligen Zenobius« bei Rudolf Kann ansetzen. Aber
ist es auch sicher von Pesellino und nicht, wie man bisher
angenommen, von Gozzoli, mit dessen Predella in der
Casa Alessandri es ja in einem direkten kompositioneilen
Zusammenhang steht? Ich kenne es nicht aus eigener An-
schauung, aber die Einzelheiten, namentlich die für Benozzo so
charakteristischen, in den Werken Francesco's uns nicht be-
gegnenden Handbewegungen (man vergleiche unter anderen
die gespreizte Hand der einen Frau mit der »Vergognosa« in
Pisa), scheinen mir doch für Benozzo zu sprechen, auch
vermag ich Weisbach nicht zu folgen, wenn er die Raum-
wirkung des Platzes bedeutender als auf dem Bilde der
Casa Alessandri findet: mir scheint es umgekehrt!

Eine Zeit ausgebildeteren Stiles macht sich, verglichen
mit den Bildern des Palazzo Doria, in dem merkwürdig
naturalistischen, lebendigen Madonnenbilde der Sammlung

in Chantilly bemerkbar. Hier verrät sich neben dem Einfluss
Fra Filippo's besonders stark das Studium derMasaccio'schen
Kunst, vielleicht auch von plastischen Werken. Der gleichen
Periode (den vierziger Jahren) weist der Verfasser die
Predellen zu Fra Filippo's Altarbild der Capella Medici,
die in der Florentiner Akademie und im Louvre aufbewahrt
werden, die herrlichen Triumphdarstellungen im Besitze
der Mrs. Gardener in Boston, und eine Zeichnung des
Presepe im Louvre zu. Eine dritte Gruppe endlich bilden
die Werke, welche den massgebenden Einfluss Lippi's er-
kennen lassen: die Madonnenbildchen der Sammlungen
Holford in London und Hainauer in Berlin, die Verkün-
digung im Museo Poldi, die Gerichtsscene der Sammlung
Morelli in Bergamo, die Truhenbilder mit den Tugenden
und freien Künsten bei Herrn Wittgenstein in Wien (wäre
dies nach seinen stark an Angelico erinnernden Elementen
nicht früher anzusetzen?) und eine Zeichnung der Uffizien:
Vermählung der heiligen Katharina. Als direkten Mit-
arbeiter Fra Filippo's glaubt Weisbach Pesellino in der
Hieronymusdarstellung der Altenburger Galerie zu erkennen;
er findet seine Art in der vorderen Figur. — Den Ab-
schluss von des Künstlers Thätigkeit bildet, dessen volle
Selbständigkeit und Meisterschaft auch in dem viel weiter
entwickelten Landschaftlichen verratend, das Cassonebild
mit Scenen aus der Geschichte David's bei Lord Wantage.
— In dem Bilde der Dreieinigkeit in der Londoner National-
galerie hat nach des Verfassers Meinung der Meister nur
die Landschaft ausgeführt, alles übrige, wie auch die Pre-
dellen in Pistoja (Cav. Gelli) rühren von Piero di Lorenzo,
nicht, wie Mary Logan will, von einem dritten Schüler:
dem compagno di Pesellino her, und diesem Piero werden
weiter die Geburt Christi im Louvre (Nr. 1343), die drei
Predellen in Prato, ein fliegender Engel bei Lady Brown-
low,eineTeufelsdarstellungbei Graf Lanskoronski, Madonnen-
bilder im Louvre, in Pest, in der Sammlung Gustave Drey-
fuss, bei Stefano Bardini zuerteilt. Einige andere Bilder
dürfen wenigstens als dem Piero verwandt bezeichnet
werden. Sie anzuführen, und zugleich die Bestimmungen
Mary Logan's mit denen Weisbach's zu vergleichen, würde
zu weit führen. Es genüge, zum Schluss noch auf den
von Pesellino beeinflussten Künstler hinzuweisen, der
Cassonemalereien ausgeführt hat: dieSchlachtendarstelluhgen
bei Mr. Charles Butler, die Schlacht in der Galerie von
Turin, die Scenen aus der römischen Geschichte in der
Universitätsgalerie zu Oxford, die Argonautensagen der
Versteigerung Bardini 1899 und den Odysseuscassone in
Liverpool. Dieser Maler ist von einem anderen, Pesellino
näher stehenden, der die Geschichte der Griseldis (Ber-
gamo, Morelli) ausgeführt hat, zu unterscheiden.

Alle Werke, die hier nur aufgezählt werden konnten, er-
fahren von Weisbach eine liebevoll eingehende Schilderung
und Würdigung. Mag man, was die Zurückführung auf
Pesellino anbetrifft, in einzelnen Fällen anderer Meinung
sein, so kann dies die Auffassung des Verdienstes, welches
sich der Verfasser mit seinem Werke erworben hat, nicht
beeinträchtigen, denn das Wesentliche: die Charakeristik
des Künstlers und seiner Stellung in der Florentinischen
Kunst muss als wohl gelungen betrachtet werden. Und
wie wir sahen, gab Weisbach mehr als dies, nämlich eine
anregende und verheissungsvolle Einführung in jenes kultur-
geschichtlich höchst bedeutungsvolle Bereich der Renais-
sance, in welchem die dichterische Phantasie, die Kunst
und das Leben bestimmend, die Herrschaft führt.

Henry Thode.

NEKROLOGE
Der am 11. Juni erfolgte Tod von Otto Eckmann be-
deutet für das moderne deutsche Kunstgewerbe den Verlust
 
Annotationen