Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

DOI issue:
1./2. Septemberheft
DOI article:
Paul, Adolf: Edvard Munch und die Frauen
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0014

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Erschließung' er aber unentwegt brütete, um sie zum
Gemeingut einer ganzen Welt zu machen.

So tauchte Munch zum ersten Mal in meinem
Leben auf.

Wo er hinkam zog er die Blicke auf sich — beson-
ders die der Frauen. Er blieb nicht davon unberührt,
schien es aber kaum zu beachten und machte es ihnen so
nicht leicht, ihn aus der Einsamkeit seines Seelenlebens
herauszulocken.

Umsomehr wurde ihre Neugier gereizt. Und die
Neugier ist ja, besonders in der Erotik, eine der stärk-
sten Triebkräfte. Mochten sie aber liebäugeln, mochten
sie so effektvoll wie nur möglich ihre jeweiligen
„Lebensrätsel“ zur Schau stellen, wie entzückend sie
auch zu plaudern verstanden, er hörte kaum hin. Was
sie sagten war ihm egal; der Klang der Stimme, das
Urweltliche, das hinter den Worten sich verbarg, das
war ihm Hauptsache, — dafür war er hellhörig.

Ein plötzliches Aufhorchen, ein halb ironisches
Lächeln. Und dann warf er ein Wort ins Gespräch,
machte eine kurze, sarkastische Bemerkung, die ins
Schwarze traf und die damit Bedachte dazu brachte,
zur Abwehr noch mehr aus sich herauszugehen. Seine
Augen, die stets jenseits von allem Geschehen auf der
Suche waren, blitzten auf, hatten Raub gefunden. Der
schaffende Künstler war erwacht, griff zu und machte
Beute. Und im Handumdrehen war dann das so inner-
lich Erschaute errafft und in Formen und Farben
gebannt.

Seine Frauenbildnisse haben daher jenes undefinier-
bare Etwas an sich, das diesem intensiven, inneren
Schauen entspringt, gleichviel ob das „Modell“ ihm saß,
oder ob er es als einfacher Exponent seiner seelischen
Impression aus der Erinnerung malte, und tragen so
alle dazu bei, uns das tiefste Geheimnis des Lebens, das
Mysterium „Weib“ zu erschließen.

In seinem Meisterwerk, das „kranke Mädchen“, das
er in seiner Jugend malte, steht er noch jenem Myste-
rium auf der Schwelle der Erkenntnis, sozusagen als
reiner Tor gegenüber. Ergreifend gibt er da das junge,
kaum Weib gewordene Geschöpf, wie es schon in der
Knospe vom Hauch des Todes berührt wurde. Ster-
bend blickt sie durchs Fenster ihres Krankenzimmers
in den draußen blühenden Frühling hinein, als suche
sie da die Gewißheit, im neuen Leben, drüben, die Ent-
faltung zu finden, die ihr hienieden versagt wurde.

Am häufigsten schildert Munch die Frau als Gefahr,
als Schicksalsbringerin des Mannes, wie sie — als
„Vampyr“, küssend, das Rückenmark des Mannes aus-
saugt, oder als gleißnerische Schlange, als „Aspasia“,
ihren Blutdurst hinter verführerischem Lächeln ver-
birgt. Die Frau als Raubtier küßt, bei Munch, gar dem
Knochenmann den letzten Rest seiner Männlichkeit ab,
oder thront, als sieghafte Verächterin, schiefmäulig
grinsend, hoch über dem sie umschwirrenden männ-
lichen Gewürm, das mit hunderten von Händen, gierig
nach ihrem Weibtum greift.

Dies als Beispiele seiner damaligen Kampfbilder.

Tiefstes Mitempfinden führte dagegen seine Hand
bei seinem, von ihm oft wiederholten Bilde „Madonna“,
auf dem er die Frau im Augenblick der Hingabe dar-
stellt, wie sie ganz in dem seeligen Gefühl versinkt,
Ewiges empfangen und weitergeben zu dürfen.
Nirgendwo greift er tiefer als in dieser, in ihrer Ein-
fachheit packenden Enthüllung des schicksalhaft
Ureiementaren der Frauenseele.

Wenn auch manchmal leiser Hohn aus seinen
Frauenbildern spricht, wie z. B. in der Radierung
„Badende Frauen“, auf der eine Frau, am Strande, sich
zaghaft überlegt, ob sie den Sprung in die Fluten des
Lebens wagen soll, in denen eine andere bereits sicher
davonschwimmt, so gibt sich Munch niemals als haß-
erfüllter Verächter, weit eher als ein Verehrer der
holden Weiblichkeit. Mit liebenswürdiger Ironie stellt
er sich mitunter gar als Verliebter dar, in leicht hin-
geworfenen Selbstkarikaturen in seinen Briefen, ent-
weder wie er, von Amors Pfeilen getroffen, entzückt
den Duft der Lebensblume einatmet, oder, resigniert,
den Strick um den Hals, das Los des unglücklichen
Liebhabers hinnimmt. Ein geduldig Leidender war er,
in dieser Hinsicht, wohl aber trotzdem weder in seiner
Kunst, noch im Leben.

So kam er z. B. eines Tages nach Berlin zurück,
mit einem verkürzten Mittelfinger der linken Hand, die
Narbe, nach der Operation, von einem breiten silbernen
Ring verdeckt. Man hatte, sagte er, ihm in der Hei-
mat eine Falle gestellt, um ihm ein Eheversprechen ab-
zulisten, und da ging’s nicht ohne Revolver und Ver-
wundung ab.

In seinen meisten Frauenbildnissen ist er, wie schon
gesagt, vor allem der Kämpfer gegen alles, was ihn in
seiner Entfaltung als Mensch und Künstler behindern
und unfrei machen könnte. Junggeselle im Leben, blieb
er’s auch in der Kunst. Die Kunst wurde ihm alleinige
Gattin und Begleiterin. Und daher kommt es wohl, daß
uns in seiner Produktion keine der landläufigen Madon-
nen — keine von denen mit dem „Mutterglück“ —
begegnet.

Eine hat er sich wohl geleistet. Aber bei ihr
scheint jenes „Glück“ mehr Pech zu sein. Ein alt-
jüngferliches Geschöpf starrt auf diesem, meisterhaft
gemalten Bilde, erschreckt das Neugeborene in ihrem
Schoß an und scheint sich zu fragen: „Wie komme ich
zu dem Bälg?“

Mit Stimmungswerten und Seelcnproblemen wohl-
gerüstet, wenn auch die meisten von ihnen noch als
Embryos im Schoße seiner Phantasie schlummerten,
trat er also Anfang der neunziger Jahre in Berlin an,
um sich gleich eine geräuschvolle Niederlage zu holen,
aber eine, die den endgültigen Sieg in sich barg.

Es erübrigt sich hier die Geschichte seiner ersten
Ausstellung in Berlin zu wiederholen und der schnöden
Behandlung, die ihm, als Gast des „Vereins Berliner
Künstler“, durch die vorzeitige Schließung seiner Aus-
stellung wurde. Sie ist sattsam bekannt. Jenes Erleb-
nis aber, das seinen Namen bekannt machte, wurde für
ihn entscheidend. Es machte ihm Berlin zum Haupt-

4
 
Annotationen