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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0055

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Literatur

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einen gewaltigen Bogen — erklärt Cust aus der Forderung
der Auftraggeber, die er unter den holländischen Schützen-
gilden sucht. Einen hl. Sebastian von A. Moro bewahrte
nach einem alten Inventar von 1621 die Kaiserliche Samm-
lung in Prag. Vielleicht ist das neu aufgetauchte Gemälde,
das sich in der Sammlung Lesser in London befindet, da-
mit identisch.

Ein unbekanntes Jugendwerk von Velazquez ver-
öffentlicht Aug. L. Mayer in Heft 20 des »Cicerone«. Das
lebensgroße Brustbild eines jungen Geistlichen im Besitz
des Marques de la Vega-Inclän in Madrid zeigt in der
Neigung zu übertrieben starker Plastik und in der Art der
Farbengebung den Stil der Madrider Periode zwischen 1623
und 1629. Das Gemälde ist nicht signiert und auch über
die Persönlichkeit des Dargestellten läßt sich nichts Be-
stimmtes sagen. Von den Velazquezkennern hält u. a. auch
D. Aureliano de Beruete das Bild für eine eigenhändige
Arbeit des Meisters. _ n.

Das Totentanzproblem. Die Lösung des für die
Kunstgeschichte wichtigen Problems ist von der kunsthisto-
rischen Forschung bereits öfters versucht worden, bis jetzt
noch ohne Erfolg. Der neuerdings von K- Künstle gemachte
Versuch, die alte Theorie der Herleitung des Totentanzes
aus der Legende der drei Lebenden und der drei Toten
wieder zur Geltung zu bringen, hält einer kritischen Prü-
fung in keiner Weise stand. Ich habe bereits an anderer
Stelle (Literarische Rundschau 1910, Juliheft) bei Gelegen-
heit einer Besprechung des Künstleschen Buches über »die
Legende der drei Lebenden und der drei Toten und der
Totentanz« die Haltlosigkeit der Argumente K.'s angedeutet
und gleichzeitig auf ein Gedicht hingewiesen, das für die
Entwicklungsgeschichte der Totentänze von entscheidender
Bedeutung ist: das »Vado mori«, das die Differenzierung
der verschiedenen Stände in Verbindung mit dem Todes-
gedanken bereits im 12. Jahrhundert ausgeprägt zeigt. Ich
freue mich, auf eine Abhandlung hinweisen zu können,
die auf Grund rein philologischer und textkritischer Beweis-
führung zu den gleichen Resultaten gekommen ist. Dr.
W. Fehse, der die Totentanzforschung bereits durch zwei
gründliche Arbeiten gefördert hat, weist in der Zeitschrift
für deutsche Philologie XLII, p. 278 ff. die Ansicht Künstles
mit neuen Gründen zurück, und kommt zu einer ähnlichen
Einschätzung des erwärmten mittellateinischen Gedichtes
wie ich. Er sieht in ihm einen ersten Keim der Toten-
tänze, aus dem sich dann der älteste lateinische Totentanz-
text (Codex palat. 314 f. 79—80) entwickelt hat. Auch
im übrigen weist er den Entwicklungsgang der literarischen
Totentänze in durchaus einleuchtender und scharfsinniger
Weise nach, so daß die kunsthistorische Forschung auf
Grund der Ergebnisse seiner Arbeit weiter arbeiten kann
an der endgültigen Lösung des Problems. Dr. w. F. st.

LITERATUR
Ein neuer Führer durch Klingers Griffelwerk1).

Bisher gehörte Max Klingers Radierwerk zu den Laby-
rinthen, in deren Ingängen sich wenige Kenner und Lieb-
haber zurechtfinden konnten. Jetzt bietet Singer in einem
handlichen Buch von 170 Quartseiten dem Sammler und
dem Forscher ein bequemes Nachschlagebuch von erstaun-
licher Inhaltsfülle, ein Werk geduldigsten Fleißes, das durch
alle Phasen der Entwicklung des Meisters hindurch ge-
leitet und in den angehängten 69 Lichtdrucktafeln überdies
ein reiches Vergleichsmaterial an die Hand gibt.

l) Max Klingers Radierungen, Stiche und Steindrucke.
Wissenschaftliches Verzeichnis von Hans Wolfgang Singer.
Berlin 1909. Amsler und Ruthardt.

Die Einleitung berichtet von den ersten, bis 1892 zurück-
reichenden Vorarbeiten des Verfassers und äußert die Ge-
nugtuung, daß durch die Verzögerung des Erscheinens das
Verzeichnis sich in die Breite und Tiefe auswachsen konnte.
Wird man aber schon behaupten dürfen, daß jetzt das Ende
gekommen und »des Meisters graphische Tätigkeit im
Wesentlichen abgeschlossen sei«, da er eben erst neue
Beweise jugendfrischer Schaffenslust aus seiner Werkstatt
hervorgehen ließ? Trotzdem wird niemand die Herausgabe
des Buches als vorzeitig tadeln wollen. Für das Verständ-
nis der Ideen des Meisters enthält es einen willkommenen
Schatz neuer positiver Angaben, die zum Teil den auto-
graphischen Beischriften der Probedrucke entnommen sind,
gelegentlich auch auf mündliche Äußerungen Klingers zu-
rückgehen. Es eröffnet einen merkwürdigen Einblick in
das Heiligtum seiner Phantasie, wenn er einmal bekannt
hat, die schönste Zeit am Tage sei ihm der Morgen zwischen
Schlafen und Wachen. Da kämen ihm seine Bilder und Ge-
danken. Da erschienen wohl seinem geistigen Auge ein-
zelne künstlerische Motive und Kompositionen mit einer
bis an die Halluzination grenzenden Schärfe, so daß er sie
nachträglich nur aufs Papier zu werfen brauche. Diese
Klarheit des künstlerischen Bildes, die immer für sich ein
abgerundetes Ganze gibt, in dem das Einzelne aufs Sorg-
fältigste, oft mit wiederholtem Nachbessern, abgewogen
ist, deckt sich freilich nicht mit dem nachträglichen Zu-
sammenschließen von Blätterfolgen zu Zyklen, die einem
gemeinsamen, in Titel und Unterschrift ausgesprochenen
Gedanken untergeordnet werden. Klingers bewegliche Ein-
bildungskraft knüpft gern mitten im Schaffen eine Vor-
stellung an die andere und spinnt aufschießende Gedanken
zu neuen Bildern aus. Die Ideen und Vorstellungen ver-
ändern sich während der Ausführung, wovon die verworfenen
Platten soviel verraten, und oft ist der Zusammenhang einer
ganzen Folge nur mit lockeren Fäden aneinander gebunden.
Liegt zwischen der Herstellung der ersten und letzten Blätter
eines Zyklus ein weiter zeitlicher Abstand, so ist der Griffel-
dichter Klinger vor den kühnsten Sprüngen seiner Phanta-
sie und vor Entgleisungen nicht sicher. Darf hier die
Schwierigkeit des Verstehens und Nachempfindens durch
rein sachliche Interpretation überwunden werden? Davor
warnen nicht bloß die neueren Deutungsversuche der »Ra-
dierten Skizzen«, der »Intermezzi« und viele geistreiche
Einfälle, die bereits zu Stichwörtern geworden sind, sondern
vor allem auch die Epithalamia, welche — ich rede auf
Grund mündlicher Erklärungen des Künstlers — nach dem
puren Augenschein und nach schulmäßiger Methode nicht
gedeutet werden dürfen.

Trotzdem hat jeder künstlerisch empfindende Betrach-
ter Klingerscher Schöpfungen ein persönliches Recht, sich
von dem durch das Auge vermittelten Eindruck zu Ge-
danken anregen zu lassen, Ideen zu suchen und sie zu
Rufnamen zu verdichten. Wenn sie so allgemein gehalten
sind, wie die Benennung »Drama« der Dresdener Gruppe,
sind sie unschädlich, weil sie nicht irreführen. Solche Eti-
ketten brauchte schon das klassische Altertum und Singer
hat Recht getan, die geläufigsten festzuhalten. Er durfte
sich auch sonst berechtigt fühlen, in den Erklärungen und
Benennungen der Blätter seinem oder anderer subjektiven
Empfinden Ausdruck zu geben. Man wird in seinem Buche
häufig, namentlich in der Auslegung der Blätter »Vom
Tode II«, selbständige Auffassungen finden und darum auch
anderer Meinung sein dürfen. Wenn der Meister auf seine
Eingebungen das Dichterwort anwenden kann: das Unbe-
schreibliche hier ist's getan, so sollte eigentlich das blöde
Wort zurückgehalten werden. Aber Klinger selbst reizt
immer wieder, sich mit seinen Werken zu unterhalten und
die Geheimnisse zu befragen, die sein Griffel in Linien
 
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