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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 15 (1. Maiheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0153

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Weidhof, mirwortete ich und fuhr dcinn, ihr die Hand reichend, fort: Jhr
dürft mir nicht böse sein, Meisterin, ich kann heute nichts mehr anrührem

Getviß nicht, Reinhold. Jch muß mich ja ohnehin darauf einrichten,
daß du nicht mehr untcr uns bist.

Es wird auch ohne mich gehn. Jhr werdet Euch schon durchbringen,
ich war nur ani Anfang nötig. Jhr seid eine beherzte Frau, und die

Stnben sind auch fertig, so brauchen die Fremden uur cinzuziehn, und
sie werden nicht ausbleiben.

So oerließ ich das Haus, worin ich glücklich gcwesen war.

Mein kleines Mariannele sah mich heraustreten und lief auf mich
zu. Es wollte ein Stücklein mit mir gehn, und ich nahm es also an

der Hand und wandelte wie so manchesmal mit ihm durch die sonnige
Wiese uach dcm Walde zu. Das fröhliche Herz hatte mir vielerlei zu
erzählen, und sein helles Stimmchen klang wie ein liebliches leises Kinder-
glöcklein in mcinen Abschied hinein.

Unter den ersten Bäumen hielt ich an: Geh nun zurück, Mariannele,
geh zur Muttcr. Geh nach Haus, mein liebes Kind. Und der liebe Gott
möge dich behütcn und dir vicl Glück schenken, wie du mir viel Glück
gewesen bist.

Das Kind sah mich groß an, und in den blauen Augen lag einc
Frage. Da ich aüer nichts weiter sagte und so ernst mit ihm gesprochen,
auch dcu lieben Gott genannt hatte, so glaubte es wohl, es müsse es wic

nach deni Abendgebet halten. Es hob also sein Köpfchen zu mir empor

und bot mir seinen Mund dar.

Eiu Hauch von diesen unschuldigen Kinderlippen war das lctzte, was
ich noch mit mir nahm.

Nuu stieg ich den Berg hinauf, eutgegcngesetzt der Richtung, in dcr
ich gehn wollte. Unterwegs traf ich nachcinander cinen Hirten und einen
Jäger, mit denen ich einige Worte wechselte, und darauf niemand mehr.
So lange stieg ich auf, bis dic Sonne auf das Gebirge niedersauk, dann
kehrte ich um und gelangte nun, an der Bcrgwand hinschreitend, jcdoch
allmählich hinabsteigend, endlich auf den Weg, auf dem ich das Jahr zuvor
gekommen war, und auf diesem Wcge kam ich zu dem Kreuze, worunter
ich damalS gestanden und das Dorf zum erstenmal gcsehen, uud unter
dem ich in der Gcwitternacht geweilt hatte.

Es war schon dämmrig gewordcn, ich kvunte jedoch die Gebäude

noch deutlich unterscheiden, auch den Weidhvf sah ich licgen.

Jetzt ist Maria zu Hause, dachte ich, und sie wartet. Weun ich nuu
nichl komme, so wird sie unruhig werden, aber man wird ihr zuredcui
und sie damit trösten, daß ich abgehalten worden wäre. Morgen aber
werden sic im ganzen Dorfe vou mir rcden, die Meisteriu, dcr Hirt, der
Jäger, und wer mich sonst noch geschen habcn sollte, wird berichten. Und
sie werdcn mich suchcn und endlich das Suchen aufgeben. Er ist tvt,
werdeu sie sagen, und liegt in irgend eincr Schlucht, uach Jahr und Tag
wird man ihn finden, vielleicht auch niemals. Das alles kann ich dir
nicht ersparen, Maria. Dicser Schmerz, den ich dir jetzt zusüge, ist die

letzte Schuld, mit der ich mich belade. Er wird dir abcr ein geringercr

Schmerz sein, als wenn du dich cinmal schaudernd von dem, den du gelicbt

hast, abwenden müßtest.

Es wurde Nacht, die erstcn Lichter glänztcn auf, und mit ihncn

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