vielleicht weniger an dem Mangel geeigneter Kräfte, als an dem geringen
Solidaritätsgefühl der Künstler, die über dem Trennendcn das Gemein-
same nur mühsam finden können. Mit der Bewertung der nationalen
Faktoren beim Schaffen der Künste haben unsere Bemerkungen über
ihre wissenschaftliche Betrachtung natürlich nichts zu tun.
Solange in den Einzelgebieten das nationale Prinzip noch so stark
vertreten ist, kann man auch von der Geistesgeschichte nur verlangen, daß
sie sich diesem Tatbestande einstweilen anpasse, ohne das letzte Ziel, die
Jnternationalität der Wissenschaft auch bei den Künsten ganz aus
dem Augc zu verlieren. Eine solche ist ja überhaupt erst auf dem Boden
gründlicher geistesgeschichtlicher Darstellungen möglich, die das nationale
Prinzip festhalten.
Eine Zusammenfassung der obigen Gedanken ergibt in kurzen
Worten etwa Folgendes: Die Wissenschaften wie die Künste bildeten
eine ursprüngliche Einheit, der völlige Scheidung folgte. Diese wiederum
wird von einer erneuten Annäherung abgelöst, die eine im Wesentlichen
gemeinsame Aufgabe anerkennt, den dabei beteiligten Wissenschaften im
Uebrigen aber ihre freie Sonderentwickelung beläßt. Diese gemeinsame
Aufgabe wird von einer neuen Disziplin bearbeitet, für welche sich der
Name „Geistesgeschichte" empfiehlt. Die Vertreter dieser Disziplin
gehören einer der bei der Annäherung beteiligten Wissenschaftcn an
und versuchen an der Hand der ihrem Bildungsgang besonders eignenden
Erkenntnisse die Darstellung der Gesamtbewegung. Ein Vergleich dieser
Darstellungen des gleichcn Stoffes durch verschiedene Fachgenossen crgibt
ein annähernd richtiges Bild der Lage. Der so arbeitende Forscher
hört nicht auf, Fachmann eines Spezialgebiets zu sein, glaubt aber das
Recht und die Pflicht zu haben, sich üei der Darstellung der Gesamt-
entwicklung auch nber Gegenstände zu verbreiten, die ihn nur als
„Laien" angehn. Er sieht in dieser Arbeit nicht nur die Befriedigung
seiner individuellen, auf die großen Zusammenhänge und die Heraus-
arbeitung des Tppischen gehenden Begabung, sondern zugleich eine
Förderung der Einzelwissenschaft und ihrer Vereinigung in der Geistes-
geschichte. Letztcrc wird vergleichende Jnternationalität als erstrebens-
wertes Ziel im Auge behalten, aber, ehe sie damit ernst macht, die
internationale Entwickelung der cinschlägigen Einzelwissenschaften ab-
warten. Einstweilen soll sie, ohne mit den bestehcnden Grötzcn in
Nangstreit zu treten, sich als eine nationale Wissenschaft durchzusetzen
suchen und von ihren Vertretcrn.gründliche, positive Leistungen, von
den Kollegen Wohlwollen und Verständnis erwarten.
Lduard Platzboff-Lcjeune.
töl
2. Maiheft lyoq
Solidaritätsgefühl der Künstler, die über dem Trennendcn das Gemein-
same nur mühsam finden können. Mit der Bewertung der nationalen
Faktoren beim Schaffen der Künste haben unsere Bemerkungen über
ihre wissenschaftliche Betrachtung natürlich nichts zu tun.
Solange in den Einzelgebieten das nationale Prinzip noch so stark
vertreten ist, kann man auch von der Geistesgeschichte nur verlangen, daß
sie sich diesem Tatbestande einstweilen anpasse, ohne das letzte Ziel, die
Jnternationalität der Wissenschaft auch bei den Künsten ganz aus
dem Augc zu verlieren. Eine solche ist ja überhaupt erst auf dem Boden
gründlicher geistesgeschichtlicher Darstellungen möglich, die das nationale
Prinzip festhalten.
Eine Zusammenfassung der obigen Gedanken ergibt in kurzen
Worten etwa Folgendes: Die Wissenschaften wie die Künste bildeten
eine ursprüngliche Einheit, der völlige Scheidung folgte. Diese wiederum
wird von einer erneuten Annäherung abgelöst, die eine im Wesentlichen
gemeinsame Aufgabe anerkennt, den dabei beteiligten Wissenschaften im
Uebrigen aber ihre freie Sonderentwickelung beläßt. Diese gemeinsame
Aufgabe wird von einer neuen Disziplin bearbeitet, für welche sich der
Name „Geistesgeschichte" empfiehlt. Die Vertreter dieser Disziplin
gehören einer der bei der Annäherung beteiligten Wissenschaftcn an
und versuchen an der Hand der ihrem Bildungsgang besonders eignenden
Erkenntnisse die Darstellung der Gesamtbewegung. Ein Vergleich dieser
Darstellungen des gleichcn Stoffes durch verschiedene Fachgenossen crgibt
ein annähernd richtiges Bild der Lage. Der so arbeitende Forscher
hört nicht auf, Fachmann eines Spezialgebiets zu sein, glaubt aber das
Recht und die Pflicht zu haben, sich üei der Darstellung der Gesamt-
entwicklung auch nber Gegenstände zu verbreiten, die ihn nur als
„Laien" angehn. Er sieht in dieser Arbeit nicht nur die Befriedigung
seiner individuellen, auf die großen Zusammenhänge und die Heraus-
arbeitung des Tppischen gehenden Begabung, sondern zugleich eine
Förderung der Einzelwissenschaft und ihrer Vereinigung in der Geistes-
geschichte. Letztcrc wird vergleichende Jnternationalität als erstrebens-
wertes Ziel im Auge behalten, aber, ehe sie damit ernst macht, die
internationale Entwickelung der cinschlägigen Einzelwissenschaften ab-
warten. Einstweilen soll sie, ohne mit den bestehcnden Grötzcn in
Nangstreit zu treten, sich als eine nationale Wissenschaft durchzusetzen
suchen und von ihren Vertretcrn.gründliche, positive Leistungen, von
den Kollegen Wohlwollen und Verständnis erwarten.
Lduard Platzboff-Lcjeune.
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2. Maiheft lyoq