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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 11./​12.1929/​30

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1./2. Juliheft
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Eckhardt, Ferdinand: Emil Orlik als Graphiker: zu seinem 60. Geburtstag am 21. Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.26238#0410

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gleich ein Atelier in Paris und eines in Berlin. Mit der-
selben Energie und Lebendigkeit versucht er in jeder
einmal begonnenen Sache weiter zu kommen. So
kommt er zur Graphik. Er beginnt mit der Radierung,
dann kommt er zur Lithographie, kurz darauf entdeckt
er den Holzschnitt und, als er in diesem nach seiner
Japanreise die Vollendung erreicht hat, pflegt er neuer-
dings in der Hauptsache die Radierung, schafft in die-
ser Technik seine bekanntesten Arbeiten, um sich von
nun an neben seiner Malerei gleichmäßig der Radierung
und der Lithographie zu widmen. Und, wenn man mit
dem Sechzigjährigen heute spricht, klagt er, daß er
nicht genügend Zeit hat, denn auf allen graphischen Ge-
bieten möchte er wieder Neues schaffen, Neues aus-
probieren.

Aus dem Jahre 1892 stammt die erste erhaltene
Radierung „Der Schläfer“. Ein Kaltnadelblatt, kalli-
graphisch auf die Platte gezeichnet, als ob es mit dem
Bleistift aufs Papier wäre. Merkwürdig, wie ähnlich
diese frühe Platte den Arbeiten seiner heutigen Schüler
ist. Aus derselben Zeit ungefähr rührt ein weiblicher
Studienkopf her, „nach der Natur“ glaubte der junge
Künstler dazu vermerken zu müssen, enge Kreuzstrich-
lagen, etwas akademisch noch. Aber schon im folgen-
den Jahr ist der Sprung ins Neuland getan. Der Reiz
des Technischen ist gefunden. Einmal versucht er das
weiche kreideartige Vernis mou; nicht zufrieden mit
der neuartigen Technik allein, druckt er die Platte in
roter Farbe, damit wir glauben, ein Rötelblatt vor uns
zu haben. Dann wieder versucht er Aquatinta, und es
genügt ihm nicht die geätzte, er schabt aus der geätzten
Platte die Töne heraus, also eine Mischung von Aqua-
tinta und Schabkunst. Dazwischen stehen reine Nadel-
arbeiten. Nicht allein das Technische reizt ihn, ebenso
beschäftigt er sich mit dem rein Malerischen. Im
„Sommertag“ bringt er zum ersten Mal zwei weiße
Figuren auf dunklem, tonigem Grund, ein Problem, das
ihn immer wieder interessiert, später im bekannten
„Markt in Grodck“ oder in der ägyptischen Mappe. Die
Aquatinta mit der Möglichkeit des Abdeckens der hell
bleibenden Flächen ist die gegebene Technik dazu.

Zwei Jahre bleibt er dann in der Graphik unpro-
duktiv, das Militärjahr fiel in diese Zeit. Als er aber
1896 wieder mit der Radierung beginnt, hat er seine
Eigenart vollkommen gefunden. Neben Vernis mou und
Aquatinta übt er die Schabkunst, das Hauptaugenmerk
dieser Jahre ist aber doch der reinen Nadelradierung
zugewendet. Gleichzeitig fängt er zu lithographieren
an. Er beginnt mit zweifarbigen Blättern (Windmühle“),
doch schon nach kurzem wagt er sich über die viel-
farbige Litho. Im ruthenischen Paar gibt er mit öliger
Kreide weiche, etwas verschwommene malerische Wir-
kungen, im „Wintertag“ verwertet er den Umdruck des
körnigen Papiers zur Wiedergabe der schneeigen Win-
terluft. Also auch hier gleich von Anfang an inter-
essante technische Versuche. Im folgenden Jahr steht
die Radierung wieder an erster Stelle. Der erste Zu-
stand eines seltenen Blattes „Bettler“ läßt einen tiefen
Einblick in den Entwicklungsgang tun. Kratzer, wahr-
scheinlich von den verschiedensten Instrumenten her-

rührend, und unregelmäßig angeätzte Flächen (wo der
dünne Aetzgrund durchgeätzt hat), ergeben einen eigen-
tümlichen malerischen Reiz, der ganz modern wirkt.
So etwas hätte man früher für eine verdorbene Platte
gehalten. Jetzt mußten eine solche Tonigkeit und hun-
dert malerische Werte den Künstler dazu anregen, diese
Kratzer und die geätzten Stellen künstlich zu erzeugen
und malerisch auszuwerten. Daneben wird aber auch
die bloße Kupferplatte verwendet, und da die Verwen-
dung des saftigen Kaltnadelstrichs nicht so sehr in Orliks
Auffassungsweise paßt, ist es mehr der haarscharfe
Diamantstift, mit dem er auf die Kupferplatte zeichnet.
Der Mädchenkopf mit Haube ist ein besonders gelun-
genes Blatt dieser Technik. 1898 ist der erste große
Vorstoß auf dem Gebiet des Holzschnitts, der, zumin-
dest für eine Zeit lang, Orliks Haupttechnik werden
sollte. Die frühe, kreisrunde Landschaft ist noch von
einem Holzstock, aber mit zwei Farben gedruckt.
In „London Typs“ sind bereits zwei Stöcke verwendet,
die Schneiderwerkstätte verwendet deren bereits eine
ganze Reihe. In den folgenden Blättern können wir
verfolgen, wie die neue Technik immer mehr inter-
essiert und immer zu neuen Problemen reizt. Bei den
mehrfarbigen versucht er durch das Korn der verschie-
denen Hölzer die mannigfaltigsten Wirkungen heraus-
zubekommen. Darüber hinaus mischt er die Farben
mit den verschiedensten Bindemitteln, wählt verschie-
denes Papier, um alle Variationsmöglichkeiten an
Druckwirkungen zu erlangen. Aber sein Sinn geht wei-
ter; er will die Technik von Grund auf lernen. Wo in
Europa wäre das damals möglich gewesen. Er ent-
schließt sich daher, in das Ursprungsland des Holz-
schnittes zu gehen. Um die Jahrhundertwende macht
er die erste Japanreise. Die Impulse, die er auf ihr be-
kommen hat, gehen über das rein Technische weit hin-
aus. Man braucht nur die auf der Reise entstandenen
Lithographien mit den früheren zu vergleichen. Unver-
hältnismäßig zarter, nerviger im Strich, sind sie um
ebensoviel feiner in den Farben. Was Orlik aber auf
dem Gebiet des Holzschnitts gelernt hat, als er zu japa-
nischen Holzschneidern und Druckern wie ein Geselle
ging, beschreibt er selbst in seinem Aufsatz „Ueber den
Farbenholzschnitt in Japan“ (Kleine Aufsätze, Berlin
1924). Das Ergebnis sehen wir in den damals entstan-
denen Blättern. Es sind oft nur kleine Handgriffe, durch
die die Japaner ihren Blättern eine solche Feinheit ver-
leihen. Sie drucken zum Beispiel den Holzschnitt auf
feuchtem Papier, daß die Farbe vom Papier aufgesogen
wird, wodurch sie nicht die pappige Schwere bekommt,
wie bei den meisten europäischen Holzschnitten. Aber
auch in der Wahl des Papieres sind sie viel vorsichtiger,
weil das verschiedene Papier die Farben ganz verschie-
den aufsaugt. Alle dise Feinheiten, vermehrt um die
durch eine solche Reise verstärkte Sensibilität für Kom-
position, Kontur und Farbe zeichnen die besten in diesen
beiden Jahren in Japan entstandenen Blätter aus, wie
die Geisha, die Wagenzieher, den arbeitenden Holz-
schneider und Drucker, den Taschenspieler, das Mäd-
chen unter dem Weidenbaum. Es ist nur zu begreiflich,
welche Wirkung diese Blätter damals bei den abend-

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