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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Juniheft
DOI Artikel:
Kern, Guido Josef: Neues über ältere Berliner Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0365

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Adolf Menzel, Kopf eines alten Juden (neu entdeckt)
Sammlung Geh. Rat Dr. v. B., Berlin

Margarete Steffeck hinterlassen hat. Blechen ist von
vorn, in sitzender Stellung wiedergegeben. Sein Blick
richtet sich auf die vor ihm stehende, in der Skizze nicht
sichtbare Zeichnung, die er offenbar mit der rechten
Hand hält. Sein gesenkter Kopf mit der langen, fein
geschwungenen Nase wird von dichtem, in die Stirn
heräbhängendem Haar und einer dunklen Krawatte um-
rahmt. Die breiten Aufschläge des Biedermeierrockes
geben dem Kopf eine fast statuarische Wirkung. Sehr
glücklich werden die Akzente durch wechselnden Druck
des Stiftes verteilt. Die lockeren Striche der Skizze
sind mit einem leichten Wischer zusammengehalten.

Blechen zählte damals 39 Jahre, das Blatt ist also
ein Jahr vor seinem Tode entstanden. Man sieht der
Zeichnung nicht an, daß Blechen ein schwerkranker
Mann war, den Dr. Horn als unheilbar aus seiner Anstalt
entlassen hatte. Blechens Zustand wechselte sehr,
wie wir aus Aeußerungen seiner Frau wissen.
Zwischen den schweren Anfällen, denen er aus-
gesetzt war, gab es immer wieder lichte Augen-
blicke; ja es traten Zeiten der Beruhigung ein, in
denen er wieder zu Stift und Pinsel greifen konnte,
nachdem er seine Tätigkeit als Lehrer an der Akademie
längst eingestellt hatte. Sogar zur Pflege des Akt-
zeichnens brachte er zuweilen noch die nötige Spann-
kraft auf. Der Akt war von jeher seine schwächste
Seite gewesen, denn unter dem Druck seiner äußeren
Lage hatte Blechen darauf verzichten müssen, sich in
längerer systematischer Uebuug mit dem Zeichnen nach
der menschlichen Figur zu befassen. Steffecks Skizze
ist ein rührendes Dokument für die Energie, mit welcher
der schwer kranke Mann noch seine künstlerischen
Pläne verfolgte.

Das hier wiedergegebene Bildnis nach dem 39jähri-
gen Meister ist das letzte, das wir von ihm kennen. Die
Zeichnung würde, auch wenn sie einen Unbekannten
darstellte, als Jugendarbeit Steffecks ihren Wert be-
sitzen; als Porträt Blechens gewinnt sie historische
Bedeutung. —

Eine weitere Ergänzung unserer Vorstellung von
Blechen vermitteln zwei ungewöhnlich schöne, in Oel
angelegte Studien, nämlich eine geistvoll, in lichten
Tönen hingeworfene Baumstudie (Abb. S. 357), gemalt
nach 1829, und eine Studie nach dem zersprengten Turm
des Heidelberger Schlosses (Abb. S. 357). Letztere
tauchte kürzlich im Berliner Kunsthandel auf; sie ist
während der Rückkehr Blechens von der italienischen
Reise, Herbst 1829, vor der Natur entstanden.

Der Gegenstand ist uns als Blechensches Motiv seit
langem vertraut; aus Zeichnungen, einem unvollendeten
Aquarell aus der ehern. Sammlung von Prof. A. Brendel,
der Oelstudie, dem Bilde der Nationalgalerie und
dem in der Komposition verwandten, aber nicht ganz
vollendeten Bilde, das vor wenigen Jahren aus dem Ber-
liner Kunsthangel (Nicolai) in den Besitz eines Sammlers
überging. Walter Unus hat in seinem Aufsatz über
„Blechen in Heidelberg“ im „Kunstwanderer“ (1925)
diese Arbeiten zusammengestellt und gewürdigt.

Oberflächlich betrachtet weichen die beiden Oel-
studien kaum voneinander ab. Sie zeigen fast den glei-
chen Ausschnitt und fast die gleiche Verteilung der
Massen, unterscheiden sich voneinander äußerlich nur
durch geringe Abweichungen in Einzelheiten. Künst-
lerisch steht die neuaufgefundene Arbeit über der an-
deren. Sie gehört zum Besten, was Blechen auf deut-
schem Boden überhaupt geschaffen hat.

Ein grauer Regentag, der Himmel mit Wolken ver-
hängt, Feuchtigkeit auf dem Boden, im Laubwerk der

Adolf Menzel, Schlafender Jude (1852). Sammlung Freund

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