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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Maiheft
DOI article:
Loewental, Artur Imanuel: Stunden und Tage um Einstein: wie ich ihn modellierte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0338

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und so müß’ mer ihm doch ein paar Tag’ zum Ver-
schnaufe gebe. Ich möchte also so lieb sein und in ca.
10 Tagen wieder anfragen, gelt?!“ Nach zehntägiger
Wartezeit wurde aber wirklich der so heißerwartete
Termin zum Anfängen festgesetzt und er fiel auf einen
Dienstag, meinen erklärten Glückstag. Ich sollte aber
nicht vergessen, das Auftragsschreiben mitzubringen,
wurde mir gesagt! Um 10 Uhr sollte ich antreten und
so kam ich vorsichtshalber schon um 3/4l0, denn man
kann ja nie wissen! Der Herr Professor sei noch beim
Frühstück, wurde mir gesagt, und ich möchte also war-
ten. Die Tür des Zimmers nach der Diele zu war offen
geblieben und durch sie sah ich nach einer Weile des
Wartens zu meinem Erstaunen Prof. Einstein — er war
es unweigerlich nach den Bildern, die ich schon von ihm
gesehen — ohne jeglichen Nimbus, höchst natürlich im
blauweißen Bademantel und Badepantoffeln, sich ge-
mütlich eins pfeifend, vorbeischreiten.

Der Anblick wirkte so unendlich beruhigend auf
mich, daß jede Spur von Lampenfieber verschwand.
Ein Weilchen später kam er, nur mit einer Art Sweater
und weiten grauen Hosen bekleidet, herein, reichte mir
freundlich lächelnd die 1 land und forderte mich auf,
ihm über die Treppe hinauf nach seinem Studierzimmer
im Turm zu folgen. An der Tür begegneten wir einem
Herrn, der sich als der wissenschaftliche Mitarbeiter
Einsteins, Dozent Dr. Mayer, entpuppte. Aus dem Klang
der paar gefallenen Worte erkannte ich zu meiner
Freude sofort den Landsmann und dies verstärkte noch
mehr das Gefühl der Zuversicht. So erkletterten wir zu
dritt die Treppe zum Studio. Wie erstaunte ich, als ich
statt des von mir erwarteten würdigen und eindrucks-
vollen Gelehrtenraumes eine kleine unscheinbare Dach-
kammer vor mir sah.

An dem einzigen ziemlich kleinen Fenster stand auf
einem kleinen niederen Podium ein mit Schriften be-
deckter Tisch, davor ein Fauteuil, auf dem Einstein Platz
nahm. Sein Mitarbeiter setzte sich ihm gegenüber
und ich konnte mich auf einem anderen Stühlchen so
plazieren, daß ich den großen Gelehrten im Profil vor
mir hatte. Darauf begann ganz unvermittelt zwischen
Prof. Einstein und Dr. Mayer eine so lebhafte Diskussion,
daß ich gar bald die beruhigende Gewißheit hatte, für
Beide so gut wie nicht vorhanden zu sein. In dieser
Gewißheit, wie unter einer Tarnkappe geborgen, konnte
ich mich von meiner Ecke aus ganz einem intensiven
Studium von Einsteins Profil hingeben. Ganz so leicht
war dies allerdings nicht, denn die Lichtverhältnisse in
dem kleinen Dachstübchen erwiesen sich als sehr mäßig,
wohl hob sich die Kontur leidlich gut gegen die Fenster-
gardine ab, doch lag die mir zugekehrte Gesichtshälfte
dafür fast ganz im Schatten. Kritisch aber wurde für
mich die Situation, wenn die beiden Gelehrten die
Köpfe zusammensteckten, um gemeinsam irgend eine
Berechnung durchzuprüfen. Dann hatte ich so recht
Gelegenheit, das Phänomen einer Sonnenfinsternis zu
studieren. Es schob sich dann nämlich die noch dunk-
lere Profilscheibe von Dr. Mayers Kopf vor die Prof.
Einsteins; das Ganze neckisch umtanzt von Einsteins

wirrem Haar und den einfallenden Lichtstrahlen. Durch
dieses sonst sicher sehr interessante Phänomen in mei-
nem Arbeitsimpetus gebremst, vernahm mein verblüff-
tes Ohr bisher nie gehörte, aus einer anderen Ebene
stammende Wortgebilde. „Raumbeine“ wurden ge-
schwungen, „Vcctoren“ wurden gedreht, p-, v, t, c,
fast das ganze griechische Alphabet flogen über den
Horizont, Coovarianten und Contervarianten phos-
phoreszierten auf und Bogen auf Bogen, mit mystischen
Zeichen bedeckt, entflogen den Händen der beiden
Magier.

Vor meinem bedrücktem Nicht-Mathematiker-Hirn
aber erschien Dantes Höllenüberschrift „Lasciate ogni
speranza voi ch’entrate“. Aber jede Sonnenfinsternis
geht schließlich vorüber. Die Köpfe glitten wieder von-
einander und ich konnte erneut versuchen, Einsteins
Profillinie auf meine Tafel zu bannen. Je mehr ich mich
in meine Aufgabe vertiefte, desto mehr mußte ich über
die geradezu proteusartigen Verwandlungen dieses
Kopfes erstaunen. War jetzt eben noch im Eifer der
Berechnungen Stirn und Augenbrauen heftig gerunzelt
und die Mundwinkel scharf eingezogen, kurz der ganze
Kopf wie zusammengeballt, so trat im nächsten Moment
der Ausdruck der Weltentrücktheit, des visionären
Schauens in weltenferne Räume auf diese Züge. Die
Stirne wölbte sich höher, die Augenbrauenbogen zogen
sich hoch empor, die Lippen öffneten sich leicht, die
Wangen wurden hager und das Licht der Augen zog sich
tief nach innen. Minuten zogen wie Ewigkeiten vorbei.

Dann trat eine neue Wandlung ein. Der Augapfel
begann sich vorzuwölben, das Licht kehrte darin wie-
der, um grenzenloses Erstaunen widerzustrahlen.
Wangen und Lippen rundeten sich wieder, die Hand
zuckte zur Oberlippe, um an den Schnurrbarthaaren zu
zupfen. Dann kam ganz von innen heraus ein gutturales
Kinderlachen, ho, ho, ho das ist ja großartig! Die Hand
klatschte auf den Oberschenkel: „Wirklich und wahr-
haftig, es stimmt, es muß stimmen.“ Wie ein Kind, das
nach einem im Licht flatternden Schmetterling gehascht
hat und die Faust erstaunt kaum öffnete, um zu sehen,
daß es ihn wirklich gefangen hat. So flog die Zeit wie
im Fluge dahin, ohne daß ich sie wahrnahm, und ich
hatte vor lauter Schauen und Staunen gerade erst die
Umrißlinie des Kopfes festgelegt, als es klopfte und ein
Chauffeur eines Bekannten Prof. Einstein abberief. Ich
hatte in der Eile und Bestürzung nicht zu fragen gewagt,
ob und wann ich wiederkommen dürfe, da traf ich, als
ich in die Wohnung hinunterkam, Frau Prof. Einstein an,
die mir zu meiner großen Freude erklärte, daß ich ruhig
am nächsten Tag wiederkommen könne.

Am anderen Morgen fand ich Prof. Einstein bereits
in seinem Studio. Er war eben mit seiner Sekretärin da-
mit beschäftigt, die eingelaufene Post — es war ein ganz
gewaltiger Stoß Briefe — zu sichten. Zwischen den
beiden stand ein großer Papierkorb. Mein bester
Freund, meinte Einstein lächelnd darauf deutend. Ich
nahm mein Plätzchen von gestern ein und vertiefte mich
still in meine Arbeit. Aber es sollte heiterer werden als
ich gedacht hatte. Wohl hatte ich schon öfters erlebt,

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