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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI issue:
Heft 14 (2. Aprilheft 1904)
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Münzer, Georg: Uebungen im Musikhören, [3]: die Variation
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0081

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Bis jetzt hatte Mozart zwar das Thema in der mannigfaltigsten Weise
verändert. Wir hatten sogar gesehen, daß er die Tonart wechseltc. Tempo
und Takt hatte cr absr beibehalten. Jetzt wechselt er auch diese. Er
macht in der fünften Variation aus dem ursprünglichen Andante grazioso
ein Adagio. Wir dürfen aber nicht dabei an ein tragisches Becthovensches
Adagio denken. Die leichte Bewegung der Zweiunddreißigstel und die reiche
Figuration der Melodie lassen den Charakter des Ganzen durchaus anmutig
und heiter erscheinen. Allerlei neckische Kleinigkeiten, zierliche Staccati, Passagen,
Sprünge beleben das Tonbild. Einer Note des Themas steckt der Komponist
nun ein ganzes Bukett auf. Der erste und zweits Takt folgt der Melodie noch
ziemlich genau, dann verschwindet unter dem Reichtum, dem zierlichen Wirr-
warr der Figurationen die geschlossene Melodie Les Anfanges. Das ganze
wird ein phantastisches liebliches Tonspiel, dessen Kern aber doch unverkenn-
bar abermals das Thema geblieöen ist. Nur daß statt einer Note des Themas
immer ein ganzes Notcnbündel, eine ganze Notenkette steht. Alle großen
Melodieschritte sind vermieden, es sind Noten-Guirlanden dazwischengehängt,
es wimmelt von zierlichen Figürchen um die Hauptnoten herum. Wir haben
so recht ein Stückchen Rokoko vor uns. Man beachte im einzelnen, wie Mozart
z. B. den crsten Takt variiert (a), der dritte Takt des zweiten Teiles aber
klingt jetzt (b)


»

Das Adagio in ciner Variationenreihe war gleichfalls Metiergebrauch, ebcnso,
daß sie mit einem etwas längcr ausgeführten frischen Finale abschloß. Bei
Mozart steht dieser „Kehraus" des lebendigeren Abschlusses wcgen im gerad en
Takt. Er entfernt sich am mcistcn von dsr AnfangSmelodie. Aber auch hier
bei aller scheinbaren Willkür, bci dem sreisten Fluge der Phantasie doch die
strengste musikalische Logik. Die Meisterhand hat auch hicr, wie im Verlauf
des ganzen entzückenden Mikrokosmus dieser Variationen gewaltet. Erstaun-
lich war es, was aus dem Liedchen, dem Thema, gebildet wurde. Aber mochte
der Komponist auch mannigfache Masken vorgenommen haben, hcitere, ernste
und übermütige, das güttliche Mozart-Auge blickt überall hervor, und der
Hauch ewiger Mozartscher Schönheit ruht auch auf diesen enizückenden „tönen-
den Formen"', aus diesem kleinen und doch so großen Kunstwerke.

Jm Grunde genommen war dieses Werk nichts als ein einziges Lied.
Die einzelnen Variutionen stellen gleichsam die verschiedenen Strophen dar,
und je nach dem poetischen Gehalt dieser Strophen erscheint die Melodie des
Liedes in verschiedener Beleucbtung. Lehrreich abcr sür die Zukunft ist die Art,
wie wir hier scheinbar verschiedene Tonreihen doch als innig verwandt auf-
fassen konnten. lNünzer.

ss

Kunstwart
 
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