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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Novemberheft
DOI Artikel:
Dresdner, Albert: Dänische Kunst im jüngsten halben Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0093

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Es ist nicht belanglos, daß Zahrtmann, der im Jahre
1843 geboren ist, älter war als Aneher und Kröyer (geb.
1849 und 1851): er stand der älteren dänischen Schule
näher. Das tiefempfundene Bildnis seiner Mutter von
1868 gehört noch ganz in ihren Stil, und die „Zwei Stu-
denten in dem alten Studentenverein“ (1882) weisen
etwa auf Wilhelm Marstrand zurück. Seine nahe Ver-
bindung mit der Tradition bekundet sich auch darin, daß
er sich zur Geschichtsmalerei hielt, einer Gattung, die in
Dänemark Marstrand und Carl Bloch vertreten
hatten, die aber im Zeitalter des Freiluftnaturalismus
sicherlich nicht eben „zeitgemäß“ war. Lr wählte sich
für seine Historienbilder eine Heldin: Leonora Christina,
jene Tochter Christians IV., die grausamer Verfolgung
heldenmütig standgehalten hat; ihre „Jammersminde“
zählt zu den großen, menschlichen Dokumenten der däni-
schen Literatur. Das Geschichtsbild läuft ja immer Ge-
fahr zur arrangierten Theaterszene oder zur Anekdote
herabzusinken, und dieser Gefahr ist auch Zahrtmann in
einem Werke, wie „Sigbrit geht mit Christian 11. die Zoll-
rechnungen durch“ (1873) nicht entgangen — es steht
noch ganz auf der Linie Blochs. Wenn er aber seine
Leonora Christina in den verschiedensten Lagen und
Stadien ihres Leidens schildert, dann ist es doch,
menschlich betrachtet, immer nur ein Motiv, das er in
mannigfachen Variationen behandelt: wie ein Mensch
von eingeborener Würde und Hoheit sich gegen die Ge-
meinheit seiner Umgebung und gegen die ungerecht-
fertigte Härte des Schicksals behauptet; und das ist es,
was dem Pathos dieser Bilder Ueberzeugungskraft
und Resonanz sichert. Ihre malerische Haltung
wird zu großem Teile durch Zahrtmanns ganz persön-
liches Verhältnis zur Farbe bestimmt: sie dient ihm nicht
nur zur Beschreibung, sondern er verwendet sie (um
modern zu sprechen) als Ausdruck, zur Deutung des
Bildgehaltes. Ls ist fesselnd zu beobachten, wie er sich
nach und nach über diese Aufgabe klarer geworden ist:
meisterlich hat er sie in den beiden, den achtziger Jah-
ren entstammenden und gegenwärtig im Kopenhagener
Museum nebeneinander ausgestellten Bildern gelöst, in
denen er den Tod der Königin Sofie Amalie, der erbitter-
ten Feindin Leonora Christinens, dargestellt hat: hier
dient die gleißende Farbenpracht in der Kleidung der
Königin und in ihrer prunkvollen Umgebung dazu, die
Jämmerlichkeit des vom Schlage des Todes getroffenen
Geschöpfes mit höchster Pathetik herauszutreiben. Der
schwere Reichtum und der rauschende Klang der Farbe,
die Zahrtmann liebt, ist in der dänischen Malerei etwas
Neues, und er ist stets als einer ihrer großen Koloristen
anerkannt worden; aber darüber darf sein starkes und
sehr unmittelbares Gefühl für das Plastische nicht über-
sehen werden. Die Plastik des Raumes bringt er in einer
zuweilen fast raffinierten Weise heraus, aber auch an
allen Einzelerscheinungen strebt er danach, die Körper-
haftigkeit bis zum Aeußersten zu verwirklichen. Die
Schürzenfalten der „Lovisa aus Saracinesca“ (1877) sind
greifbar, und in manchen Fällen ist der Illusionismus der
plastischen Form so weit getrieben, daß man fast in
Zweifel gerät, ob er nur durch malerische Mittel erreicht

ist; dann macht sich wohl ein Mangel an Gleichgewicht
zwischen dem Detail und der Gesamtwirkung fühlbar.
Man versteht es, daß es einen Künstler von dieser Art
nach dem Süden zog; und daß Zahrtmann sich nicht nach
Paris, sondern immer wieder nach Italien und Griechen-
land gewandt hat, wohin ihm seine Schüler folgten, das
ist für die weitere Entwicklung der dänischen (und auch
der norwegischen) Malerei von Bedeutung geworden.
Was er in Italien suchte, das war nicht etwa die alte
Malerei, die in Zahrtmanns Werk keinen Niederschlag
hinterlassen hat, sondern es war die Natur und das
Volksleben des Südens; auch hierin schließt er sich übri-
gens wieder einer nationalen Ueberlieferung, der der
Eckenbergschule, an. Hier ist er nun in seiner Weise
zum Naturalisten geworden: er malt die Leute von
Civitä d’Antino am Palmsonntag (1883) im grellen
Lichte des Südens und mit einer Unerbittlichkeit und
Energie der plastischen Form, in der alle Erinnerung an
Nebel und Zwielicht des Nordens ausgelöscht ist. Wo-
hin ihn schließlich seine Entwicklung geführt hat, das
veranschaulichen zwei Bilder. „Hiob und seine Freunde“
von 1887 ist ein Vorstoß ins Monumentale: in der Be-
leuchtung südlicher Abendsonne sind vier nackte Gestal-
ten mit strenger Bildarchitektonik aufgebaut; es mag
sein, daß griechische Plastik nicht ohne Einfluß auf dies
Werk gewesen ist. Dagegen ist das „Pontifikalamt im
Dome zu Siena“ (1897) wieder ganz auf den farbigen
Ausdruck gestellt: zwei einander antwortende, auf feu-
riges Rot abgestimmte Gruppen um den Erzbischofssitz
und am Hochaltar beherrschen das Bild und symbolisie-
ren den Vorgang, während die breite Masse der knie-
enden Andächtigen in einem Halbschatten herabgedrückt
und durch ihn zusammengehalten wird. Ein Kolorist und
ein Plastiker lebten in Zahrtmann; sie haben sich nicht
immer ganz miteinander vertragen; der Kolorist war am
ehesten im nordischen Barock zu Hause, den Plastiker
zog es zur strengen Form des Südens; beide aber band
der unbeugsame Wille des Mannes zur Klarheit und Ent-
schiedenheit der Form, und die Unabhängigkeit, mit der
Zahrtmann aus dem Kerne seiner Persönlichkeit seine
Kunst entwickelt hat, erweckt hohe Achtung und Be-
wunderung.

Sowohl Kröyer wie Zahrtmann haben eine weit-
greifende Lehrtätigkeit entwickelt, aber die Zahrtmann-
schule gewann das Uebergewicht, und es haben selbst
manche Schüler Kröyers zu ihr hinüber gewechselt.
Zahrtmann werden hervorragende Eigenschaften als
Lehrer nachgerühmt, und es wird besonders betont, daß
er danach gestrebt und es verstanden habe, das Indivi-
duelle im Talente seiner Schüler zu entdecken und zu
fördern. Dafür spricht, daß es wohl Zahrtmannschüler,
aber nicht eine eigentliche Zahrtmannschule gibt: seine
Zöglinge sind alle mehr oder weniger ihre eigenen Wege
gegangen.

Zu Kröyers Schülern zählte der zu früh verstorbene
Albert Gottschalk (1866—1906). Er war Landschafter,
hielt sich an seeländische Motive und beschränkte sich
meist auf kleinere Formate, die er glücklich zu füllen ver-
stand. Es gibt in seinen Bildern keine leeren Stellen,

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